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Alpenfeeling im Südharz Alpenfeeling im Südharz: Kuh marsch in Hainrode

Von Lucas Wölbing 22.05.2016, 18:25
Festus, der dickste und einzige Bulle in den Ställen Hainrodes, führte die Herde an.  
Festus, der dickste und einzige Bulle in den Ställen Hainrodes, führte die Herde an.   Maik Schumann

Hainrode - Auf seinen breiten Schultern ruht die Hoffnung eines ganzen Ortes: Wird er sich unters Volk mischen oder lässt er sich bitten? Die Sonne scheint, fast 30 Grad, das Wetter stimmt, doch alles hängt von ihm ab: von Festus, dem dicksten und einzigen Bullen in den Ställen Hainrodes.

Nur langsam bewegt sich der Herr der Weide durch die Straßen, aber er bewegt sich. Und mit ihm Hunderte Schaulustige, die bereitwillig seiner Herde folgen. Wenn ein ganzes Dorf verrückt ist nach Kühen, wenn Männer und Frauen dem Bullen folgen und immer wieder dem herunterfallenden Mist ausweichen, dann feiert Hainrode wieder seinen Viehauftrieb.

Bergpanorama fehlt

Ein Spektakel, dass es so nur alle zwei Jahre gibt und sich jetzt schon zum zehnten Mal wiederholt. Hier, mitten in der grünen Hügellandschaft des Südharzes, spielen sich am Sonntag dabei Szenen ab, die es sonst nur vor dem Panorama der Alpen gibt: Immer dann, wenn die Bauern ihre mit Kränzen und Glocken behangenen Kühe im Frühjahr zum ersten Mal auf die Alm bringen.

Fast schon wirkt dieser Brauch, als passe er gar nicht in die doch eher flachen Landschaften Mitteldeutschlands. Das Bergpanorama fehlt, und die wenigen Besucher, die sich in Dirndl und Lederhose gekleidet haben, stechen ziemlich aus der breiten Masse hervor.

„Der Viehauftrieb ist meine Erfindung“, sagt Wolfgang Reineberg stolz, ein Mann mit Tirolerhut und Trachtenweste. Stammt er etwa aus der Fremde und hat sein Brauchtum mitgebracht? „Ich bin ein waschechter Südharzer“, sagt der Kuhexperte der Agrargenossenschaft „Gonnatal-Leinetal“, einem der größten Rinderhalter der Region. An die 520 Tiere stehen hier auf ganz verschiedenen Weiden, 25 davon - hauptsächlich Nachwuchs von Festus - beteiligen sich am feierlichen Viehauftrieb.

„Unser Bulle darf ganzjährig zu den Kühen“, erklärt Reineberg und blickt zu dem mächtigen „Stier“, den seine Kollegen bei der Stange halten: 26 Zentner schwer, acht Jahre alt und manchmal ein ziemlicher Dickschädel. Wird Festus nervös, könnte der ganze Umzug platzen. Jeder in Hainrode weiß das und jeder hofft, dass es anders kommt, wenn die Herde zur „Weide an der Steier“ zieht. „Wir wussten ja vorher nicht, worauf wir uns mit Festus einlassen“, gibt Reineberg zu, erleichtert, dass der Zuchtbulle seine Rolle gut gespielt hat.

Rolf Kutzleb  ist ein echter Rinder-Fan: „Wann sieht man schon einmal Kühe, die durchs Dorf traben?“, fragt der Hainröder, der seit dem ersten Viehtrieb mitmarschiert: „Das macht mich stolz. Ich komme mir vor wie in den Bergen“, schwärmt der 67-Jährige. „Solche Feste halten mich jung. Schade, dass wir jetzt  bis 2018 warten müssen.“

Anja Freiberg hat die Dirndl-Pflicht in Hainrode eingeführt. Ohne Tracht geht es für ihre Familie nicht zum Viehauftrieb. „Mein liebstes Spiel ist unser Kuh-Roulette“, erzählt die 35-Jährige. „Eine Kuh muss dazu über ein riesiges Spielbrett laufen und wird hoffentlich in einem der Felder einen Haufen ablegen. Wer auf dieses Feld gesetzt hat, gewinnt.“

Silvana Feuerstab erlebt als Hainröder Apfelkönigin den Auftrieb vom Traktor aus: „Ich glaube, so eine Aktion ist in Mitteldeutschland einzigartig“, sagt die 17-Jährige. „Das würde hier niemand machen, wenn wir nicht damit angefangen hätten. Unser Dorf ist darum etwas ganz besonderes. Wir lieben unsere Rinder.“Text: Wölbing

„Sonst ist immer eine Leitkuh vornweg getrabt.“ Und die seien nun einmal von Natur aus ruhiger als so ein männlicher Draufgänger, weiß der Landwirt nach zehn Viehauftrieben. Die erste Kuh hat er damals herausgeputzt, nachdem er von Berufswegen in Österreich war: „Die Viehhändler waren ganz verrückt nach ihrem Almauftrieb. Ich konnte damit zuerst nichts anfangen“, meint der 59-Jährige, der dann einfach in der Heimat davon erzählte.

Die Kuh wird mit Blaskapelle geehrt

„Wir haben keine hohen Berge“, bedauert er. „Dafür aber schöne Landschaften, in denen sich so ein Umzug der Herde nett macht.“ Und darum wird in Hainrode die Kuh regelmäßig durchs Dorf getrieben. Die Einheimischen haben durch dieses Spektakel längst Bekanntheit in der Region erlangt.

Denn wo wird der liebste Milchspender des Menschen sonst mit Blaskapelle und Rosenblüten geehrt? Die Kuh ist den Hainrödern heilig, scherzt Wolfgang Reineberg. Er ist froh, dass die Tiere den Aufstieg bei 30 Grad gut überstanden haben: „Wir müssen sehr behutsam sein und ihnen vorher und nachher genug zu trinken geben.“

Bei der sommerlichen Hitze macht sich allerdings auch leichter Gestank breit: Hin und wieder fällt ein Fladen zu Boden, dem die Menge ausweicht: „Kein Problem, nächste Woche regnet es“, ruft ein Hainröder. (mz)

Silvana Feuerstab
Silvana Feuerstab
M. Schumann
Rolf Kutzleb
Rolf Kutzleb
M. Schumann