Pädagogisches Pilotprojekt Pädagogisches Pilotprojekt: Geschichte 2.0 - Geocaching in KZ-Gedenkstätte

Langenstein-Zwieberge - Es reiche nicht, „ständig das gleiche pädagogische Standardprogramm abzuspulen“, sagt gestern Kai Langer, der Direktor der Gedenkstättenstiftung des Landes Sachsen-Anhalt. Und lobt im gleichen Atemzug die Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge als „Vorreiterin, die innovative Formen der Auseinandersetzung mit der Geschichte entwickelt“. Nach Erprobung mit Jugendlichen aller Schulformen bieten Gedenkstättenmitarbeiterin Gesine Daifi und die in Gernrode beheimatete Gedenkstättenpädagogin Hanka Rosenkranz das Geocaching „Stationen der Erinnerung“ an. Mit Tablet, GPS-Gerät und einer Tourtasche können Schüler ab Klasse 8 auf Entdeckungstour gehen.
Sechs Routen
Die sechs Routen entstanden in einjähriger Arbeit gemeinsam mit der Magdeburger „Zeitreisen-Manufaktur“. Themen der modernen Form der Geschichtsvermittlung sind die Errichtung des Lagers, der Lageralltag, die Vernichtung durch Arbeit, aber auch der Todesmarsch und die Spurensuche in Biografien der Häftlinge. „Zukünftig soll es auf einer weiteren Route auch um den Umgang mit Geschichte gehen. Schließlich überzeichnete die DDR-Memorialkultur wesentliche historische Räume hier auf dem Gelände“, so Kai Langer. Gedenkstättenpädagogin Hanka Rosenkranz verweist auf die veränderte Seh- und Mediengewohnheiten, auf die sich die Gedenkstättenarbeit einstelle. „Wir haben schon in den Probewochen gesehen, wie motiviert sich die jungen Leute mit Geschichte befasst haben.“ Besonders spürbar sei das durch die Hinweise der Jugendlichen geworden, die nicht nur die Aufgabenhefte abarbeiteten, sondern auf kleinere Probleme, denen sie in der Praxis begegneten, hinwiesen. Schließlich ziehen die kleinen Gruppen, bestehend aus Navigator, Protokollant und Informant, mit Technik und Aufgabenheft los. Rund zwei Stunden dauert die Reise in die Geschichte auf dem Gelände, wobei die Route den Stollen nicht einschließe.
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Auf ihrem Tablet finden sie nicht nur die Aufgaben, sondern auch umfangreiches Bonus-Material. Das besteht aus Erinnerungstexten, Fotos, aber auch kleineren Videosequenzen, die Hintergrundinformationen liefern. „Bei der Auswertung spüren wir, dass die Jugendlichen nicht nur stoisch die Fragen beantworten, sondern sich teilweise intensiv mit den Zusatzangeboten befasst haben“, berichtet Hanka Rosenkranz. Sie erzählt, dass gerade die „Gruppe der 2. und 3. Generation“, eine Vereinigung von Nachkommen der Häftlinge, durchaus offen auf die neuen medialen Angebotsformen reagiert und die Tablet-Präsentation mit Interview-Sequenzen gefüttert hätten.Das Geocaching „Stationen der Erinnerungen“ ist vorerst für eine Klasse ausgelegt, die das Gelände in Gruppen von vier bis sieben Schülern erkunden könne. Dazu gibt es eine Vor- und Nachbereitung. Schließlich sei „gefühlt den heutigen Schülern die DDR oder die Nazizeit ebenso weit weg wie der Dreißigjährige Krieg“, so Kai Langer. Selbst die Großeltern der heutigen Schülergeneration kenne die Kriegszeit nur noch aus Erzählungen. „Die jungen Leute sind heute ganz anders sozialisiert. Daher kommt diesen Angeboten eine besondere Bedeutung zu.“
Kein Ersatz, sondern Ergänzung
Hanka Rosenkranz und Gesine Daifi sehen das GPS-gesteuerte Historienerleben nicht als Ersatz für die bisherige pädagogische Arbeit, sondern als wesentliche Ergänzung. „Wir machen das nicht, weil es gerade schick ist und nicht alles für alle. Aber wir denken, damit den Sehgewohnheiten der heutigen Zeit zu entsprechen. Gruppen haben uns aber auch mal gesagt, dass bei dieser technisch orientierten Variante der Raum für direkte Nachfragen fehle.“ Nach dem selbständigen Absolvieren des Parcours sei aber immer Raum für Gespräche, Rückfragen und Diskussionen weit über den Tag hinaus. Schließlich nehmen die Schüler ihr „Logbuch“ mit in den Unterricht zurück.
„Wir verstehen das Geocaching als Aktion für Schulen der Region und weit darüber hinaus“, so Kai Langer. „Schließlich werden die Fahrten in die Gedenkstätten landesweit zu 100 Prozent gefördert.“
Neu erarbeitet wurde von Gesine Daifi eine Sammlung von 17 Arbeitsblättern für die Ausstellung. „Das wurzelt auf einer Idee der Halberstädter Lehramtsanwärterin Julia Spredemann.“ Der Gewinn dieser Blätter sei die sehr persönliche Perspektive. Dabei konkurrieren die Texte der Überlebenden durchaus. Schließlich gestalten sich die Erfahrungen je nach Prägung, Dauer des Aufenthaltes und Arbeitskommandos sehr differenziert. Während der eine Häftling von Schlägen der deutschen Meister bei der Arbeit berichtet, erlebte ein anderer große Unterstützung durch zivile Deutsche. So kommen auf den Blättern zwei Überlebende von Langenstein-Zwieberge ebenso zu Wort wie der damalige Dorfpfarrer. „Wir wollen bewusst Fragen provozieren“, so Gesine Daifi. „Geschichte ist nicht schwarz-weiß. Die Zeiten, dass einer die Deutungshoheit beansprucht, sind vorbei.“ Hanka Rosenkranz lobt die Arbeitsblätter: „Das ist keine Schlechtwettervariante des Geocaching-Angebotes, sondern ein eigener Baustein unserer gedenkstättenpädagogischen Arbeit.“ (mz)