MZ-Serie "Menschenbilder" MZ-Serie "Menschenbilder": Der Militärarzt

Sangerhausen - Jan Phenn ist 44, verheiratet, Vater zweier Kinder und Arzt. Er ist Chef der Unfallchirurgie und Orthopädie der Sangerhäuser Helios-Klinik. Und er war im Krieg. Nicht in einem, sondern in mehreren. Phenn war vor seiner Sangerhäuser Zeit Sanitätsoffizier bei der Bundeswehr. Oberfeldarzt lautete sein Dienstgrad zur Entlassung aus dem aktiven Dienst.
Man könnte sagen, dass man es ihm ansieht, dass er beim Militär war. Sportlich. Kurzer Haarschnitt. Nein, kein Befehlston. Aber er formuliert genau, kommt ohne Umschweife zur Sache, fixiert dabei sein Gegenüber. Aufmerksam und freundlich. „Einsatz ist Einsatz. Heimat ist Heimat“, wird er etwas später zur Erklärung sagen, ob der Krieg in seinen Gedanken und Träumen noch gegenwärtig ist. Die Frage liegt nicht so fern, wenn er von seinen Erlebnissen berichtet.
Seine Schwester begeisterte Jan Phenn für die Arbeit im Krankenhaus
Phenn stammt aus Sachsen. Sein Vater arbeitete in einer Ifa-Werkstatt. Seine Mutter war Fleischfachverkäuferin. Eine Laufbahn als Arzt war ihm nicht in die Wiege gelegt. Seine große Schwester war es, die ihn für die Arbeit in einem Krankenhaus begeisterte, denn sie wurde Krankenschwester und nahm den jüngeren Bruder manchmal mit an ihren Arbeitsplatz. An seiner Schule habe es auch eine Arbeitsgemeinschaft „Junge Sanitäter“ gegeben, in der er mitgearbeitet habe. Er war auch beim Jugendrotkreuz.
Doch so einfach war das damals nicht mit dem Wunsch, Arzt zu werden. Die Plätze an der Erweiterten Oberschule (EOS) waren beschränkt und die Zahl der Studienplätze sowieso. Wie jeder andere junge Mann, der sein Abitur ablegen wollte, musste sich Phenn zu drei Jahren Dienst in der Nationalen Volksarmee (NVA) verpflichten. Als er seinen Dienst bei der „Fahne“ antrat, war es September 1989 und die Tage der NVA waren gezählt. „Wir, die wir gerade erst vereidigt worden waren, wurden einfach von der Bundeswehr übernommen.“
Die Bundeswehr finanziert Jan Phenn das Medizinstudium
Andere hätten vielleicht sofort ihren Dienst quittiert. Phenn hatte aber erfahren, dass auch die Bundeswehr die Möglichkeit eines Medizinstudiums einräumt. Voraussetzung - man verpflichtet sich, für 16 Jahre der Bundesrepublik als Soldat zu dienen - mit allen Konsequenzen.
„Der Bund investiert nicht einfach so mal ein paar Tausend Euro in eine Ausbildung, wenn er dann nichts davon hat“, sagt Phenn pragmatisch. Ein Mann, der halbe Sachen macht oder sich aus Situationen herauswindet, ist er sowieso nicht. Geradlinig ist da wohl das passende Adjektiv. „Wenn man sich für etwas entscheidet, dann muss man es auch durchziehen“, sagt er.
Von seiner Ausbildung schwärmt Phenn. Die Bundeswehr spart nicht bei ihren Sanitätsoffizieren, die eine Menge lernen müssen. Schließlich sind sie irgendwann im Einsatz mal ganz auf sich gestellt, müssen sich in der Bauchchirurgie ebenso auskennen wie als plastischer Chirurg, Gefäßchirurg, Augenarzt oder als Geburtshelfer.
Jan Phenn war als Militärarzt im Kosovo im Einsatz
Sechs Jahre lang studierte Phenn in Leipzig. Er promovierte dort und absolvierte eine Facharztausbildung. Für die Zeit des Studiums war er beurlaubt - so wie das für alle üblich ist, die eine solche Laufbahn einschlagen. Aber auch das längste Studium endet einmal. Und dann erwartet die Bundeswehr vollen Einsatz. Sein erster Einsatzort war Gera. Bei den Pionieren. 1999. Und von dort ging es in den Krieg.
In den deutschen Nachrichten hörte man damals über den weit entfernten Krieg im Kosovo, über Kriegsverbrechen in Srebrenica. Massengräber wurden gefunden. Aber der Krieg war in Deutschland für viele weit weg. Nicht für den jungen Sanitätsoffizier Jan Phenn aus Sachsen. Für ihn ist der Krieg plötzlich Realität. Er kommt dort an, wo gerade noch bewaffnete Kämpfe tobten. Dort, wo die Massengräber gefunden wurden.
