Joachim Lezoch Joachim Lezoch: Chef aller DDR-Schuh-Hersteller

Weißenfels/Zwickau - Joachim Lezoch war in der DDR-Industrie kein Unwichtiger: Er führte das Kombinat Schuhe mit 47.000 Beschäftigten im ganzen Land von Weißenfels aus. Die Wende in der Schuhindustrie spürte man erst, als „ein Geschwader westdeutscher Geschäftsleute in der DDR auftauchte“, sagt er. Das war Anfang 1990, als deutsch-deutsche Joint-Ventures in Aussicht gestellt worden waren.
Der staatliche Handel hat mit ihnen eine Menge Konkurrenten bekommen und reagiert: „In der Schuhindustrie fing unser Großhandel an, mit den westdeutschen Großhandelsunternehmen zu kokettieren. Auf einmal rollte im großen Stil Reno-Ware hier an. In unseren Großhandel! – Unser Großhandel hat uns im Jahresbeginn – Februar, März 1990 – auf unseren Verträgen sitzen lassen! Die nahmen uns einfach keine Schuhe mehr ab! Und wir haben am Tag über 400.000 Paar Schuhe produziert.“
Joachim Lezoch war bis 1990 Generaldirektor des Kombinats Schuhe. Das Kombinat bestand aus Betrieben in der gesamten DDR, deren Leitung, die Generaldirektion, mit ihm als Chef in Weißenfels saß. Er war 1978 Generaldirektor geworden, nachdem er zuvor fünf Jahre als Direktor Materialwirtschaft und ein Jahr als Erster Stellvertreter des Generaldirektors gearbeitet hatte. Er hatte als Lederzuschneider das Handwerk von der Pike auf gelernt. Auch sein Vater war schon in der Weißenfelser Schuhproduktion tätig. Da sein Vater den gleichen Vornamen trug, wurde er als Sohn meist Jochen genannt. (jur)
Jeden Tag 400.000 Schuhe, das sind in zehn Tagen, an denen keiner sie abnimmt, vier Millionen Paar Schuhe. Man hätte sie überall gelagert: in den Speisesälen, Gängen, Sozialräumen, auf den Höfen, „notdürftig mit Zeltplanen abgedeckt“, wie sich der heute 71-Jährige erinnert.
Eigene Supermärkte
Deshalb habe er versucht, von der ersten frei gewählten Regierung Teile des HO-Schuhhandels und zwei Großlager zu erhalten, um ein eigenes Vertriebssystem aufzubauen. Aber: „Das wurde vehement abgelehnt.“ „Dann habe ich die Betriebe aufgerufen, eigene Supermärkte aufzumachen. Lagerhallen auszuräumen oder in der untersten Etage Produktionsräume freizumachen. 53 Supermärkte haben wir innerhalb von wenigen Monaten aus dem Boden gestampft.“ – Ein kurzfristiger Erfolg, denn: „Nacheinander wurden diese Supermärkte von westdeutschen Firmen angelaufen und die Betriebsleiter, die ja nicht mehr meiner unbedingten Autorität unterstanden, haben sich mit denen verbündet und haben die Schuhe ihrer DDR-Kollegen genauso negiert wie unser Großhandel.“
Lezoch wurde von der Regierung Lothar de Maizières als Generaldirektor bestätigt und erhielt den Auftrag, alle Volkseigenen Betriebe (VEB) zum 30. Juni 1990 in GmbHs umzuwandeln. Mit Hilfe einer Anwältin machte er aus 50 VEB 130 GmbH. „Am 30. Juni habe ich der Regierung de Maizière gemeldet, dass ich diesen Auftrag erfüllt habe und mich zu diesem Tag aus meinem Dienstverhältnis verabschiede.“
Er entließ damit nicht nur sich, sondern auch die 250 Mitarbeiter, die zur Generaldirektion gehört hatten. Die Jüngeren seien erfolgreich in Versicherungen und Banken untergekommen, Ältere in Frührente gegangen. Für den Mittelbau – er rechnet sich mit seinen damals 45 Jahren mit ein – habe er die „Industrievereinigung Schuhe Consulting GmbH“ (IVSC) gegründet, sagt Lezoch. Deren Gesellschafter waren sechs der großen Betriebe des Kombinats, später sind weitere 30 Betriebe der GmbH beigetreten. „Ich dachte, es wäre zweckmäßig, eine Koordinierungsfunktion beizubehalten, damit die Betriebe sich nicht gegenseitig abschlachten. Außerdem hatten sie vom Marketing null Ahnung.“
5,3 Millionen Paar Winterstiefel
Es gelang ihm, mit dem sowjetischen Unternehmen Gazprom einen Vertrag über 5,3 Millionen Paar Winterstiefel auszuhandeln. Da der IVSC nicht außenhandelsfähig war, habe er die DDR-Außenhandelsfirma Interpelz mit ins Boot geholt, so Lezoch. Doch von der abgemachten Vermittlungsprovision von 2,3 Millionen habe er nur 300 000 Mark bekommen. „Dieser Verlust hat uns schwer geschädigt. Und was noch schlimmer war: Mitarbeiter von Interpelz sind hinter meinem Rücken nach Moskau gefahren und haben den Gazprom-Leuten gesagt, dass sie beim nächsten Mal die Schuhe noch billiger haben könnten, aus anderen Bezugsquellen. Also der Vertrag ist direkt sabotiert worden.“
Ein anderes Unternehmen scheiterte an den neuen westdeutschen Geschäftsführern in den GmbH: Er hätte einen Lizenzvertrag mit der englischen Textil-Firma Lee Cooper über Freizeitschuhe abgeschlossen, dem nachträglich viele Betriebe trotz anderer Abmachung nicht beitraten.
Die neuen Geschäftsführer stiegen auch aus dem IVSC aus und nahmen ihre Einlagen mit. Das war das Ende des IVSC. Lezoch beantragte Liquidation und beendete damit seine Arbeit für die DDR- und ostdeutsche Schuhindustrie. Dass diese aber ohnehin kein langes Leben mehr haben würde, sei ihm da schon klar gewesen, sagt er.
Für ihn ist die Studie der Beratungsfirma Roland Berger, auf die sich die Treuhand stützte, richtig: Die westdeutsche Schuhindustrie war seinerzeit bereits fast aufgelöst, weil man in anderen Ländern billiger produzierte – „und dem sind wir durch das Scheitern der DDR einfach nachgerutscht“, so sein Fazit.
Wie es für die Beschäftigten der Schuhindustrie nach der Wende weitergegangen ist, lesen Sie demnächst in der MZ. (mz)

