Klimacamp in Pödelwitz Klimacamp in Pödelwitz: Wie eine Zeltstadt entsteht um gegen Kohle zu demonstrieren

Pödelwitz - Ich öffne die Autotür, steige aus und blicke als erstes auf ein riesiges Banner an einer Hauswand. „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht! Zukunft statt Braunkohle“, steht dort martialisch geschrieben. Ich bin in Pödelwitz, einem kleinen Ort bei Leipzig. Rund 30 Menschen leben hier - noch. Denn das Dorf soll abgebaggert werden, da sich unter dem Ort Braunkohle befindet. Umwelt- und Klimaschützer wollen das verhindern. Etwa 1500 von ihnen sind in dieser Woche zu einem „Klimacamp“ gekommen, um ein Zeichen zu setzen: gegen den Braunkohleabbau, für erneuerbare Energien.
Geld zur Abfederung des Strukturwandels muss unbedingt bei Menschen im Revier ankommen
Die meisten Camper sind mit dem Fahrrad angereist. Unzählige Drahtesel stehen an den Straßenrändern. Mein Blick fällt zudem auf Duschkabinen, die mit Solarenergie betrieben werden und kleine bunte Campingzelte. Menschen stehen auf der Straße, putzen sich die Zähne oder nehmen ein Frühstück zu sich. Auf einer Wiese stehen große weiße Zelte. Auf einem steht sogar das Wort „Presse“ dran. Hier bin ich als Reporter wohl erstmal richtig. Ich rede mit Ruth Krohn, der Pressesprecherin des Organisationsteams, das zum Verein „Klima in Bewegung“ gehört. „Wir wollen darauf aufmerksam machen, wie die Braunkohle die Umwelt bedroht und nur dafür da ist, um den Konzernen Profit zu ermöglichen“, sagt die Leipzigerin.
Während im Burgenlandkreis viele Menschen von Braunkohle leben und ihre Existenz durch den für 2038 vorgesehenen Kohleausstieg gefährdet sehen, geht es den Klimaaktivisten nicht schnell genug: Sie fordern einen sofortigen Ausstieg aus der Kohle. Um das zu erreichen, seien auch illegale Aktionen recht. So besetzten am Dienstag Aktivisten einen Bagger im Mibrag-Tagebau Vereinigtes Schleenhain. Im Camp zeigt man sich solidarisch mit den Besetzern, wie Ruth Krohn sagt. Doch wie denken die Klimaschützer über Regionen wie das Kernrevier Hohenmölsen-Zeitz, das vor allem von der Kohle lebt. Ruth Krohn findet, dass das Geld zur Abfederung des Strukturwandels unbedingt bei den Menschen im Revier ankommen muss.
Zeltstadt gegen Kohle, für gerechte und ökologische Gesellschaft
Doch nicht nur die Braunkohle beschäftigt die Teilnehmer des Klimacamps, das sich vor allem durch Spenden finanziert. Es geht auch um Dinge wie Antirassismus und eine antikapitalistische Wirtschaftsordnung. Dazu finden während der Woche verschiedene Workshops, Konzerte, Filmvorführungen und Demonstrationen statt. Die Teilnehmer kommen laut Ruth Krohn aus der ganzen Welt. Unter ihnen sind Schüler, Studenten und Leute, „die sich extra Urlaub genommen haben“.
Die Menschen hier kämpfen ihrer Meinung nach für eine soziale, gerechte und ökologische Gesellschaft. Ihr Gesicht wollen die Campteilnehmer öffentlich aber nicht zeigen. Fotos bitte nur, wenn man das Gesicht nicht erkennt. Im Camp herrschen auch sonst strenge Regeln für Medienvertreter: Nur zwischen 10 und 12 sowie von 14 bis 15 Uhr dürfen Journalisten auf dem Gelände Fotos und Videos machen.
Klimacamp einen Hauch von Woodstock?
Woanders gibt es solche Probleme nicht. Ich gehe weiter und bemerke einen roten Pavillon - etwas abseits des Camps. Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie hat hier einen Infostand. Ihre Mitglieder arbeiten unter anderem für die Mibrag. Braunkohle-Gegner und -Befürworter auf einem Fleck. Wie ist das denn möglich? „Wir wollen den Menschen erklären, dass es auch andere Sichtweisen auf das Thema gibt“, sagt Gewerkschafter Martin Böttcher.
Es sei schlichtweg nicht möglich, einfach so aus der Braunkohle auszusteigen, da sonst eine Energieversorgung nicht gewährleistet wäre. Das Verhältnis zu den Klimaaktivisten sei gut - trotz unterschiedlicher Ansichten. Es gebe einen regen Austausch zwischen beiden Seiten. „Es gibt auch gemeinsame Punkte, wir leugnen ja den Klimawandel nicht. Und wir sind auch nicht die bösen Bergmänner“, meint Pierre Reinhardt. Für ihn habe das Klimacamp einen „Hauch von Woodstock“. Gegen friedlichen Protest haben die Bergbau-Gewerkschaftler nichts, gegen Aktionen wie in Schleenhain dagegen schon. „Das ist der falsche Weg“, findet Martin Böttcher.
Ich mache mich wieder zurück ins Camp und sehe dabei zwei selbst gebastelte Windräder und Solarzellen auf einer Wiese. Strom, den die Klimaretter hier verbrauchen, produzieren sie selbst. Umweltfreundlich ist auch die Küche. Auf Fleisch wird in der Woche komplett verzichtet. Alle Speisen sind vegan. Zum Frühstück gibt es Brot, Müsli, vegane Wurst und Käse, zum Mittag Suppe und abends noch mal etwas Warmes.
„Klimaschutz ist ein wichtiges Anliegen für mich“
Gekocht wird zusammen - wer mitmachen will, kann sich melden. „Gestern hatten wir ein Gemüse-Curry mit Reis“, sagt Matthias aus Leipzig. Letztes Jahr habe er nur mal vorbeigeschaut, dieses Jahr ist er richtig mit dabei. „Klimaschutz ist ein wichtiges Anliegen für mich“, sagt er. Ihm gefällt vor allem, wie sich die Leute hier begegnen. Maya hat dagegen „Bock auf die Workshops“ und findet es cool, wie viele Menschen hier sind, obwohl die meiste Zeit nur aus theoretischen Lerneinheiten besteht.
Ihren vollständigen Namen will die Leipzigerin nicht verraten. Ein Foto zum Abschluss ist ebenfalls nicht drin. Auch die Frauen und Männer, die unter einem Zelt Tomaten schneiden, möchten nicht fotografiert werden. Ich kehre zum Auto zurück . Mein Blick fällt noch einmal auf ein Stoffbanner, das an einem Bauzahn befestigt ist: „Raus aus der Kohle - rein ins Vergnügen.“ (mz)