„Es waren noch keine Gerichtsmediziner vor Ort, also wurden wir Militärärzte gerufen, um die Menschen in den Massengräbern zu identifizieren. Um vielleicht festzustellen, wodurch sie umgekommen sein könnten.“ Mit Baggern wurden die Massengräber geöffnet und auch ausgehoben. „Ich war froh, wenn ich an den toten Körpern offensichtliche Verletzungen fand, die wahrscheinlich die Todesursache gewesen sein konnten.“ Vorrangig bosnische Männer und Jungen wurden dort getötet. Von mehr als 8.000 ist die Rede, die diesen Kriegsverbrechen zum Opfer fielen.
In Sangerhausen fühlt sich der Arzt heimisch
Phenn bewertet diesen Einsatz im Nachhinein nicht. Er sagt nicht, ob er froh darüber war, als die Gerichtsmediziner ankamen, um die Sanitätsoffiziere abzulösen. Damit die wieder Verletzten helfen konnten.
In der Serie „Menschenbilder“ stellt die MZ Männer und Frauen aus der Region vor, die eine besondere Geschichte zu erzählen haben. Menschen, die nicht ständig im Rampenlicht stehen, berichten hier über ihre Erlebnisse oder ihr Schicksal - so wie Dr. Jan Phenn.
Im nächsten Beitrag kommt eine 90-Jährige zu Wort, die im Pflegeheim lebt und auf A4-Blättern mit dem Kugelschreiber ihre Biografie festhält, denn sie hat der Nachwelt etwas zu erzählen. Vor allem möchte sie, dass die Generationen nach ihr, manchen Fehler nicht wiederholen.
Eine junge Frau, die abhängig von der Droge Crystal Meth war, spricht über ihren Alltag. Sie den Absprung geschafft - gerade noch rechtzeitig, bevor der für sie wichtigste Mensch überhaupt in ihr Leben getreten ist.
Auch ein Mann, der vor einigen Jahren einen Menschen bei einem Autounfall schwerst verletzte, findet den Mut, seine Geschichte zu erzählen. Er wird über den Unfall sprechen und wie sich dieses einschneidende Erlebnis auf sein Leben ausgewirkt hat.
Seine Intention als Arzt: Menschen helfen zu können. „So viel Leid wie dort habe ich bei keinem anderen Einsatz mehr gesehen“, sagt Phenn dann aber doch, während er jetzt in seinem Büro in Sangerhausen sitzt. Hier in Sangerhausen fühlt er sich wohl. Es sei eine schöne Stadt in einer sehr schönen Gegend, für die er sich vor fünf Jahren ganz bewusst entschieden habe, um hier im Krankenhaus zu arbeiten und mit seiner Familie - Frau, Tochter und Sohn - heimisch zu werden.
Sein Blick schweift ganz kurz zu der Vitrine, in der unter anderem ein unbrauchbar gemachtes Sturmgewehr und ein Stahlhelm liegen. Geschenke von Freunden, sagt er. Freundschaft und Kameradschaft - das sind Begriffe, die ihm sehr wichtig sind. Wie wichtig, das bemerkt er, wenn sich ihm gegenüber ein Patient als ehemaliger Soldat zu erkennen gibt. „Dann fühle ich mich sofort irgendwie mehr verbunden“, sagt Phenn.
Phenn wünscht sich, dass Kriegsveteranen in Deutschland besser betreut werden
Als er von seinem ersten Einsatz im Kriegsgebiet zurückkehrte, habe er einen völlig anderen Zugang zu seinem eigenen Großvater gefunden, der als junger Mann im Krieg war. „Er konnte dann besser mit mir reden, weil ich ähnliche Erfahrungen gemacht habe wie er. Das hat mich sehr berührt.“ Was ihm in Deutschland fehle sei eine Institution, die die deutschen Kriegsveteranen in der Heimat begleite, so wie das in Amerika üblich sei. Hier sei jeder am Ende sich selbst überlassen. Und natürlich leiden auch viele Veteranen unter ihren Erlebnissen.
