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Benjamin in der Opferrolle

Von Stephan Neef 15.06.2008, 18:53

Thale/Weddersleben/MZ. - Zum ersten Mal an diesem Tag. Der Rettungsdienst konnte den bewusstlosen Biker in kurzer Zeit reanimieren. Wenig später stand Kerst wieder auf den Beinen. Und bereitete sich auf den nächsten Crash vor.

Der angehende Rettungssanitäter hatte beim 4. Rescue-Camp, dem traditionellen Rettungs(zelt)lager von Rettungskräften des Altkreises Quedlinburg, eine Opferrolle übernommen. Immer wieder zogen ihm die Kollegen den Helm vom Kopf, legten die Halskrause an, rollten seinen Körper in die stabile Seitenlage. Bei Herzdruckmassage und Beatmung überließ Kerst einer Übungspuppe das Feld - zumal auch die Intubation, das Einführen eines Tubus in die Luftröhre, trainiert wurde. "Wir üben alle Notkompetenz-Maßnahmen", erläuterte Stationsbetreuer Thomas Lucke, der zum fünfköpfigen Organisationsteam gehörte. "Es sind Fallbeispiele, zum Teil schwierige Notfallsituationen, die aber täglich eintreten können", ergänzt Organisationsleiter Stephan Roloff. Der Biker-Unfall mit der imaginären Husqvarna sei ein solches Beispiel. Die Handlungsabläufe müssen sitzen, schließlich gehe es um Tod oder Leben.

Auch eine Geburt kann zum Notfall werden, weiß Oberärztin Melanie Hübner. Die im Quedlinburger Klinikum tätige Gynäkologin betreute die ungewöhnlichste Station: An ihrem Tisch gab es freudige Ereignisse im Stundentakt, wenn auch nur theoretisch. "Dieses Thema war bisher außen vor", bemängelte Hübner, obwohl selbst professionelle Retter vor einem solchen Einsatz "große Angst" hätten. Diese Berührungsängste müssten abgebaut, deshalb auch in diesem Fall alle Handgriffe beherrscht werden. Das fällt den Mitarbeitern der Leitstelle und den ehrenamtlichen Kollegen der Schnellen Einsatzgruppe (SEG) l etwas schwerer. Schließlich werden sie im Alltag seltener mit derartigen Notfällen konfrontiert.

Das zeigte sich auch am Steuer des Rettungsfahrzeuges. "Mensch, ist das anstrengend", stöhnte SEG-Mitstreiterin Nancy Püschel, nachdem sie den Lkw-Parcours im Schritttempo durchfahren hatte. "Schweinisch schwer", präzisierte sie. Glücklicherweise hatte der "Engpass" luftige Wände, so dass sie die Pufferzone beiderseits des Fahrzeuges von zehn auf 30 Zentimeter ausdehnen konnte. Und die kurvenreiche, superenge Gasse war lediglich durch Kegel markiert. Nur einmal streifte sie eine imaginäre Hauswand. Die besten Rangierer schafften 20 der möglichen 40 Punkte, berichtete Fahrlehrer Siegbert Zeuchner. "Auch ich habe es nicht geschafft", gestand der Fachmann.

Da hatten es die "Drei vom Kessel" - so ihr T-Shirt-Aufdruck - leichter, die das Camp bekochten. Küchenchef Michael Grasshoff, leidenschaftlicher Ungarn-Freak, braute seinen Kesselgulasch mit Import-Zutaten und über offenen Feuerstellen. Nicht nur Stephan Roloff dankte dem Technischen Hilfswerk (THW), das kurzfristig sein Übungsgelände an der Wedderslebener Maßmühle zur Verfügung stellte. Ursprünglich sollten die Zelte auf dem Thalenser Mühlenberg aufgeschlagen werden, der ergiebige Regen erzwang den Umzug. Neinstedts Bürgermeister Malte Koepp und der Quedlinburger Arzt Andre Gierak unterstützten das Camp mit Spenden. Gieraks Kollege Dr. Martin Stielow beteiligte sich mit einem Vortrag über Kinder-Reanimation. Melanie Hübner war mit der Übung "sehr zufrieden". "Es lief perfekt", meinte die Ärztin. Übungsbeste wurde die Mannschaft vom DRK Quedlinburg. In der Einzelwertung: 1. Mathias Joachim (Leitstelle Harz), 2. Rolf Hahnl (DRK), 3. Torsten Lindow (DRK).