Mansfeld-Südharz Mansfeld-Südharz: Über 150 bedrohte Arten in Kelbra
KELBRA/MZ. - Mit Bange sehen Ornithologen der geplanten Öffnung des Hauptdammes vom Kelbraer Stausee entgegen: Erstmals können Einwohner und Besucher am Ostersonntag auf der befestigten Dammkrone spazieren gehen oder mit dem Rad fahren. Ab Mai und mit Ausnahme der Wintermonate soll der Weg künftig öffentlich zugänglich sein. Doch der Förderverein Numburg, der 50 Mitglieder von Berlin bis Bad Liebenstein, aus Halle, Merseburg oder dem Eichsfeld zählt, wie auch der 25-köpfige Nordhäuser Ornithologenverein befürchten, dass die sensible Vogelwelt durch die Nähe der Menschen aus den Fugen gerät. "Es ist bedauerlich, dass diese Entscheidungen mit solcher Hast getroffen worden ist und naturschutzrelevante Fragen keine Rolle gespielt haben", sagt Joachim Scheuer.
Freie Fahrt auf der Dammkrone?1978 auf der Liste der Ramsar-Gebiete und unter dem besonderen Schutz der Konvention. Mit gutem Grund. "Denn dort brüten oder rasten über 150 bedrohte Vogelarten, die auf der Roten Liste stehen, wie beispielsweise der Reiher als auffälligste Art. Wenn man überlegt, dass es in Deutschland insgesamt etwa 500 Vogelarten gibt und dass davon über 300 in Kelbra zu beobachten sind, ist das enorm", sagt Scheuer. Zahlreiche Arten brauchen das Stauseegebiet, um auf ihrem weiten Flug über drei Kontinente hinweg - von Asien über Europa nach Afrika oder umgekehrt - frische Kräfte zu tanken.
Gefahren befürchten die Ornithologen auch für die Brutvögel, die im Grauwackeschotter des Dammes ihre Nester bauen und die Jungen aufziehen. "Der Steinschmätzer steht auf der Roten Liste, davon gibt es mindestens fünf Brutpaare. Im Nordteil brütet die Grauammer, sie war über mehrere Jahrzehnte völlig verschwunden. Am nördlichen Hauptdammende brütet der Wachtelkönig, eine Schutzart der Europäischen Union." Er gilt weltweit als bedroht.
Wer die Vögel am Stausee beobachten wolle, brauche den Hauptdamm nicht, findet Scheuer. Er ist drei-, viermal wöchentlich dort unterwegs. "Es gibt den Aussichtsturm am Kelbraer Segelhafen und den Beobachtungsturm an der Südostecke. Von dort aus lässt sich das gesamte Gebiet bestens überblicken." Der Naturpark Rottleben biete zum Beispiel zu bestimmten Terminen Führungen an, statt ständig Besucher an sensiblen Punkten zu haben.
Statt auf der Dammkrone könnten Wanderer oder Radfahrer ebenso gut an der Ostseite des Sees die alten Bahndämme von Berga nach Tilleda und von der einstigen Strecke Halle-Kassel nutzen, dann durchs Kuhried und die Aumühle nach Auleben und Kelbra gelangen. "Eigentlich gibt es ja den Rundweg schon, und er wird auch genutzt."
Und würde der Hauptdamm tatsächlich freigegeben, wäre der Einsatz von Rangern nötig. Sie sollten zu Spitzenzeiten ein wachsames Auge auf den Weg haben und "verhindern, dass Leute mit einem freilaufenden Hund kommen, der die Vögel aufscheucht oder Nester zerstört". Sachsen-Anhalt brauche endlich eine vernünftige Ausweisung von Schutzgebieten. In dieser Beziehung sei Thüringen schon wesentlich weiter, vergleicht der Nordhäuser Ornithologe.