1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Quedlinburg
  6. >
  7. Bahnhof in Gernrode: Bahnhof in Gernrode: Ein Leben jenseits der Fassade

Bahnhof in Gernrode Bahnhof in Gernrode: Ein Leben jenseits der Fassade

Von Kathleen Bendick 05.02.2015, 10:12
Marianne Mauer hat dieses Bahnhofsgebäude gekauft.
Marianne Mauer hat dieses Bahnhofsgebäude gekauft. Privat/Mauer Lizenz

Gernrode - Reisende hat dieses Bahnhofsgebäude lange nicht gesehen. Im Jahr 2004 wurde die normalspurige Strecke durch Gernrode stillgelegt. Inzwischen hat sich die Natur das Gleisbett zurückerobert - genau das richtige für den Hobby-Fotografen Peter Losch. Der Quedlinburger liebt es, Aufnahmen von leeren Bahnhöfen und alten Gleisen zu machen. Die Bilder zeigt er dann im Online-Forum der Bürgerreporter. Dieses Mal aber gibt es nicht nur totes Gelände.

Gernrodes Bahnhof lebt. Sozialpädagogin Marianne Mauer hat ihn gekauft. Hinter den Fassaden hilft sie, schwer erziehbaren Jugendlichen wieder in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Peter Losch hat einen Blick ins Innere gewagt und seine Erlebnisse im Online-Forum geteilt.

Erste Begegnung

„Ich klopfe an die Tür und mir öffnet eine junge hübsche Frau“, schildert Peter Losch seine erste Begegnung mit Marianne Mauer. „Sie trägt eine bequeme schwarze Jogginghose, ist barfuß und lächelt mich mit ihren schönen blauen Augen an.“ Die 48-jährige Sozialpädagogin kommt aus Koblenz. Dort hat sie jahrelang im Jugendamt gearbeitet. „Ich habe Kinder- und Jugendliche an Betreuungsstellen vermittelt“, erzählt Mauer.

Mehr zum Thema lesen Sie auf der folgenden Seite.

Immer mehr habe sie im Laufe der Zeit die Sehnsucht verspürt, auch mit den Kindern zu arbeiten und sie nicht nur hin- und herzuschieben. Eine persönliche Lebenswende und eine Anzeige im Internet führten sie schließlich in den Harz: Mauer hat eine Verkaufsanzeige des Gernröder Bahnhofs gesehen. „Ich habe mir das Haus angesehen und mich sofort verliebt.“ Das Haus wurde gekauft.

Fast zwei Jahre hat die alleinerziehende Mutter erst einmal nur renoviert, am Anfang ohne Strom und Heizung. Rückblickend weiß die Sozialpädagogin auch nicht mehr so genau, wie sie es geschafft hat, allein Pfähle in den Boden zu rammen und die Sanierung mit wenig Geld und den eigenen Händen zu bewältigen. „Aber ich habe immer an das Projekt geglaubt. Und ich tue es noch. Das gibt mir wohl Kraft“, sagt Mauer.

Keine einfachen Fälle

Vor zwei Jahren dann wurde der Traum war: Die Sozialpädagogin eröffnete die individualpädagogische Betreuungsstelle für die langfristige Unterbringung von Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren. „Wer zu mir kommt, erhält sonst keine Chance mehr“, meint Mauer. Probleme zu Hause, Probleme mit Drogen, Probleme mit der Polizei - wer hier einzieht, ist kein leichter Fall.

Zwei Jungs betreut die 48-Jährige derzeit. Sie leben gemeinsam mit Mauer und ihrem eigenen Kind unter einem Dach, obwohl das Haus längst nicht fertig saniert ist. Farbe fehlt. Baumaterialien liegen auf den Böden. „Darum geht es auch. Diese Jugendlichen brauchen keine fertigen Muster und Abläufe“, meint Mauer. Hier gebe es keine schönen Fassaden, die nach außen aufrechterhalten werden müssten. Die Jugendlichen sollen hier einfache gesellschaftliche Tagesabläufe wieder erlernen. Das unfertige Haus helfe dabei. Hier gibt es Platz für Wut und Zorn. Hier kann etwas gestaltet werden.

Haus der Begegnungen

Komische Blicke von den Nachbarn und Diffamierungen bei Ämtern gehören dabei ebenfalls zum Alltag. „Wir leben zusammen“, meint Mauer. Viel Bewegung also für den kleinen Ort Gernrode - und für das Bahnhofsgebäude, das 1889 eröffnet wurde. Auch dafür hat Marianne Mauer noch Visionen. Es soll ein Haus der Begegnungen werden, ein kleines Café möchte sie einrichten und vielleicht auch Ferienwohnungen. Peter Losch will dann wiederkommen und auch ein paar Fotos machen.

Im Forum der Bürgerreporter berichten Leser aus der Nachbarschaft. Den Beitrag von Peter Losch steht unter: www.mz-buergerreporter.de/bahnhof. (mz)

Die Sanierung dauert an.
Die Sanierung dauert an.
Privat/Losch Lizenz