Erika Schirmer Erika Schirmer: Die Frau die "Kleine weiße Friedenstaube" schuf

Querfurt - Sie ist inzwischen fast 90. Und sie sagt noch immer: „Ich hätte nie geahnt, dass diese kleine Melodie die Welt erobert.“ Mehr als 65 Jahre ist es her, dass Erika Schirmer die „Kleine weiße Friedenstaube“ komponierte und textete - ein Lied, das jedes Kind in der DDR kannte, das auf unzähligen Pionierveranstaltungen gesungen wurde. Und noch heute gesungen wird, wie Schirmer anlässlich einer Ausstellungseröffnung in der Querfurter Burg selbst erlebt. Eigentlich geht es dort um Scherenschnitte, eine populäre Kunst, die ihren Ursprung im alten China hat. Doch ein Abend mit Erika Schirmer ohne Friedenstaube? Nein.
Nichts gelernt
„Was denken Sie“, sagt die 89-Jährige, „wie oft ich noch auf Veranstaltungen eingeladen werde.“ Ob bei Kindern oder Senioren - das Lied gehöre dazu. In einer Zeit, in der die Nachrichten täglich vom Krieg berichten, von Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind. „Die Menschheit hat nichts gelernt, das macht mich traurig“, sagt Schirmer. Die in Nordhausen lebende Seniorin sagt aber auch: Sie sei erstaunt und erfreut, wie weit sich ihr Lied verbreitet hat. Noch heute erhalte sie Post und Anrufe.
Rückblick: Es ist das Jahr 1949. Das thüringische Nordhausen liegt nach dem Krieg in Schutt und Asche. Und Erika Schirmer, geboren 1926 in Schlesien, beschließt: Hier bleibe ich nicht. Die Stimmung, so beschreibt sie es, ist gedrückt, sie habe nicht gewusst, wohin sie gehöre. „Wir hatten eine schlimme Flucht hinter uns, haben nur gehungert und gefroren.“
Am Ende bleibt sie doch. Auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle kommt die Kindergärtnerin eines Tages an einem Eckhaus vorbei, dessen zerstörte Fenster mit Brettern vernagelt sind - ein üblicher Anblick in dieser Zeit. Doch auf einem der Bretter hängt ein Plakat. Es zeigt die Friedenstaube, die von Pablo Picasso anlässlich der Pariser Weltfriedenskonferenz geschaffen worden war. „Auf einmal“, sagt Schirmer heute, „war in mir Freude.“ Text und Melodie des Liedes hat sie spontan im Kopf, noch auf dem Weg in den Kindergarten beginnt sie, vor sich hin zu singen. Sie singt es mit den Kindern, „da war noch keine Note aufgeschrieben“. Und nicht sie selbst, sagt sie heute, ist es, die das so eingängige Werk mit seinen kurzen Strophen schließlich weiterverbreitet. Inzwischen gehört es selbst in Finnland, Polen oder Österreich zum Repertoire von Chören, wird sogar an den Niagara-Fällen gesungen.
Wohin die kleine Taube seitdem alles geflogen ist, weiß aber selbst seine Schöpferin nicht bis ins Detail: In Querfurt wird sie von einem Puppentrickfilm überrascht, den Klausjörg Herrmann aus Kreischa (Sachsen) mitgebracht hat. Entstanden ist er 1960 im Defa-Studio nach dem Werk von Schirmer. In „Das Lied von der Taube“ macht die Friedenstaube in Nordafrika einem algerischen Jungen Mut, den im Kampf verwundeten Soldaten zu helfen. In Pakistan schützt sie einen kleinen Inder vor den Schlägen eines Aufsehers. „Ich war damals 19 Jahre alt und habe die Taube animiert“, sagt Herrmann. Schirmer kannte den Film - samt modifiziertem Text für ihr Lied - bis heute nicht.
Hunderte Werke
Die kleine weiße Friedenstaube ist noch immer Schirmers bekanntestes Werk - aber längst nicht das einzige, was ihre Kreativität ausmacht. Bis heute hat sie mehrere hundert Lieder und Gedichte geschaffen. Inzwischen ist sie Ehrenbürgerin ihrer polnischen Heimatstadt und von Nordhausen. Seit 20Jahren beschäftigt sich Schirmer zudem mit etwas, das nun den eigentlichen Grund für ihre Reise nach Querfurt geliefert hat: mit Scherenschnitten - als Kunstblätter, Buchillustration und Kalender.
Schirmer sei „grenzenlos in ihrer Fantasie“, die „Grande Dame“ des Scherenschnitts, sagen Freunde, die sie schon seit der Kindheit kennen. In der Ausstellung „Märchenhafte Scherenschnitte“ hängen in Querfurt bis zum 17. April 2017 nun mehr als 30 ihrer filigranen Werke. Es ist, sagt Schirmer, inzwischen schon ihre 142. Ausstellung. (mz)
