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Inklusion Inklusion: Aus dem Alltag einer Förderschullehrerin

Von Julia reinard 28.03.2013, 20:22
Förderschullehrerin Jana Lisker unterstützt Gwendolin Thurm im Sportunterricht der Grundschule.
Förderschullehrerin Jana Lisker unterstützt Gwendolin Thurm im Sportunterricht der Grundschule. P. Lisker Lizenz

HOHENMÖLSEN/MZ - Die Erstklässlerin schreibt ruckzuck das Ergebnis auf: „5 €“ ergeben ein Ein-Euro-Stück und zwei Zwei-Euro-Stücken. Ihrem Nachbar Niklas bereiten die Zahlen Probleme, er kommt nicht auf die Lösung. Jana Lisker gibt ihm kleine Würfel. „Leg’ erst mal so viele Würfel, wie da jeweils steht“, sagt sie. Er legt einen Würfel, zwei und noch mal zwei dazu. „Und nun zähl’ es zusammen!“ „Eins, zwei, drei ... drei?“

Niklas wurde mit den anderen Schülern im Herbst in die Hohenmölsener Grundschule eingeschult. Aber schon zu Beginn des Schuljahres habe sich „eine große Schere zwischen seinen Leistungen und denen der anderen gezeigt“, sagt Mathe-Lehrerin Romy Schmidt. Deshalb sitzt Förderschullehrerin Jana Lisker im freien Unterricht neben ihm. Sie geht jede Aufgabe mit ihm an. Immer wieder muss sie einen Gedankenschritt zurückgehen, immer wieder mit ihm das eben noch Gewusste wiederholen. Fast die gesamte Zeit widmet sie ihm.

Jana Lisker ist für sechseinhalb Stunden an die Grundschule Hohenmölsen abgeordnet. Außer ihr ist eine andere Lehrerin der benachbarten Förderschule als Abordnung in Vollzeit an dieser Schule. Die ganze Stelle gilt der Schuleingangsphase, also den ersten zwei Schuljahren, die die Schüler innerhalb von drei Jahren absolvieren sollen. Die abgeordneten Lehrerinnen sollen helfen, Lernlücken, die sich in der Zeit auftun, zu schließen, sich also um Schüler wie Niklas kümmern. Sie ist nicht ausschließlich seinetwegen im Raum. Vielmehr soll sie in der Schuleingangsphase die eine für alle sein.

Das ist anders bei Schülern mit attestiertem Förderschwerpunkt. Die erhalten für bestimmte Stunden Hilfe von Jana Lisker oder ihrer Kollegin.

Gwendolin Thurm erhält für den Sportunterricht zwei solcher Förderstunden. Den Weg zur Turnhalle legt die Neunjährige mit ihrem Rollstuhl zurück. Sie leidet unter Spinaler Muskelatrophie, das heißt, die Muskeln wachsen nicht so gut, wie sie sollen, weil die Nervensignale zu schwach sind. Jana Lisker und zwei Klassenkameradinnen schieben den Rollstuhl abwechselnd. Die Mädchen unterhalten sich und machen Faxen. „Das Miteinander in ihrer Klasse ist sehr gut“, findet Jana Lisker.

In der Turnhalle schnürt sie der kleinen Hohenmölsenerin die Schuhe, läuft bei der Erwärmung mit, dann variiert sie die Aufgaben, die Sportlehrerin Gabriele Bauer allen stellt. Die Schüler sollen sich über Bänke ziehen und zwischen ihnen durchklettern. Gwendolin Thurm zieht sich auch darüber, Jana Lisker hält dabei helfend ihre Beine.

Gabriele Bauer sagt: „Man passt den Unterricht den Kindern an, sie dürfen sich nicht ausgegrenzt fühlen.“ Das heißt, sie gibt hier anderen Unterricht als in anderen dritten Klassen. Fachfrau Lisker lobt die gezielte Planung und betont: „Für die Grundschullehrer sind die Aufgaben breiter gefächert als früher, Hut ab, dass sie das hinkriegen.“

Früher wurden lernschwache wie körperlich beeinträchtigte Kinder an Förderschulen oder spezialisierten Zentren unterrichtet. Auch Gwendolin Thurm hätte nach Halle in eine Körperbehindertenschule gekonnt, aber das habe die Familie nicht gewollt. Zu weit weg, während ihre Freunde hier zur Schule gehen, sagt ihr Vater, Michael Thurm.

Nun stellen sich die Grundschullehrer auf Gwendolins Bedürfnisse genauso ein wie auf die eines schwächeren Lerners. Sie machten das gut, sagt Förderschullehrerin Jana Lisker. Sie sieht aber auch: „Die Lehrer kommen an ihre Grenzen.“ Der Förderunterricht sei zu knapp kalkuliert - zwei Stunden für Gwendolin.

Zwei Stunden für jeden Schüler, der Förderbedarf hat, gleich, ob körperlich - auch sehen und hören schließt das ein -, oder ob es die emotional-soziale Entwicklung betrifft. Die Hohenmölsener Grundschule kommt so auf zehn Stunden dieses gemeinsamen Unterrichts.

Hier gibt es den Vorteil, dass die Schule rollstuhlgerecht gebaut ist. Das ist für Kinder mit körperlichem Handicap grundlegend. Schüler mit Schwächen im emotional-sozialen Bereich oder beim Lernen sind dagegen besondere He-rausforderungen für das Lehren.

Für die Förderschule Hohenmölsen bedeutet das inklusive Lernen auch einen logistischen Aufwand. Hier sind von 15 Lehrern sieben abgeordnet, also fast die Hälfte ist unterwegs. Dennoch werden auch im Schulhaus weiterhin Schüler unterrichtet: 90 sind es zurzeit. Deutlich weniger als es früher waren - eben weil die Schüler die freie Wahl haben, unterstützt an den anderen Schulen bleiben zu können.