Sangerhausen Sangerhausen: Rettig schweigt zu Schnüffelaffäre
SANGERHAUSEN/MZ. - Wer eine Erklärung des Angeklagten erwartet hatte, wurde enttäuscht. Der Südharzer Bürgermeister Ralf Rettig (CDU) hat am Donnerstag im Prozess um die so genannte Schnüffelaffäre im Verwaltungsamt von seinem Recht zu schweigen Gebrauch gemacht. Rettig muss sich vor dem Sangerhäuser Amtsgericht verantworten, weil er das illegale Ausspähen von Daten vorbereitet haben soll.
Er habe sich im Juni vergangenen Jahres das Administratorkennwort des Computernetzwerkes besorgt und dann von einem Dritten, der in die Einzelheiten nicht eingeweiht gewesen sein soll, das Spionageprogramm "Spector Pro" auf einen Rechner im Verwaltungsamt aufspielen lassen. Dabei habe er es bewusst unterlassen, wie vorgeschrieben zuvor den Personalrat und die Mitarbeiter zu informieren, sagte Staatsanwältin Dagmar Lechten. Der Fall hatte im vergangenen Jahr bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Die Gewerkschaft Verdi erklärte damals, der Bürgermeister habe die neue Vorsitzende des Personalrats ausspionieren wollen und sprach von Stasi-Methoden.
Auch wenn der Angeklagte am Donnerstag dazu schwieg, ließ er doch über seinen Anwalt Wolfgang Müller aus Halle ausrichten, dass er keineswegs die Personalratsvorsitzende habe bespitzeln wollen. Der Computer der Frau sei zufällig ausgewählt worden.
Allerdings wurde nach Ansicht von Prozessbeobachtern seine Glaubwürdigkeit erschüttert: Laut der Personalratschefin, die als Zeugin gehört wurde, gab es nämlich bereits seit Jahren eine Kontrollsoftware im Verwaltungsamt in Roßla. Damit sei überprüft worden, ob die Mitarbeiter die Dienstvorschrift einhalten, nach der Internet und E-Mail nicht privat genutzt werden dürfen.
Die Auswertung habe die stellvertretende Bürgermeisterin und frühere Verwaltungschefin Anja Wöbken, die dort auch Datenschutzbeauftragte ist, zum Teil wöchentlich erhalten. Rettig habe die Software auch gekannt. "Es hätte damit keines weiteren Kontrollprogrammes bedurft", sagte die Zeugin.
Sie wies auch daraufhin, dass es ihres Wissens nach bis auf einen Fall, der vor 2005 liegen soll, keine Verstöße gegen die Internet-Dienstvorschrift gab. Rettig hatte dagegen gesagt, Mitarbeiter in der Verwaltung hätten Porno- und Sexseiten aufgerufen.
Die Zeugin sprach davon, dass sich das Betriebsklima aufgrund des Vorfalls sehr verschlechtert habe. "Die Mitarbeiter sind verängstigt. Jeder fragt sich, was kann ich, was darf ich." Einige hätten sogar Angst, dass Kameras versteckt oder Telefone angezapft seien.
Ebenfalls befragt wurde am Donnerstag der angebliche Fachmann, der in Rettigs Auftrag das Programm an einem Samstag aufgespielt haben soll. Er will den Bürgermeister zuvor daraufhin hingewiesen haben, dass die Installation der Software so wörtlich "genehmigungspflichtig" ist. Man habe erst versucht, das Programm auf Rettigs Dienstrechner zu installieren, damit er mit Hilfe des Netzwerkes sehen könne, was seine Mitarbeiter machen.
Als das nicht funktionierte, habe man es auf einem anderen Rechner aufgespielt. "Den habe ich mir ausgesucht, wahlfrei", sagte der Zeuge. Allerdings musste der Mann mehrfach von Richter Sven-Olaf Zärtner ermahnt werden, weil sich seine Aussagen am Donnerstag zum Teil erheblich von früheren unterschieden. Der Zeuge versuchte das mit Erinnerungslücken zu erklären. Die Installation des Programms wurde aber abgebrochen, weil Rettig immer den fremden Rechner für seine Kontrollzwecke hätte benutzen müssen, sagte der "Fachmann", der vor Jahren eine kleine Computerfirma besaß. Er hatte für die Installation und das Programm erst 180 Euro von Rettig verlangt, später aber kein Geld genommen.
Der Prozess wird kommenden Dienstag fortgesetzt. Dann sollen die stellvertretende Bürgermeisterin Anja Wöbken und der Administrator des Computersystems im Verwaltungsamt, Lars Wiechert, gehört werden.