Seit zwei Jahren ohne gültigen Personalausweis Seit zwei Jahren ohne gültigen Personalausweis: Rentnerin aus Thale kämpft gegen Bürokratie der Meldestelle

Thale - Seit 55 Jahren wohnt Ilse Wiepschek in Thale. Zahlt immer pünktlich ihre Steuern und ist sonst nie aufgefallen. Doch die 75-jährige Rentnerin fühlt sich der Behördenwillkür im Rathaus der Bodestadt ausgesetzt. Und dies schon seit fast zwei Jahren. Seitdem hat die Rentnerin nämlich keinen gültigen Personalausweis. Auch ein vorläufiges Dokument wurde durch die Meldestelle nicht ausgestellt. Sie fühlt sich dadurch in ihren Bürger- und Persönlichkeitsrechten eingeschränkt.
Was war passiert? Mitte Juli 2013 beantragte sie im Bürgerbüro einen neuen Personalausweis, da die Gültigkeit nur noch wenige Tage betrug. Doch dies entwickelte sich nach ihrer Sicht zum Alptraum. Im Bürgerbüro, so berichtet Ilse Wiepschek, wurde die Bearbeitung des Antrages abgelehnt, da sie keine Geburts- und Ehestandsurkunde vorlegen konnte. Doch an die geforderten Unterlagen kam sie nicht. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich diese im Schließfach ihres verstorbenen Mannes. Doch den Mitarbeiterin beharrte auf die Unterlagen: „Die brauchen wir zum Datenabgleich.“ Da half auch nicht der Hinweis, dass sie seit 55 Jahren in Thale im gleichen Haus wohne und den gleichen Namen trage.
Der Personalausweis der Bundesrepublik Deutschland ist ein amtlicher Lichtbildausweis als Identitätsnachweis für deutsche Staatsangehörige. Grundsätzlich vergibt ihn die für den Hauptwohnsitz zuständige Personalausweisbehörde auf Antrag des Bürgers. Personalausweise werden grundsätzlich bei demjenigen Bürger- beziehungsweise Einwohnermeldeamt beantragt, das für den Hauptwohnsitz des Antragstellers zuständig ist.
Seit dem 1. November 2007 können Personalausweise bereits mit der Geburt eines Kindes – also auch für Jugendliche unter 16 Jahren – beantragt werden. Hierzu wird die Geburtsurkunde respektive der bisherige Kinderausweis, Kinderreisepass oder Reisepass benötigt. Der Ausweis ist zehn Jahre lang gültig, bei Beantragung vor Vollendung des 24. Lebensjahres sechs.
Die Ausstellungsgebühr beträgt im Inland 28,80 Euro. Für Personen unter 24 Jahren beträgt die Gebühr 22,80 Euro.
Durch die zentrale Herstellung des Personalausweises in der Bundesdruckerei dauert es einige Wochen, bis der neue Ausweis verfügbar ist. (Quelle: Wikipedia)
Am nächsten Tag ließ sich die gebürtige Quedlinburgerin in ihrer einstigen Heimatstadt Quedlinburg im Standesamt die benötigten Urkunden ausstellen. Die Zeit drängte, da sie eine Auslandsreise unternehmen wollte. Da sie in Unfrieden das Thalenser Bürgerbüro verließ, wollte sie nun in der Quedlinburger Meldestelle den Ausweis beantragen. „In Thale wollte ich mir eine weitere Demütigung ersparen“, sagte Ilse Wiepschek. Die Quedlinburger Mitarbeiterin rief deshalb in Thale an, um zu informieren, dass die Unterlagen vollständig seien und sie den Antrag in Quedlinburg stellen wolle. Doch dort wurde das Ansinnen abgelehnt: „Die stellt den Antrag in Thale, sonst kriegt sie keinen Ausweis“, sei die Antwort der Leiterin des Thalenser Bürgerbüros gewesen, wie sich Frau Wiepschek erinnert. Doch dort kann sich heute keiner mehr daran erinnern.
