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Polemik gegen muslimische Migranten Vorwurf der Volksverhetzung: Verfahren gegen Stadtrat Matthias Kirsch aus Quedlinburg wird eingestellt

Von Ingo Kugenbuch 23.11.2017, 06:55
Der Internet-Redakteur bezeichnete Spanier als „fremdes Gesocks”, das „ekelhaft” sei.  Screenshot
Der Internet-Redakteur bezeichnete Spanier als „fremdes Gesocks”, das „ekelhaft” sei.  Screenshot Screenshot: Kugenbuch/Gerig

Quedlinburg - Wann ist eine Meinung pointiert und zugespitzt? Und wann stachelt sie zu Hass gegen Menschen oder gar Völker an? Amtsrichter Theo Buß hat die schwierige Aufgabe, das zu entscheiden. Zu entscheiden, ob die auf der Website „ichliebequedlinburg.de“ veröffentlichte Polemik gegen - vor allem muslimische - Migranten noch von der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt ist oder schon unter den Straftatbestand der Volksverhetzung fällt.

Eine erste Entscheidung gab es am Dienstag: Das Verfahren gegen den parteilosen Quedlinburger Stadtrat Matthias Kirsch, der sich 2015 erfolglos als Oberbürgermeister beworben hatte, wurde wegen geringer Schuld eingestellt.

Plattform für Hasstiraden seines Mitarbeiters

Ihm nahm das Gericht ab, dass er mit seiner mittlerweile abgeschalteten Website seinem mitangeklagten Mitarbeiter unbeabsichtigt eine Plattform für dessen Hasstiraden geboten hat. Trotzdem betonte der Amtsgerichtsdirektor: „Von einem Stadtrat einer größeren Kommune erwarte ich mehr, als nur zu sagen ‚Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts‘.“

Worum geht es? Unter der Überschrift „Hübsche Verdienstquelle“ bezeichnete Kirschs Internetredakteur muslimische Migranten als „Besatzer, die ihr Ziel der Moslemisierung des Rests der Welt verfolgen“. Außerdem hieß es dort sinngemäß: Dass Arbeit nicht nur bei der Integration „frei macht“, wussten schon die „Desintegrierer von anno dunnemals“. „Arbeit macht frei“ - dieser zynische Spruch begrüßte Millionen Deportierte vor ihrer Ermordung am Tor des Nazi-Konzentrationslagers Auschwitz.

Verfasser des Artikels lässt eine Erklärung verlesen

„Herr Kirsch hat den Artikel nicht verfasst oder veröffentlicht“, sagte sein Verteidiger in einer von ihm verlesenen Erklärung des Angeklagten. Er habe von der Existenz erst von der Polizei erfahren - und ihn dann sofort gelöscht. Auch der Verfasser des umstrittenen Artikels - ein schwerbehinderter Rentner aus Quedlinburg - ließ seinen Pflichtverteidiger eine Erklärung verlesen. Er räumte dabei ein, dass er den Text geschrieben habe und dass dieser öffentlich zugänglich gewesen sei.

Dabei habe er aber nicht die Absicht gehabt, „Menschen, die schutzsuchend nach Deutschland gekommen sind, zu verunglimpfen“. Sein Mandant habe sich aber darüber „geärgert“, dass Bundes- und Europapolitiker keine Konzepte für die Zuwanderung entwickelt hätten. Seiner Meinung nach sind zahlreiche Menschen aus dem Ausland gekommen, um „von den finanziellen Anreizen zu profitieren“.

„Die Wortwahl war völlig unbeabsichtigt“

Aus der Verärgerung darüber habe er diesen Text verfasst. Die Passage mit dem Auschwitz-Zitat „Arbeit macht frei“ habe nichts mit dem Vernichtungslager zu tun. Sein Mandant wolle vielmehr darauf hinweisen, dass eine Integration von Flüchtlingen in Deutschland allein durch Arbeit nicht funktionieren werde, sagte der Verteidiger. „Die Wortwahl war völlig unbeabsichtigt.“

Oberstaatsanwältin Eva Vogel sagte, sie wolle sich über eine von Richter Buß ins Gespräch gebrachte mögliche Einstellung des Verfahrens gegen den Verfasser des Textes Gedanken machen. Ihre Tendenz gehe jedoch in die Richtung, dies abzulehnen. „Ich habe selten etwas derart überspitzt Pointiertes gelesen, das so nahe an Paragraf 130 herankommt“, sagte sie. In diesem Paragrafen des Strafgesetzbuches wird die Volksverhetzung behandelt. „Die Formulierung ‚Ich habe mich im Wort vergriffen‘ klingt fast lustig“, sagte Eva Vogel.

Uwe Gerig: „Bösartig, dumm und menschenverachtend“

Das Verfahren gegen den Text-Verfasser wird in einer Woche fortgesetzt. Dann soll auch der Mann aus Niedersachsen gehört werden, der Anzeige erstattet hatte. Der ehemalige Journalist Uwe Gerig, der schon in der Vergangenheit - auch gegenüber den Fraktionen im Quedlinburger Stadtrat - sein Missfallen über die ausländerfeindlichen Ausfälle auf Kirschs Internetauftritt geäußert hatte, ist bereits zum Prozessauftakt befragt worden. Der 77-Jährige nannte die Inhalte auf „ichliebequedlinburg.de“ „bösartig, dumm und menschenverachtend“. (mz)