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Wenn der Rohrstock regiert

Von Frank Ruprecht 01.02.2008, 19:11

Gernrode/MZ. - Dann folgt ein lauter Knall, der vom Rohrstock der Lehrerin Regina Bartnitzki stammt, als sie ihn auf die hölzerne Tischplatte der alten Schulbank haut. Bei den ersten Malen zucken die 21 Kinder der Kleersgrundschule und Sine-Cura-Schule aus Quedlinburg zusammen und gucken etwas entgeistert. Aber auch Marion Heinemann, Lehrerin der Grundschule, und Sine-Cura-Lehrerin Petra Klingner schauen erschrocken in die Runde. Und als im Laufe des einstündigen Unterrichts wie zu Omas Zeiten der Rohrstock noch mehrmals in den Bankreihen "um Ruhe bittet", wird ein Knall zwar noch registriert, aber niemand erschreckt sich noch wirklich.

Dieses außergewöhnliche Spektakel fand im Rahmen des Sachunterrichtes mit dem Thema "Das Leben früher" der Klasse 4 a der Kleersgrundschule, die seit dreieinhalb Jahren mit der Klasse 4 b der Sine-Cura-Schule kooperiert, statt. Gemeinsam gestalten die Schüler Projekte, Wandertage und Fahrten. Und so sollte die Zeugnisausgabe zu Beginn der Winterferien etwas Besonderes werden.

Regina Bartnitzki, die über einen Ein-Euro-Job die von 1533 bis 1847 als Bildungseinrichtung fungierende Elementarschule betreut, schlüpfte wie gewohnt dann auch in die Rolle der Lehrerin aus längst vergangenen Zeiten. Artig nahmen ihre "neuen" Schüler in den Bankreihen Platz - auf den alten Schulmöbeln mit eingelassenen Tintenfässern und klappbaren Tischplatten. Im Deutschunterricht mussten die Kinder in deutscher Schrift nach Vorlage des Alphabetes ihre Vornamen auf Schiefertafeln mit dem Griffel schreiben, was für manchen gar nicht so leicht war. Ein paar Mathematikaufgaben gelöst, gab es noch kleine Vorlesegeschichte von der "strengen Lehrerin". Und zwischendurch wanderte der Rohrstock durch die Bankreihen und sorgte für Ordnung und Ruhe. Den bekam dann auch, wenn auch nur ansatzweise, Klemens Koblenz als "Petze" zu spüren, weil er einen Mitschüler bei der Lehrerin "angepfiffen" hatte. Nach zehn Schlägen auf den Allerwertesten war die Strafe abgegolten. Genauso viele Hiebe gab es für den MZ-Redakteur, der an diesem Vormittag ebenso die Schulbank drücken musste. Er hatte nämlich laut feixend über diese Erziehungsmaßnahme an seinem Vorgänger gelästert.

Dann rückte die Stunde die Wahrheit näher - die Zeugnisausgabe. Dabei wurden die Zeugnisse nicht in alphabetischer Reihenfolge verteilt, jedes Kind musste eine Karte ziehen, worauf der Vorname eines Mitschülers in Altdeutsch stand - und so entschied praktisch das Los die Reihenfolge. Dicke Tränen flossen aber nicht, obwohl einige Schüler mit dem Halbjahresergebnis ihrer Leistungen nicht ganz so zufrieden waren und Besserung gegenüber den Lehrerinnen Heinemann und Klingner gelobten. Mit einem Buch für gute Leistungen oder Leistungssteigerungen wurden Sophia Meyer und Franziska-Sophia Göhrndt aus der Kleersgrundschule sowie Christopher Schneider (Sine Cura) ausgezeichnet. Und am Ende waren sich auch alle einig - solch ein Unterricht, wenn auch mit Rohrstock regiert, war etwas besonders Schönes.