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  7. Olaf Scholz im Hochwasser-Gebiet: Fake-News zu Flüchtlingen verbreitet

Wirbel um Videos und Fotos Flüchtlinge nicht wegen Scholz beim Sandsackschippen - Fake-News tausendfach verbreitet

Am Donnerstagabend wurden tausendfach Fotos und auch kurze Videos verschickt, deren Botschaft gleich war: Flüchtlinge aus Nordhausen seien extra für einen Fototermin mit Kanzler Olaf Scholz herangefahren worden und nicht, um zu arbeiten. Doch MZ-Recherchen zeigen: Das sind Fake-News. Warum die Flüchtlinge da waren.

Von Joel Stubert Aktualisiert: 06.01.2024, 15:33
Olaf Scholz (Dritter von links) sieht einer Helferin an der Sandsackbefüllungsstelle in Berga beim Schippen zu.
Olaf Scholz (Dritter von links) sieht einer Helferin an der Sandsackbefüllungsstelle in Berga beim Schippen zu. Foto: Jan Woitas/dpa

Berga/MZ - Es ist ein Beispiel dafür, wie schnell sich Falschinformationen verbreiten und verfestigen können. Schon wenige Stunden nach der Abreise von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aus dem Hochwassergebiet in Mansfeld-Südharz machten in den sozialen Netzwerken kurze Videos die Runde. Darauf zu sehen waren Flüchtlinge in orangefarbenen Westen auf dem Gelände der zentralen Sandsackbefüllungsanlage in Berga.

Verbunden wurde dies mit der Botschaft, dass diese Flüchtlinge extra aus Nordhausen nach Oberröblingen gefahren worden seien, um mit Kanzler Olaf Scholz schöne Bilder zu machen. Deshalb seien sogar andere zivile Helfer weggeschickt worden.

Solche und ähnliche Screenshots und Videos machten am Donnerstagabend schnell die Runde und wurden tausendfach geteilt.
Solche und ähnliche Screenshots und Videos machten am Donnerstagabend schnell die Runde und wurden tausendfach geteilt.
Foto: MZ/Screenshot

Solche und ähnliche Screenshots und Videosequenzen machten am Donnerstagabend schnell die Runde und wurden über Messengerdienste tausendfach geteilt.

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Auch die AfD verbreitet die Falschinformationen

Ein Bild, auf dem die Ausländer zu sehen sind, wie sie – inzwischen ist es draußen dunkel – im Feuerwehr-Gerätehaus etwas essen und zwei von ihnen ein Feierabendbier trinken, wurde ebenfalls tausenfach geteilt und kommentiert. Was besonders auffiel: Die Gummistiefel der Männer sind sauber. „Man haben die Sand geschippt“ hieß es da (Fehler im Original).

Auch Mitglieder der AfD, unter anderem Thüringens AfD-Chef Björn Höcke, verbreiteten die Nachrichten am Donnerstagabend und im Laufe des Freitags.

Richtig ist: Es gab kein Foto von dieser Flüchtlingsgruppe mit Olaf Scholz. Denn bei deren Ankunft war er schon gar nicht mehr da. Das haben die MZ-Reporter vor Ort selbst erlebt. Die Flüchtlinge waren auch nicht extra für den Scholz-Termin aus Nordhausen angereist. „Das stimmt alles überhaupt nicht“, sagt der Leiter der Freiwilligen Feuerwehr Berga, Jörg Hoffmann. „Hier versuchen Menschen, Stimmung zu machen.“

Das Geheimnis der sauberen Gummistiefel: eine Waschanlage

Die Flüchtlinge seien am Nachmittag gekommen, als der Kanzler schon weg war, und hätten ordentlich mit angepackt. „Die haben eine super Leistung gebracht“, sagt Hoffmann. Ihr Aufgabe habe darin bestanden, beim Füllen der Sandsäcke zu helfen.

„Das ging bis abends, als es dunkel wurde.“ Und auch die Botschaft unter dem Bild, auf dem die Flüchtlinge essen, sei falsch. „Ja, die Gummistiefel sind sauber. Das liegt aber daran, dass wir eine Stiefelwaschanlage haben.“ Zu essen habe es im Übrigen Bockwurst und Kuchen gegeben. „Vor allem auf den Kuchen waren sie scharf“, sagt Hoffmann.

