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Eine Straßenrunde um die kleine Dorfkirche St. Nicolai

Von Ingrid Semmler 05.11.2004, 18:00

Breitenbach/MZ. - Der erste Blick fällt da auf den schönen Spielplatz. Rustikale Geräte laden zum Klettern und Turnen ein. Ein Jägerzaun macht den Platz nahe der Straße sicher für die Kinder. "Für manche im Dorf ist der Spielplatz rausgeschmissenes Geld", sagt Bürgermeister Manfred Römmisch: "Breitenbach hätte andere Probleme, sagen sie." Römmisch - selbst Vater von vier Kindern, die aus dem Spielplatzalter längst heraus sind - versteht das nicht: Auch in einem kleinen Dorf sollten seiner Meinung nach die Kinder so eine Möglichkeit zum gemeinsamen Spielen haben.

In der Nähe vom Spielplatz fallen zwei leer stehende Häuser mit kaputten Fensterscheiben ins Auge. Eins davon hat bereits eine Zukunft, die des anderen steht noch in den Sternen. Das stört so manchen im Ort - und auch das Dorfbild, das von schmucken und gepflegten Häusern geprägt wird. Doch damit muss so manche Gemeinde leben.

Ein paar Meter weiter um St. Nicolai herum bekommt die Idylle wirklich einen tiefen Riss: "Ortsschänder" und "Vollblutidiot" steht da mit schwarzer Ölfarbe an einem Gehöft auf zwei neue helle Holztore gekrakelt. Die Schmiererei gilt dem Bürgermeister, die Tore gehören ihm.

Was hat der Mann getan, dass er den "Ort schändet"? Er hat, wie er selbst sagt, im Frühjahr Bäume im Dorf verschneiden lassen, die in die Elektroleitungen hineinwuchsen. Und zwar gleich so viel, dass im nächsten Jahr nicht schon wieder die Kettensäge ran muss. Verschnittene Bäume sind nicht unbedingt ein schöner Anblick. Eine Breitenbacherin hat sich darüber sehr aufgeregt und ihn beschimpft. Das hat ihn geärgert. Aber sie hat mit ihm geredet, sich Luft gemacht. Damit kann er leben. Die Sache war erledigt. Für irgendjemand im Dorf aber nicht: Denn einer hat in einer Nacht im April die schwarze Farbe genommen und die zwei Tore ruiniert.

Die Stimmung im Dorf hat das nicht gerade verbessert. Getuschel, Gerüchte, Schadenfreude oder Verdächtigungen tragen nicht dazu bei, dass man mehr mit- als übereinander redet. Manche im Dorf sehen das als den Hauptgrund an, warum sich in Breitenbach als einziger Gemeinde im Landkreis keine Kandidaten für die Kommunalwahl im Juni fanden.

Doch gehen wir erst noch ein Stück weiter um die Dorfkirche herum, fast bis zum Ausgangspunkt. Dort wird gerade das Laub vom Rasen vor dem Gotteshaus "gefegt". Drei Frauen und ein Mann schaffen sich dabei. Lothar Graul aus Wallhausen ist der Breitenbacher Gemeindearbeiter, gefördert über das Arbeitsamt. Roswitha Böhme aus Breitenbach hat eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) bei der Regional in Rottleberode. Antja Niemiec aus Horla macht ihren Ein-Euro-Job, der bis Ende des Jahres läuft.

Die vierte im Bunde, Diana Kronberg aus Breitenbach, hat nur einen Vertrag mit sich selbst, erhält keinen müden Cent dafür. Die gelernte Zootechnikerin hat schon lange keine Arbeit mehr. Zuhause rumsitzen will Frau Kronberg nicht, also schaut sie, wo Hilfe gebraucht wird und packt mit zu. "Allein hätte ich mich hier auch nicht hingestellt und Laub geharkt. Aber so macht es richtig Spaß", sagt sie: "Das Schöne daran ist auch, wenn der Wecker früh klingelt, weiß ich, ich müsste ja nicht aufstehen. Umso leichter fällt es aber."

Solche Herbstarbeiten im Dorf wollte Diana Kronberg sowieso mit Roswitha Böhme zusammen machen. Das hatten sie schon miteinander verabredet. Dass diese noch eine ABM bekommen würde, wussten beide da noch nicht. Jetzt machen sie sich engagiert zu viert über das Laub her.

"Ob wir gern in Breitenbach leben? Aber sicher doch. Es gefällt uns hier", antworten beide Frauen sofort: "Auch wenn wir hier eigentlich nichts mehr haben. Keine Kneipe, keinen Raum zum Feiern, keinen Laden mehr."

Was gibt es sonst in der Gemeinde Breitenbach? Zwei Betriebe, eine Autowerkstatt und die Putenmastanlage, die Feuerwehr und den Frauenchor, der sich einmal wöchentlich trifft, aber kein Verein ist. Dann nur noch den Jugendraum im Gemeindehaus. Und natürlich das Gerätehaus der Feuerwehr, ist vom Bürgermeister zu erfahren. Aber der Raum über dem von Grund auf sanierten Gebäude, auch für Familienfeiern gedacht, ist bautechnisch gesperrt.

Und noch etwas, wo die Säge klemmt: ein Rechtsstreit, in den die Gemeinde verwickelt ist. Mit fatalen Folgen. Eigentlich sollte in diesem Jahr die löchrige Hintere Dorfstraße saniert werden. Fördermittel dafür waren beantragt. Doch was die Gemeinde für den dafür nötigen Eigenanteil noch in der Hinterhand hat, liegt wegen dem Rechtsstreit auf Eis.

Nicht allzu lange auf Eis gelegt wurde dagegen die Gemeinderatswahl. Ohne Bewerber und ohne Neuwahl, das war im Dorf ziemlich schnell klar, würden andere über Breitenbach bestimmen. Zehn Bewerber, die in der Gemeinde etwas bewegen wollen, fanden sich. Am 10. Oktober konnte der neue Gemeinderat gewählt werden (die MZ berichtete).

Sieben von den Kandidaten erhielten das Vertrauen und einen Sitz im Gemeinderat. Carola Liebau, Marina Liebau (die beiden sind nicht miteinander verwandt) und Uwe Hummitzsch sind drei von ihnen, die einmal sagen sollten, was ihnen wichtig für das Dorf ist. Das erste, was alle drei nannten, war ein Ort, an dem sich die Breitenbacher wieder treffen, vor allem miteinander reden, aber auch feiern können. Das fehle sehr und könne helfen, Missverständnisse zu vermeiden und die Stimmung im Ort zu verbessern. Das Geld loseisen, damit endlich wieder etwas gemacht werden kann im Ort. Sachlich zusammenarbeiten. Mehr Informationen vom Bürgermeister. Und so schnell wie möglich einen Haushaltsplan für 2005, denn ohne den lässt sich nichts bewegen.

Doch noch hat sich der neue Rat nicht konstituiert: Die erste Sitzung findet am Dienstagabend, 9. November, im Gemeindehaus statt.