Deportierter Jude aus Weißenfels Deportierter Jude aus Weißenfels: Ururenkelin von Julius Lewinsohn zu Besuch

Weißenfels - Es waren nur wenige Stunden, die Bracha Zucker auf dem Weg von New York zu Verwandten nach Israel in Weißenfels Station machte. Am Mittwochnachmittag hatte Enrico Kabisch vom Weißenfelser Simon-Rau-Zentrum die junge Frau vom Flughafen Halle/Leipzig abgeholt. Und er erklärte anhand eines Stammbaums, warum die Amerikanerin aus der Weltstadt New York ausgerechnet im Saale-städtchen vorbeigeschaut hat: „Bracha ist eine Ururenkelin des Juden Julius Lewinsohn, dem einstigen Inhaber der Trampler-Schuhfabrik in Weißenfels.“
Besuch im Simon-Rau-Zentrum
Angesichts dieser Verbindung lag es auf der Hand, dass sich die 27-Jährige, die in New York als Englischlehrerin für Emigranten arbeitet, auf ihrer Kurzvisite in der Ausstellung des Simon-Rau-Zentrums unter dem Titel „Jüdisches Leben in Weißenfels“ umschaute. Steht doch in der Dammstraße 18 auch jene Schreibmaschine, auf der Julius Lewinsohn Gedichte und Briefe an seine Kinder verfasste. Einige Monate vor seiner Deportation im September 1942 wurde ihm der Besitz einer Schreibmaschine verboten, worauf Lewinsohn ihr einen Abschiedsbrief widmete. Lewinsohn starb im April 1943 im Ghetto Theresienstadt.
2008 ist das Simon-Rau-Zentrum in Weißenfels gegründet worden. Den 16 Mitgliedern geht es einerseits darum, die Geschichte und die Schicksale der jüdischen Bevölkerung in der Stadt zu erforschen, vor allem der Opfer der Nazidiktatur. Zum anderen widmet sich das Zentrum der Aufklärung über rechte und neonazistische Strukturen im Burgenlandkreis. Die Mitglieder haben zudem die Pflege jener sieben Tafeln zur Geschichte übernommen, die in der Stadt stehen.
Neben der zu den Hintergründen der Judenverfolgung in der Jüdenstraße sind das Tafeln in der Nordstraße 14, die leider zerstört wurde und wieder ersetzt werden muss, am Schloss, am Rathaus, in der Zeitzer Straße nahe der Kaserne und in der Roßbacher Straße. Der Verein interessiert sich zudem für die vielen kleinen Geschichten über das Leben der Menschen jüdischen Glaubens in Weißenfels. (ze)
E-Mail:Kontakt zum Verein: [email protected]
Internet:www.facebook.com/simon.rau.zentrum
Gemeinsam besuchten Enrico Kabisch und Bracha Zucker weitere Orte, die in Weißenfels an die Geschichte ihrer Vorfahren erinnern: den Standort der einstigen Trampler-Schuhfabrik in der Kubastraße, die ehemalige Synagoge in der Nordstraße und den jüdischen Friedhof der Stadt. Auch dem Museum auf dem Schloss galt ihre Aufmerksamkeit. „Es war sehr interessant, jene Orte zu besichtigen, die an das Leben der jüdischen Gemeinde in Weißenfels erinnern“, meinte Bracha Zucker, die die Stadt zum ersten Mal besucht hat. Und sie fügte hinzu: „Ich hatte allerdings mehr Anzeichen jüdischen Lebens von heute in der Stadt erwartet. Traurig ist der Zustand der ehemaligen Synagoge.“
Souvenir aus Weißenfels
Als Erinnerung an ihren kurzen Besuch in Weißenfels konnte Bracha Zucker schließlich ein besonderes Bild aus dem Weißenfelser Stadtarchiv mitnehmen. Die Aufnahme aus den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts zeigt ein Haus in der Merseburger Straße 7. Darin hatte ihr Großvater mit seiner Familie gewohnt und dort einen Lederwarenhandel betrieben. Auch diesen Ort, an dem das Haus von einst allerdings heute nicht mehr steht, hat Bracha Zucker während ihrer Stippvisite auf den Spuren ihrer Vorfahren besucht. (mz)