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Flüchtlinge in Weißenfels Flüchtlinge in Weißenfels: Die Hausaufgabenhelfer aus Großkorbetha

Von Holger Zimmer 12.04.2016, 07:26
Jörg Knittel hilft mit seiner Mutter Helga einer syrischen Flüchtlingsfamilie - den Kindern bei den Hausaufgaben und allen beim Deutschlernen.
Jörg Knittel hilft mit seiner Mutter Helga einer syrischen Flüchtlingsfamilie - den Kindern bei den Hausaufgaben und allen beim Deutschlernen. Peter Lisker

Weißenfels - Für Jörg Knittel war vor gut sieben Monaten der absolute Tiefpunkt im Leben erreicht. Heute sagt er, dass ihm danach gar nichts Besseres hätte passieren können, als sich um Flüchtlinge zu kümmern. Der 50-Jährige, der in Großkorbetha lebt, hatte im Spätsommer 2015 nach zwei Schlaganfällen gerade eine Umschulung zum Fleischbeschauer begonnen. Da wurde ihm mitgeteilt, dass er nicht mal mehr drei Stunden täglich arbeiten könne. Am gleichen Tag stand in der Zeitung, dass für die Flüchtlingsbetreuung Hilfe gebraucht wird.

Seine Mutter Helga (71) stellte den Kontakt her und mit ihrem alleinstehenden Sohn half sie in der Weißenfelser Sachspendenstelle. Wenig später gab es am Gosecker Pfarrhaus ein Treffen von Helfern und Flüchtlingen. Vor allem aber ging es natürlich um die Kinder, die mit Krieg und Flucht ein schweres Los hinter sich hatten und mal wieder ungestört spielen konnten. „Und Kinderherzen sind doch schnell erobert“, so Helga Knittel.

Fast täglich im Südring

Nachmittags ist sie mit ihrem Sohn fast täglich im Weißenfelser Südring bei der sechsköpfigen Familie Aldahek aus Syrien. Dort machen sie mit den beiden Töchtern Hanadi (8) und Nour (7) Hausaufgaben und lernen Deutsch auch mit dem 33-jährigen Familienvater Safwan und seiner Frau Angham (25). Er war mit Nour zuerst nach Deutschland gekommen. Die Mutter folgte mit ihren zwei anderen Töchtern, zu denen Rimas (5) gehört. Sie hatten plötzlich in Weißenfels vor der Tür gestanden. „Da haben wir sie schnell mit dem Auto nach Halberstadt ins Aufnahmelager gefahren, damit sie keinen Ärger kriegen“, sagt Helga Knittel.

Als sie das erste Mal in die Wohnung kamen, war klar: Es fehlt fast an allem. Nun stehen drei Kinderbetten und Armeespinde im kleinen Kinderzimmer. An den Fenstern der Schlafräume fehlen Gardinen zur Verdunklung. Knittels versuchen nach und nach zu helfen, wo sie können. Sie spricht von einem großen Bekanntenkreis, über den habe sie schon ein Fahrrad und Kleidung für die Kinder besorgt. Und er sagt: „Sie haben nicht viel, doch kommt Besuch, gibt es für ihn Kaffee.“

Safwan Aldahek hat inzwischen eine Aufenthaltsgenehmigung bis 2018 und bekommt Hartz IV. Große Sprünge könne man nicht machen, 30 Euro gibt es als Zuschuss für einen Schulranzen, 90 für einen Kinderwagen. Da seien meist nur gebrauchte Sachen drin. Allein der Kinderwagen war aber dringend notwendig, weil Angham Aldahek vor sechs Wochen ihr viertes Kind Ahmad entbunden hat.

Ihr Mann zeigt Fotos auch von seiner Heimatstadt Hama im Westen Syriens. Sie ist berühmt durch ihre gigantischen Wasserräder. Der 33-Jährige zeigt die Zerstörungen. Er selbst macht keinen Unterschied zwischen der Islamischen Miliz und der Assad-Polizei. Letztere sei auch in seine Wohnung eingedrungen und habe Wertgegenstände mitgehen lassen. Und: Von beiden sollte er unter Androhung von Waffengewalt rekrutiert werden. Die Flucht war der Ausweg.

Neue Heimat

Nun will er in Deutschland bleiben. Als Herrenfriseur habe er in seiner syrischen Heimat gearbeitet, es war für ihn ein sogenannter Anlernberuf ohne Abschlusszeugnis. Nun muss er umschulen. „Ich weiß, dass ich dafür Deutsch lernen muss“, sagt Aldahek. Und Jörg Knittel hilft gern. Seine Mutter sagt: „Ich habe etwas für Flüchtlinge übrig.“ In einem kleinen Dorf bei Nordhausen hat sie mit ihrer Mutter nach dem Zweiten Weltkrieg gelebt. Der Vater war nicht wiedergekehrt und ihr späterer Stiefvater war aus Ostpreußen gekommen. Arm seien die Ankömmlinge gewesen und hätten in Betten in einer Dachkammer geschlafen, die mit Holzlatten vom Rest des Bodens abgetrennt war.

Wie aber reagiert der Bekanntenkreis auf das Engagement der zwei Knittels? Die Seniorin sagt: „Das wird akzeptiert.“ Und Jörg Knittel? „Meine Bekannten schütteln vielfach den Kopf.“ Doch das sei ihm letztlich egal, „denn mir geht es jetzt viel besser“, sagt der 50-Jährige. Und er weiß, dass Hilfe notwendig ist, „weil es ohne die deutsche Sprache keine gute Ausbildung und keine Zukunft in der neuen Heimat geben kann“. (mz)

Hausaufgaben können es in sich haben.
Hausaufgaben können es in sich haben.
Peter Lisker