„Aber niemand spricht in der Heimat mehr darüber. Sie werden einfach vergessen. Das finde ich nicht gut“, sagt der Arzt. Natürlich werde nach Einsätzen mit den Soldaten gesprochen, werde versucht, traumatische Erlebnisse aufzuarbeiten. Aber zu Hause, entlassen aus dem Militär, sei das alles kein Thema mehr, über das man spricht. Ganz im Gegenteil: Man werde in Deutschland von Kriegsgegnern in Empfang genommen, die einen für den Einsatz verurteilen. „Die Soldaten sind von der deutschen Regierung in die Kriegsgebiete entsandt worden. Das wird vergessen.“ Phenn schwankt zwischen Enttäuschung und etwas Ärger.
„Krieg ist idiotisch“
„Können Sie sich vorstellen, jemanden zu töten“, fragt er. „Nicht? Ich weiß nicht, ob ich jemanden getötet habe dort im Einsatz“, sagt er. „Denn natürlich schießen auch deutsche Soldaten und auch Sanitäter zurück, wenn sie selbst unter Beschuss geraten.“ Dabei sei keine Zeit zu zielen und zu schauen, ob und wen man getroffen habe. Der militärische Drill komme einem hier zu Hilfe, sagt Phenn.
Es werde so oft geübt, immer wieder geübt mit Platzpatronen und in Friedenszeiten auf dem Übungsplatz, dass es einem schließlich zuwider sei. „Aber es hilft, wenn es hart auf hart kommt. Wenn man dann einfach ein Programm abrufen kann und nicht erst überlegen muss, wie man handeln soll. Dann kann man auch als Arzt Schutzbefohlene mit der Waffe verteidigen.“ Phenn überlegt einen Augenblick und setzt schlicht hinzu: „Krieg ist idiotisch.“
Ein Notruf ist das einzige, was ihn heute nachts im Bett aufschrecken lässt. „Ich träume nicht vom Krieg. Ich habe das irgendwie schon immer klar getrennt. Einsatz ist Einsatz. Heimat ist Heimat.“ Das macht er unter anderem daran fest, dass er im Einsatz geraucht habe, niemals aber in Deutschland.
Seinen Kindern zuliebe beendete Jan Phenn sein Karriere beim Militär
Sobald das Flugzeug im Einsatzgebiet landete und er die ersten transportfähig gemachten Verletzten sah, war der Schalter umgelegt. Trotzdem ist der Tod ein ständiger Begleiter. Menschen sterben, weil er ihnen nicht mehr helfen kann. Wie nah der Tod an ihn herankommen kann, sei ihm 2010 im Kundus auf einen Schlag klar geworden. „Mein fünfmonatiger Einsatz dort war zu Ende. Auf dem Flughafen trafen wir mit unseren Nachfolgern zusammen. Ich habe den neuen Sanitätsoffizier begrüßt, Tipps gegeben. Drei Tage später hörte ich davon, dass sein Fahrzeug von einer Panzerfaust getroffen wurde. Ein paar Tage zuvor wäre ich an seiner Stelle gewesen.“
Den Anstoß, die Karriere bei der Bundeswehr aufzugeben, gaben seine beiden Kinder. Natürlich habe er von Anfang an um das Risiko für seine Gesundheit und sein Leben gewusst, wenn er in einen Auslandseinsatz geschickt wurde. Aber als junger Mann trug er allein Verantwortung für sich.
Lobende Worte für die Sangerhäuser Helios-Klinik
„Nach einem Angriff habe ich, bevor Nachrichtensperre verhängt wurde, schnell meine Frau informiert, dass es mir gut geht. Aber die Kinder im Kindergarten haben schon mitbekommen, dass die Erzieherinnen sie besonders behandelt haben, wenn es neue Nachrichten aus den Einsatzgebieten gab. Sie mussten schon mit einiger Unsicherheit leben. Sie haben sich um mich gesorgt. Kinder sollten sich nicht um ihren Vater sorgen müssen“, überlegt Phenn.
Als Sanitätsoffizier hatte er die Wahl unter verschiedenen Fachbereichen, als er ins zivile Leben zurückkehrte. Seine Wahl fiel schließlich auf die Unfallchirurgie. Sie ist geradlinig wie er. „Als Unfallchirurg siegt man sofort oder man verliert sofort“, erklärt er und freut sich, es in Sangerhausen so gut getroffen zu haben.
Lobende Worte findet er für sein Team und auch für die Klinik. „Was wir uns zutrauen, dürfen wir hier auch machen“, sagt er. Dass sei nicht überall so. Und, dass man als Arzt nicht nur seinen Beruf, sondern die Menschen lieben müsse. „Wenn ich nachts durch einen Notruf aus dem Bett geholt werde, weiß ich nicht, wer und was mich erwartet. Aber das ist völlig egal. Jeder, der zu mir kommt, ist in erster Linie mein Patient. Ein Mensch, der meine Hilfe braucht.“
