Harsche Kritik an der Bundesregierung Familie soll ab Oktober fünffachen Abschlag fürs Gas zahlen
Julia Stahl aus Hainrode weiß schon, welchen Preis ihr Gas-Anbieter nach dem auslaufenden Liefervertrag fordert. Ihre Sorge vor der Zukunft ist gewaltig - und keine Lösung in Sicht

Südharz/MZ - Für die meisten Familien, die auf Erdgas angewiesen sind, mag der angekündigte Preisanstieg noch vage irgendwo in der Zukunft liegen. Julia Stahl, die in Hainrode (bei Bleicherode) wohnt und für zwei Unternehmen in der Gemeinde Südharz in Mansfeld-Südharz arbeitet, hat es schon erwischt. Eiskalt. „Unser Gasliefervertrag läuft Ende September aus“, sagt die 34-Jährige. „Bisher haben wir einen monatlichen Abschlag von 205 Euro bezahlt. Ab Oktober sind es 980 Euro monatlich.“ Das ist fast das Fünffache!
„Ich weiß nicht, wie ich das Gas bezahlen soll“
Der Schock sitzt tief. Julia Stahl ist Ingenieurin für Geotechnik, ihr Mann als Dachdecker selbstständig. Sie haben ein dreijähriges Kind; außerdem bezahlt ihr Mann Unterhalt für ein weiteres Kind. Das monatliche Nettoeinkommen der Familie beträgt rund 4.500 Euro, sagt Stahl. „Das war voriges Jahr.“ Auftrags- und coronabedingt schwankt es, liegt auch mal knapp unter 4.000 Euro. „Ich weiß nicht, wie ich das Gas bezahlen soll.“
Gasversorger verweist auf neue Höchststände bei Beschaffungskosten
Das Schreiben des Gasversorgers, das der MZ vorliegt, verweist auf den „Ukraine-Krieg und die damit verbundene Reduktion der Erdgas-Liefermengen aus Russland“, die zu „neuen Höchstständen bei den Beschaffungskosten für Erdgas geführt“ hätten. Aufgrund der aktuellen globalen Entwicklungen gingen führende Energieexperten sowie die Bundesnetzagentur von einem anhaltend höheren Preisniveau aus, heißt es weiter.
Deshalb sei man „leider gezwungen“, die Konditionen für den Vertrag „anzupassen“: Der Arbeitspreis steige von bisher 5,3 Cent je Kilowattstunde auf 26,9 Cent je Kilowattstunde - jeweils einschließlich 19 Prozent Mehrwertsteuer. Der monatliche Grundpreis von 15,90 Euro ändere sich hingegen nicht.
Hohe Kosten für die Gasheizung: Altes Haus erst teilweise saniert
Für Julia Stahl und ihren Mann ist das ein Schlag in die Magengrube. „Unser Haus ist um 1850 gebaut worden, ein altes Fachwerkhaus mit Lehmwänden.“ Ihr Mann hat es vor zehn Jahren gekauft, die Fenster erneuert und innen das Gröbste saniert. Doch Dach und Fassade sind noch nicht gedämmt. „Wir verbrauchen im Jahr rund 40.000 Kilowattstunden“, sagt die 34-Jährige. Während der Sanierung sei damals eine neue Erdgasanlage installiert worden, vor zwei Jahren nochmals eine komplett neue - für 6.000 Euro.
„Bisher sind wir über die Runden gekommen.“ Sie hätten eine private Landwirtschaft, hielten Pferde als Hobby. Sparsam gingen sie schon von Anfang an mit Energie um. Das warme Wasser werde nur bis 55 Grad Celsius erhitzt, weniger dürfe es wegen möglicher Legionellengefahr nicht sein. Der Hauskredit läuft, der Unterhalt für das Kind ihres Mannes sei zu leisten. Geld, um jetzt noch die Heizung irgendwie umzurüsten, hätten sie nicht - und selbst wenn, würde es an fehlenden Teilen oder Firmen scheitern.
Gasheizung wird immer teurer: Angst um die Existenz und kein zweites Kind
So wie ihnen werde es vielen Familien ergehen, befürchtet Stahl. „Wenn die Leute alle das Gas nicht mehr nutzen und alle plötzlich elektrisch heizen wollen, gibt es den großen Blackout. Dann geht keine Supermarkttür mehr auf, es funktioniert kein Bankautomat mehr, niemand könnte mehr tanken. Wo ist bei minus 25 Grad die nächste Wärmestube?“
Wie solle sie dann arbeiten? Wofür? Fürs Haus, das sie vielleicht verlieren, wenn sie Privatinsolvenz anmelden müssen und das eigentlich als Altersvorsorge gedacht war? Um dann unter der Brücke zu schlafen? Sich einen dritten Job suchen? „Ich habe Angst um unsere Existenz, Angst um unser Kind. Ein zweites werde ich nicht bekommen, das würde ich auch jedem raten.“
Neue Gaspreise: Anbieter beharrt auf hohem Abschlag
Einen neuen und günstigeren Gasanbieter, weiß Stahl, werden sie jetzt nicht finden. „Im Schreiben steht ja nicht mal drin, wie lange die neuen Konditionen gelten.“ Sie empfinde die Situation als „Spirale, die sich wie eine Schlinge um unseren Hals zieht“.
Selbst wenn sie die Heizung jetzt abstellen würde, könnte sie den Abschlag nicht verringern. Und nun kommt noch die Gasumlage obendrauf, die mit weiteren knapp 1.000 Euro im Jahr zu Buche schlagen wird - netto! „Der Gasanbieter ist definitiv nicht bereit, von seinem Abschlag runterzugehen. Habe angerufen und nachgefragt“, sagt Stahl.
Hohe Gaspreise: Familie fühlt sich von der Bundesregierung im Stich gelassen
Die 34-Jährige ist bitter enttäuscht: „Jetzt lässt uns die Bundesregierung im Stich. Was sie mit uns machen, ist ein Verbrechen, sie nehmen uns selber die Lebensgrundlage. Sie ruinieren uns.“ Sie fühle sich von den Politikern „nur belogen. Dabei haben sie einen Eid geleistet, das Volk und die Menschen zu schützen. Nun fahren sie unser Land an die Wand. Sie schützen nur die Konzerne.“
Was sie tun könne, wisse sie nicht, sagt Stahl. „Ich bin völlig überfordert, um ehrlich zu sein.“ Trotzdem müssten sie versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. „Es geht hoffentlich irgendwie weiter.“