Gesine Liesong schließt ihre Praxis in der Göpenstraße
SANGERHAUSEN/MZ. - "Sogar meinen alten Laufzettel habe ich wiedergefunden." Gesine Liesong ist selbst verwundert, wie viele Dinge all die Jahre in den Schubladen überdauert haben. Der Laufzettel ist eines der ersten Dokumente aus Gesine Liesongs Sangerhäuser Zeit. Damit musste sie von der Betriebsparteileitung bis hin zur Wäschekammer jeden abzeichnen lassen, dass sie geeignet ist, ihren Dienst in der Poliklinik Südwest anzutreten. Eine Unterschrift findet sich nur hinter der Wäscheausgabe. "Die Kittel brauchte ich. Alles andere habe ich mir gespart", sagt sie schmunzelnd.
Am 1. August 1979 eröffnete Gesine Liesong ihre Hautarztpraxis in der Poliklinik. "Dr. Hempel hatte ich diese Arbeitsstelle zu verdanken", sagte sie. Eigentlich hätte sie nach Mühlhausen gehen sollen. "Doch was wollte ich da? Die Wohnung, die ich angeboten bekam, war nicht akzeptabel." Schließlich musste die auch für ihre beiden damals sechs Jahre alten Zwillingsmädchen geeignet sein, mit denen sie bis dahin in Erfurt gewohnt hatte. Allerdings konnte sie dort keinen Arbeitsplatz finden. "Wer in der Partei war, hatte es leichter."
Gesine Liesong wurde 1944 als drittes Kind eines Camburger Arztes geboren. Schon als Kind wollte sie in die Fußstapfen des Vaters treten und Ärztin werden. Sie besuchte in ihrem Heimatort acht Jahre lang die Schule, ging danach zur EOS nach Jena. Direkt zum Medizinstudium führte ihr weiterer Weg nicht. In ihrer Beurteilung hieß es "fachlich geeignet, politisch nicht tragbar". Sei sei in einer sehr politischen Zeit herangewachsen, als die Mauer gebaut wurde, kam ich in die zwölfte Klasse. Ich habe alles sehr bewusst miterlebt." Sie wurde Krankenschwester und schaffte es danach doch zum Studium an der Akademie Erfurt, weil sie einen Ratschlag ihres Vaters beherzigte. "Ich meldete mich als Kassierin der FDJ-Gruppe. Das war eine Funktion ohne politischen Inhalt. Dafür konnte ich mich hergeben." Elf Jahre dauerte ihr Studium, bis sie den Facharzt in der Tasche hatte.
Bekannt ist Gesine Liesong in Sangerhausen und Umgebung nicht nur als Ärztin. Sie gehörte 1989 zu den Gründungsmitgliedern des Neuen Forums in Sangerhausen. "Ich wollte die DDR und den Sozialismus reformieren. Es hat mich gestört, dass ich meine Kinder sozusagen ,zweisprachig' erziehen musste, ich wollte meine Meinung frei äußern können", so Frau Liesong. Doch es hätte einiges anders laufen müssen. Die Bürger hätten sich in manchen Dingen mehr einig sein müssen. So seien die Polikliniken erhaltenswert gewesen.
Donenrstag behandelte Gesine Liesong ihren letzten Patienten. "Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich bin froh, dass ich nicht mehr zu Notdiensten fahren muss, bei denen ich immer ein mulmiges Gefühl hatte. Als Hautarzt hat man es doch mit anderen Krankheitsbildern zu tun als es akute Notfälle sind. Und den ganzen Bürokram kann ich hinter mir lassen. Aber es ist auch bitter, dass ich keinen Nachfolger für meine Praxis habe. 60 Jahre lang war hier in der Göpenstraße eine Hautarztpraxis. Das ist nun auch Geschichte. Was wird aus den vielen Patienten? Es sind schon so viele Praxen in der Region geschlossen worden."
Fotografie, Rad fahren und die Natur genießen sollen künftig ihren Alltag bestimmen. Und einen Volkshochschulkurs will sie belegen: "Ich muss meine Angst vorm Computer und dem Internet überwinden, damit ich endlich meinen Enkeln beweise, dass ich auch E-Mails schreiben kann." Und natürlich werde sie sich weiterhin politisch engagieren.