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Vita Vita: Ein Wegbereiter

24.02.2014, 07:56
Jojo verhilft Leo zur Flucht aus dem Altenheim. Der frühere Boxer verkleidet sich als alte Dame und überreicht seine Boxhandschuhe Jojo zum Dank.
Jojo verhilft Leo zur Flucht aus dem Altenheim. Der frühere Boxer verkleidet sich als alte Dame und überreicht seine Boxhandschuhe Jojo zum Dank. Hellfritzsch Lizenz

Naumburg - Er steigt in die Pumps, schiebt das Kopftuch zurecht, schminkt sich die Lippen. Als er sich wieder setzt, röhrt Mick Jagger schon „Time is on my Side“. Dann schlägt er die Beine übereinander, hebt den Kopf und schaut. In die Zukunft. Der Rote Leo, einst ein berühmter Faustkämpfer, der in Berlin erst die schwersten Gegner auf die Bretter schickte und anschließend im „Wintergarten“ von der Creme der Gesellschaft gefeiert wurde, fühlt sein Boxer-Herz wieder schlagen. „Ganz k.o. ist man nie.“ Die Flucht, verkleidet als alte Dame, kann beginnen.

Hinter einem Stapel aus Kartons

Bis dahin erlebten die Zuschauer der Premiere des Stücks „Das Herz eines Boxers“ von Lutz Hübner im Theater Naumburg die Geschichte zweier Männer, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein können. Jojo, 16 Jahre alt, hat in Berlin angeblich ein Mofa geklaut und muss deshalb vom Richter verhängte Strafstunden leisten. Im Altenheim, wo er ein Zimmer in Ordnung bringen soll, trifft er auf Leo. Der jedoch ist zunächst nicht zu sehen. Hinter einem Stapel aus Kartons hat er sich verbarrikadiert.

Erstmals aufgeführt wurde das Jugendtheaterstück „Das Herz eines Boxers“ von Lutz Hübner 1996 im Berliner Grips-Theater mit Axel Prahl als Jojo. 1998 erhielt es den Deutschen Jugendtheaterpreis.

Weitere Aufführungen im Theater Naumburg sind zu sehen: am 25. und 26. Februar (je 10 Uhr); am 1., 14. und 15. März (je 19.30 Uhr) sowie am 18., 19. und 20. März (je 10 Uhr). Aus Anlass des Sozial-Tages lädt das Theater Naumburg in Kooperation mit der Deutschen Bank Naumburg am Mittwoch, 26. Februar, 10 Uhr, zu „Generationen im Gespräch“ ein. Dazu wird das Stück „Das Herz eines Boxers“ gezeigt. 

Soheil Boroumand, Kopfhörer auf den Ohren, viel Flüssiges in der Nase und mit gequältem Summen - er ist das geklonte Abbild eines am Sonnabendmorgen mit der U1 in Richtung „Kotti“ fahrenden Berliner Unterschicht-Jugendlichen - lässt bei aller Lockerheit und Coolness die Unsicherheit dieses Jojo spüren. Zumal der Alte nicht mit ihm sprechen will. „Dabei reden die doch immer.“ Wenigstens über Stalingrad. Wie Boroumand diesen Jugendlichen spielt, ist überaus überzeugend. Mal ausbrechend, mal wütend, dann wieder verzweifelt, dann sprudelnd vor Glücksgefühlen. Entgegen kommt ihm der durchaus witzige Text, der trotz des Jargons den inneren Kern des 16-Jährigen spüren lässt.

„Du hast Charakter“

„Du hast Charakter“, wirft ihm Leo karg entgegen. Als ersten Satz, den er sagt. Holger Vandrich, im Schlafanzug und mit Puschen, später hat er den rot-seidenen Boxermantel übergezogen, lässt das Publikum am Schicksal eines Boxers teilhaben, der immer Angst hatte und sich eigentlich nie schlagen wollte. „Ein richtiger Boxer hat ein so großes Herz, dass er niemanden hassen kann. Er schlägt zu, aber nicht aus Hass.“ Entwickelt sich zwischen Jojo und Leo zunächst eine Zweckgemeinschaft, wird aus dieser bald echte Teilhabe. So, als Leo Tipps gibt in Sachen Rosen und Freundin. So, als Jojo Leos Boxer-Devotionalien verkauft, damit der seine Flucht-Fahrkarte nach Südfrankreich bezahlen kann. Leider jedoch endet Ausbruchsversuch Nummer eins an einer Hauswand. Was Leo nicht wissen konnte: Das Auto des Essen-Mannes hatte keine Gangschaltung, sondern Automatik. Pech gehabt - zurück ins Heim.

Spätestens hier wird die Ambivalenz des Komischen und des Tragischen des Textes deutlich, die Boroumand und Vandrich - von Anfang bis Ende wunderbar aufeinander abgestimmt - dem Zuschauer eindrucksvoll servierten. Das macht Spaß, lässt mitfühlen, wird nie langweilig und hält die Spannung bis zum Schluss. Der lange Applaus des Premieren-Publikums allerdings galt nicht nur dem Schauspieler-Duo, das die beiden Charaktere subtil wie facettenreich gespielt hatte, sondern ebenso Regisseur Michael Stacheder und Ausstatterin Aylin Kaip.

Geschretterte Tonsequenzen

Sie setzen Leo in eine Umwandung aus Kartons, die Jojo nacheinander abträgt. Im Gegensatz zur ursprünglichen Handlung, in der Jojo Leos Zimmer streichen soll, wählen sie damit auch optisch ein Mittel, mit dem das langsame gegenseitige Zueinanderfinden der beiden Figuren verdeutlicht wird. Die einzelnen Szenen trennend, setzt Stacheder geschretterte Ton- und ins Negative verkehrte Filmsequenzen von Boxkämpfen ein.

Insgesamt eine gelungene Inszenierung, so war sich das Premieren-Publikum einig, an der junge Zuschauer ebenso Interesse finden werden wie alte. Eine Inszenierung auch, die zeigt, dass es das Naumburger Haus - trotz kleiner Bühne - vermag, im Sinne seiner Besucher besondere Akzente in der Theaterlandschaft zu setzen.