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Opern-Premiere in Wernigerode Opern-Premiere in Wernigerode: Schloss wird bei "Verkaufter Braut" zur Dorfschenke

Von Uwe Kraus 12.08.2014, 08:16
Die „Verkaufte Braut“ im Wernigeröder Schloss: Marie (Anna Dierl) und Wenzel (Manuel Oswald).
Die „Verkaufte Braut“ im Wernigeröder Schloss: Marie (Anna Dierl) und Wenzel (Manuel Oswald). Henrik Bollmann Lizenz

Wernigerode/MZ - Kein Casting und Vorsingen, die Solisten der Operninszenierung „Die verkaufte Braut“ bei den 19. Schlossfestspielen in Wernigerode stehen seit über einem Jahr auf dem Besetzungszettel.

Smetanas Oper „Die verkaufte Braut“ wurde 1866 in Prag uraufgeführt. Die junge Marie soll den dummen, aber reichen Wenzel heiraten, doch sie liebt Hans. Der - und das weiß nur er - ist Wenzels Halbbruder, und so verzichtet er für 300 Gulden auf seine Liebste - unter der Bedingung, dass Marie nur einen Sohn des Micha heiraten darf, dem gemeinsamen Vater von Hans und Wenzel. Nun sind alle empört über den „Verkauf“ der Braut.

„Die Oper ist einstudiert“, hatte Regisseurin Karin Seinsche schon vor langem verkündet. Im Sommer 2013 erlebte sie bereits mit dem Wernigeröder Kammerorchester Premiere auf dem niedersächsischen Schloss Warburg. Seinsche schnitt nun die Neuinszenierung auf den Innenhof des Wernigeröder Schlosses zu und setzt mit ihrer Truppe von Studenten der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover neue Akzente. Das gehört zum Konzept, das Orchester-Chef Christian Fitzner seit Jahren erfolgreich und stringent durchzieht: Jungen, unverbrauchten Stimmen und gerade wachsenden Sänger-Persönlichkeiten eine Bühne zu bieten.

Dorfkneipe und Zirkusplatz

Mit dem als tschechische Nationaloper geltenden Smetana-Werk beweisen die Wernigeröder, dass sie eine gute Hand fürs Sommermusiktheater haben: Die Premierenkarten ausverkauft, das Publikum zu Szenenapplaus begeistert. Der Schlosshof wandelt sich zur Dorfkneipe und zum Zirkusplatz. Nicht nur auf der Bierkasten-beladenen, im rechten Winkel zum Orchester an der Querseite stehenden Bühne tobt das Dorf- und Liebesleben, es zieht sich neben und durch die Zuschauerreihen über das historische Areal bis hin zum Volk, das aus den Schlossfenstern lugt.

Im international bekanntesten Bühnenwerk des tschechischen Komponisten Bedrich Smetana dreht es sich weniger um ländliche Idylle als vielmehr um die nicht nur geistige Enge der Gemeinde, in der jeder mit jedem schachert. Den Mikrokosmos eines böhmischen Dorfes vor 150 Jahren verschiebt die Regisseurin ziemlich schadlos um 100 Jahre näher ans Heute. Von „Böhmens Hain und Fluren“ darf geträumt werden, auch wenn Wenzels Mama „Bauer sucht Frau“-Poster anschlägt.

Händel, Suff und Musik

Trotz einer gewissen auferlegten Spießigkeit, Anleihen bei Dallas und Elvis-Shirt geht es um Brauchtum von feuchtfröhlicher Kirchweih und Jahrmarkt bis Brauthandel. Eine Volksoper im besten Sinne erlebt das Publikum; kraftvoll-derbes ländliches Milieu mit Händel, Suff und Musik, die in der Folklore wurzelt.

So ist es Christian Fitzner und seinem spielfreudigen Philharmonischen Kammerorchester Wernigerode zu danken, dass diese musikalischen Elemente im Schlosshof strahlen. Flott klingt es aus der Orchester-Ecke, Fitzner führt schwungvoll den Stab und bringt sich witzig ins Bühnen-Geschehen ein. Der Singakademie Wernigerode sowie den jungen Sängerinnen und Sängern der Musikhochschule Hannover gelingt es wunderbar, ein pralles Dorfbild mit Charakter zu zeichnen, ohne volksdümmlich zu werden. Schade, dass diese berühmte „Tanzoper“ ohne Ballett auskommen muss.

Erstmals nahm der Klangkörper unter einem Zeltdach im Schlosshof Platz. Eine Lösung, die den Orchesterklang kräftiger in die Zuschauerreihen trägt, in kleineren Passagen aber die Gefahr birgt, dass gegen den Klangkörper angesungen werden muss.

Voller Einsatz von Körper und Stimme

Für die Liebesgeschichte von Marie und Hans im dörflichen Böhmen findet sich ein Ensemble zusammen, das typengerecht besetzt ist und mit vollem Stimm- und Körpereinsatz agiert. Ausstatter Hans-Jürgen Kutzner hat da mit Detailliebe seinen Anteil geleistet, wobei die Lichtsituation eher kunterbunt statt farbig wirkt. Die Figuren der Mütter - Lena Kutzner (Ludmilla) und Marie-Sande Papenmeyer (Háta) - verdeutlichen schon äußerlich die Stufe in der Dorfhierarchie, die beide Elternhäuser trennen. Während Brautvater Krusina (Peter Kubik) die Hose mit einem Gürtelstrick hält, kommt Grundbesitzer Micha (Matthias Tönges) mit dünnem Schlips daher.

Aus den Vollen geschöpft

Regisseurin Seinsche versteht sich auf Personenführung und darf bei ihrer Personnage aus dem Vollen schöpfen. Sang-Myung Shim verströmt textverständlich als Hans tenoralen Schmelz, ist wandlungsfähig von inniger Zuneigung über seelische Zerrissenheit bis zum schlitzohrigen Vertragspoker. Seine Stimme wirkt sicher geführt, nicht allzu lyrisch und in den Spitzentönen sauber. Anna Dierl ist, wie er in Lederjacke gekleidet, an seiner Seite die Marie, die scheinbar verkaufte und doch so tief geliebte Braut. Sie meistert ihren Part unangestrengt mit schön strömendem Sopran. Das Publikum erlebt sie mit wunderbaren Kantilenen und Koloraturen. Die Sängerin agiert emotionsgeladen und zerrissen zwischen eigenen Ansprüchen und den Intentionen ihrer Eltern und des Heiratsvermittlers. Diesen sich schleimig anbiedernden Kecal singt Kyongmo Seong mit kräftigem, in den Tiefen sicheren Bassbariton. Er wird, die Schnaps-Pulle in der Tasche und die dicke Zigarre zwischen den Lippen, fast bühnenbeherrschend. Da verliert sich Bauernschläue und wird zum knallharten Geschäftssinn, mit dem er Stotter-Wenzel nicht an die Marie bringt. Der Wenzel des Manuel Oswald kommt spielerisch wie sängerisch überzeugend als Spätpubertierender im Matrosenanzug mit einem feinen Tenorklang daher. Letztlich schlüpft er, wohl auch aus Zuneigung zu Esmeralda (Anna Bürk), ins Bärenkostüm.

Ende gut, alles gut? Das Publikum applaudiert für Harzer Verhältnisse eher brav als euphorisch für eine sehr sehenswerte Inszenierung, aus der man sich manchen Namen merken sollte.