Wer die Aufnahmen gemacht hat, weiß er nicht. Allerdings seien ihm Leute am Rand aufgefallen. „Die haben auch nicht mit geholfen. Hätten sie mal lieber die Schaufel in die Hand genommen“, meint Hoffmann.

Feuerwehr erntet mit Richtigstellung wüste Beschimpfungen

Der Wirbel um die Flüchtlinge habe die Helfer verunsichert. „Wir haben die Schnauze voll“, sagt er. Denn am Abend hatte die Feuerwehr Berga bereits eine Richtigstellung bei Facebook veröffentlicht. „Aber es gab darauf hin so viele Beschimpfungen, dass wir die dann wieder heruntergenommen haben.“

Dass die Flüchtlinge aus Nordhausen kamen und in Großraumtaxis angefahren kamen, trifft indes zu.

„Allerdings ist es großer Unsinn, dass dieser Einsatz in Verbindung mit dem Besuch des Kanzlers stand“, sagt Jessica Piper, Sprecherin des Landkreises Nordhausen. Vielmehr sei in einem Kreistagsbeschluss sogar festgehalten worden, dass Flüchtlinge zu gemeinnütziger Arbeit eingesetzt werden sollen.

Auf dieser Grundlage habe man dem Bürgermeister von Berga ein Hilfsangebot geschickt und dieser habe es kurzfristig angenommen. Die Flüchtlinge hätten dann bis abends gearbeitet. „Es war ein großer Erfolg. Die Flüchtlinge haben sich gefreut, weil sie das Gefühl hatten, dass sie gebraucht werden. Sie haben auch sehr fleißig und effektiv gearbeitet“, so Piper.

Kreis Nordhausen setzt Flüchtlinge für gemeinnützige Arbeiten ein

Seit dem Einsatz hätten sich schon mehrere weitere Flüchtlinge freiwillig gemeldet, um beim nächsten Mal dabei zu sein. Nach dem Wirbel um die Falschinformation wolle man nun aber erst einmal mit weiteren Einsätzen warten.

Insgesamt seien in Berga 21 Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern wie Elfenbeinküste, Irak, Syrien, Ukraine oder Türkei dabei gewesen, so Piper. Sie hätten sich freiwillig gemeldet. Auch in der Vergangenheit habe man schon Freiwillige für gemeinnützige Arbeiten eingesetzt, etwa an Kirchen oder auf dem Bauhof.

Auch an ihren Gemeinschaftsunterkünften seien sie für gemeinnützige Arbeiten wie Müll aufsammeln, Malern oder Putzen im Einsatz. „Die Arbeit beim Sandsackfüllen eignet sich gut“, sagt Piper. Denn dabei gehe es um routinierte und strukturierte Abläufe.

Stadtwehrleiter warnt: Das schadet den Betroffenen

Sangerhausens Stadtwehrleiter Arno Kalina warnt unterdessen vor Falschnachrichten, die schon seit einigen Tagen im Zusammenhang mit dem Einsatz von freiwilligen Helfern im Helme-Hochwasser in den sozialen Medien verbreitet würden. „Hier wird die Information gestreut, dass Helfer abgewiesen wurden und extra für den Besuch des Bundeskanzlers Ausländer in Bussen herangefahren wurden. Das stimmt einfach nicht!“, sagt Kalina.

Er sieht die Gefahr, dass solche Falschnachrichten Ehrenamtliche abschrecken, noch weiter im Hochwasser zu helfen. „Ohne die vielen Freiwilligen wäre die Leistung, die bis jetzt erbracht wurde, nicht möglich gewesen“, sagt Kalina.

In den schwierigsten Stunden seien in manchen Abschnitten mehr Zivilisten als Feuerwehrleute im Einsatz gewesen. „Uns das jetzt durch solche Fake News kaputtzumachen wäre schlimm“, sagt er. Und betont: Das schadet vor allem den Betroffenen, deren Häuser vor dem Hochwasser gerettet werden sollen.