„Ich weiß von einer Anzeige nichts“
„Die Verweigerung eines gültigen Personalausweises hatte für mich zur Folge, dass ich mein Wahlrecht seitdem nicht ausüben konnte“, sagte die Thalenserin, die auch als Gästeführerin in Quedlinburg noch tätig ist. Auch konnte sie durch „die Reisebeschränkung“ nicht an einer Exkursion der Gästeführer nach Wien teilnehmen. Dadurch seien ihr sogar „erhebliche Stornierungskosten“ entstanden. Auf ihre Anzeige gegen den Thalenser Bürgermeister vom Juli 2013, weil ihr die Ausstellung des Personalausweises verweigert wurde, gab es bis heute keine Reaktion. „Ich weiß von einer Anzeige nichts“, bekräftigte Bürgermeister Thomas Balcerowski. Dass sie erst heute damit in die Öffentlichkeit geht, begründet die Rentnerin mit erheblichen gesundheitlichen Problemen, die sie zwischenzeitlich hatte und hat.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum in Thale die Daten der Personen mit ihren Personenstandsurkunden abgeglichen werden.
Die Vorlage der Urkunden sei aus Sicht von Frau Wiepschek nur eine Kann-Bestimmung. Dies wird auch im Rathaus nicht bestritten. Man habe es für Thale so entschieden, generell so zu handhaben. Das Einwohnermeldeamt könne so die Daten der Personen mit ihren Personenstandsurkunden abgleichen. „Dieser Abgleich der Urkunden mit unseren Daten im Melderegister erfolgt bereits über mehrere Jahre, nachdem festgestellt wurde, dass es immer wieder - und das ist kein Einzelfall - Differenzen zwischen Geburts- und Eheurkunde und dem Melderegister bestehen“, sagte Angela Schusser, Leiterin des Bürgerbüros. Der Antrag auf Ausstellung eines Ausweises kann auch von einer örtlich nicht zuständigen Behörde bearbeitet werden, wenn ein wichtiger Grund dargelegt wird, gestand Schusser. Und weiter: „Frau Wiepschek ist in Thale wohnhaft und hält sich auch regelmäßig im Stadtgebiet von Thale auf.“ Die Entfernung von ihrer Arbeitsstätte als Stadtführerin in Quedlinburg und ihrem Wohnort sei ebenfalls moderat. Die Öffnungszeiten des Bürgerbüros ließen auch eine flexible zeitliche Möglichkeit der Beantragung zu. Schusser: Aus unserer Sicht liegt kein begründbarer wichtiger Ansatzpunkt vor, um das Einwohnermeldeamt in Quedlinburg zu bevollmächten, als unzuständige Behörde einen Ausweis für Frau Wiepschek auszustellen.
Frau Wiepschek hätte wählen können
Dass Frau Wiepschek ihr Wahlrecht dadurch nicht ausüben kann, entspreche nicht der Wahrheit, betonte die Leiterin des Bürgerbüros. Bei der Briefwahl, aber auch bei der Wahl am Wahltag sei es nicht notwendig, einen Personalausweis vorzulegen. Es sei allgemein üblich und auch statthaft, nur die Wahlbenachrichtigungskarte zur Wahl vorzulegen. Frau Wiepschek hätte somit wählen können.
Laut Bürgerbüro bleibt also der Rentnerin der Gang ins Rathaus nicht erspart. Nur in Ausnahmefällen, wie bei alten, behinderten Antragstellern, „haben wir im Rahmen der Amtshilfe im Standesamt Thale die Daten der in Thale - inklusive Ortsteilen - geborenen bzw. verheirateten Einwohner geprüft“, sagte Andrea Schusser. Balcerowski versprach, sich der Sache nun persönlich anzunehmen: „Ich will Frau Wiepschek aufsuchen, falls sie es wünscht, um das leidige Problem endlich aus der Welt zu schaffen.“ (mz)