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Ein Einkauf ohne Wünsche

Von STEPHAN NEEF 21.01.2009, 17:51

THALE/MZ. - Da ist es für Dauer-Shopper unvorstellbar, dass es Geschäfte gibt, die nur an zwei Tagen des Monats ihre Tür öffnen. Und das auch nur für wenige Stunden.

Wer hier einkaufen will, darf nicht zu spät kommen. Doch selbst wenn er der erste Kunde ist, entscheiden andere, was in seinem Einkaufsbeutel landet. Da ist es reine Glückssache, ob er, wie erhofft, die begehrten Eier oder einen Salatkopf mit nach Hause nehmen kann.

Jeder zahlt Einheitspreis

Seit neun Jahren betreibt der Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt (Awo) auch in Thale einen "Laden ohne Kasse" (die MZ berichtete). Wer hier kauft, zahlt unabhängig von der Warenmenge nur einen symbolischen Einheitspreis - 60 Cent pro Kind und 1,50 Euro für jedes erwachsene Familienmitglied. Das ist auch der Obolus, den das "Restaurant mit Herz", dem der Laden angeschlossen ist, für eine Mahlzeit verlangt. Kunden und Restaurant-Gäste sind oft identisch.

Unter dem Existenzminimum

Einrichtungsleiterin Sylvia Machemehl spricht von Bedürftigen. Und meint Hartz IV- und Rentenempfänger, deren Einkommen "unter dem Existenzminimum" liegt. Das muss der Nutzer allerdings nachweisen. 109 Teilnehmer, der älteste 83 Jahre alt, sind zur Zeit als potentielle Ladennutzer angemeldet, die meisten kommen aus der Unterstadt. In den betroffenen Familien leben über 25 Kinder. Die Familiengröße entscheide auch, "wie gefüllt die Taschen sind", erläutert die Ladenleiterin. "Alleinstehende bekommen natürlich weniger." Was und wie viel verteilt werden kann, hängt von den Spenden der Märkte, Landwirtschaftsbetriebe, Bäckereien oder Drogerie-Ketten ab. "Im Prinzip gibt es alles", berichtet Sylvia Machemehl. Am besten gefüllt sind ihre Kühltruhen und Regale jedoch zu Beginn eines neuen Jahres. "Da machen die Märkte Inventur, die Folge ist ein Wahnsinnsumfang an Spenden", weiß Hella Zober, die Leiterin der "Harzer Tafel", die hauptamtlich das Filialnetz der Herz-Restaurants und kassenlosen Läden betreut.

Am vergangenen Montag war es wieder so weit: Die einstige Kleiderkammer des Hauses, die heute als Warenraum dient, schien zum Bersten gefüllt. Awo-Kreisgeschäftsführer Karl-Gerrit Bädje, Thales Bürgermeister Thomas Balcerowski und Medienvertreter waren Zaungäste der kurzzeitigen Ladenöffnung. Sie sollten einen Eindruck von der Spendenbereitschaft, aber auch von der Notwendigkeit und den Bedürfnissen der "Harzer Tafel" bekommen. Zugleich wollte sich die Awo bei Balcerowski bedanken, der maßgeblich dazu beitrug, dass die Stadt zu den Großsponsoren der Tafel gehört und sich auch an der Finanzierung eines neuen Kühlfahrzeuges beteiligte.

Warten beginnt schon um 8

Wilfried Uhde, der eine vierköpfige Familie zu ernähren hat, gehörte zu den ersten Kunden. Er hatte diesmal den Bon mit der Nummer 6 erwischt, fünf Bedürftige waren also vor ihm da. Das Warten beginnt für manchen bereits um 8 Uhr, drei Stunden vor Ladenöffnung. Die Restauranträume werden dann zum Wartezimmer. Mittags bildet sich auch auf dem Hof eine Menschentraube. Jeder weiß, dass fast alle Waren aufgrund des nahen oder abgelaufenen Verfallsdatums "zum sofortigen Verzehr bestimmt sind und nicht eingefroren werden dürfen", wie Machemehl und Zober betonen. Nach zwei, drei Tagen sollten sie verbraucht sein. Doch erst zehn Tage später öffnet der Laden wieder. An Joghurt, Pizza oder Weihnachtssüßigkeiten mangelt es diesmal nicht. Doch wer bekommt eine der drei Ananasfrüchte oder einen der vier Rosenkohl-Beutel? Wer einen Heringstopf, wer den Grillkäse? "Ein Wunschprogramm kann es bei uns nicht geben", bekräftigt Sylvia Machemehl. Zumal der Bedarf "seit der Einführung von Hartz IV stetig gestiegen ist", wie Bädje ergänzt. Bei den Gästen war die Anerkennung der Awo-Hilfsarbeit unüberhörbar. Doch mancher Beobachter empfand seine Eindrücke trotzdem als deprimierend und verließ den Laden sehr nachdenklich.