Erinnerung an NS-Opfer im Harz In Quedlinburg ist ein Stolperstein verlegt worden – was Zeitgenossen über Julius Koretzky sagten
In Quedlinburg ist ein Stolperstein für Julius Koretzky verlegt worden. Welches Schicksal hinter den Namen steckt.

Quedlinburg/MZ. - Mit der Kelle verteilt Gunter Demnig etwas Beton rund um den Stolperstein, klopft ihn mit ein paar leichten Gummihammer-Schlägen fest. Es folgen weitere ruhige Handgriffe. Und ganz zum Schluss wischt der Kölner Künstler, der die Aktion 1993 konzipiert hat, mit einem weißen Papiertaschentuch über die Messingplatte. Sie erinnert an Julius Koretzky (1893-1941), der während des nationalsozialistischen Regimes ermordet wurde. Es ist der vierte Stolperstein in Quedlinburg, er ist am Freitag bei einer kleinen Zeremonie vor dem Eckhaus Marschlinger Hof/Neuendorf verlegt worden.
Hier arbeitete Julius Koretzky. An sein Schicksal erinnerte Eberhard Brecht, ehemaliger Oberbürgermeister, der schon zu DDR-Zeiten begonnen hat, zur Geschichte der Quedlinburger Juden zu forschen. „Wie hat Quedlinburg ihn gesehen – als Feind, dann als Freund, als Feind, wieder als Freund?“, fragte Brecht.

Koretzky kämpfte im Ersten Weltkrieg vermutlich in der Armee des Zaren, geriet in Gefangenschaft und saß dann im Lager zwischen Quedlinburg und Ditfurt. Da war er ein Feind.
Wohl der Liebe wegen blieb er. Seine Frau Elise betrieb ein Molkereigeschäft, er eröffnete nebenan ein Tabakgeschäft in dem Eckhaus, vor dem sich nun der Stolperstein befindet. Zeitgenossen beschrieben ihn als kleineren Mann, der immer freundlich und humorvoll war. Er war ein Freund.
In der Pogromnacht 1938 wurde Koretzkys Laden verwüstet, Zigarren und andere Waren gestohlen. 1940 kam er vor Gericht, weil er angeblich einen Feindsender gehört hatte. Er wurde im Folgejahr freigesprochen – doch vor dem Gerichtsgebäude wartete die Gestapo, brachte ihn ins KZ Groß-Rosen im heutigen Polen. Er war wieder ein Feind.

Im KZ starb er. Offiziell an einer Blinddarmentzündung. Trotzdem steht „ermordet“ auf der Messingplatte. Eberhard Brecht erklärt die Entscheidung: „In Groß-Rosen gab es die Order, dass Strafgefangene keine medizinische Behandlung bekommen dürfen“ – „selbst eine kleine Blinddarmentzündung musste zum Tode führen.“
„Heute würden wir ihn gerne wieder als Freund haben“, so Brecht weiter. Ihm sei wichtig, dass Quedlinburg aus dem lerne, was passiert ist. Man solle sich an die Seite der Schwachen stellen und dafür eintreten, dass niemand wegen seiner Religion, Ethnie oder politischen Auffassung verfolgt wird. Quedlinburg solle eine weltoffene Stadt sein.

An der Stolperstein-Verlegung nahmen Annette Koretzky-Vogt und Felix Koretzky teil. Die Enkelkinder des Ermordeten sind aus der Nähe von Bad Reichenhall und von Heidelberg angereist. Ihr Vater Joachim, Julius Koretzkys Sohn, habe selten – dann aber immer gut – von denen erzählt, die er in jungen Jahren verloren hatte: neben seinem Vater auch Mutter Elise, seine Schwester und seinen Neffen. Sie starben kurz vor Kriegsende bei einem Bombenangriff.
Die beiden Gäste freuten sich über Stolperstein-Verlegung und den Rahmen drumherum. So sang der Chor „The Good Moods“ des GutsMuths-Gymnasiums. Der Stein ist finanziert über die Aktion „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, berichtete Oberbürgermeister Frank Ruch (CDU). Er dankte allen Beteiligten und würdigte die Stolpersteine als ein „Projekt gegen das Vergessen“.