Im Tunnel des Zuckerberges
NAUMBURG. - Beginn in der Badstraße
Wir begannen unseren Rundgang in der Badstraße. "Hier beim Bäcker Meyer", erzählte Krehahn und weist auf ein Haus, das es so damals nicht gab, "hatte ich Brot gekauft und gerade in die Aktentasche gesteckt, als Fliegeralarm kam und vor Tieffliegern gewarnt wurde." Eilig ließ der damals neun Jahre und drei Tage alte Junge sein Fahrrad beim Bäcker stehen. "Da rannte schon alles in Richtung Herrmannstraße." Krehahn fand Schutz hinter einem Haus mit großem Wasserfass in Altgrochlitz. "Nun flogen schon die ersten Bomben. Das muss dann kurz nach 10 Uhr gewesen sein."
Heereszeug- und Verpflegungsamt
In seinem militärgeschichtlichen Abriss (Arps-Verlag Weißenfels) hat der Autor Jürgen Möller vier Angriffswellen bis 11.45 Uhr recherchiert. "Bis 10.49 Uhr werfen 41 A-26-Invader 246 Bomben zu je 250 Kilogramm ab. Gegen 10.52 Uhr erreicht eine zweite Angriffswelle mit 36 B-26 die Stadt und klinken ihre 500-Kilogramm-Bomben aus." Insgesamt seien 278 250-Kilo-Bomben des Typs M-17 abgeworfen worden. Alle Chronisten sind sich sicher, dass die Angriffe dem Heereszeug- und Verpflegungsamt galten. Doch beide militärische Versorgungslager wurden nur geringfügig beschädigt, auch andere militärische Objekte in der Stadt waren kein Ziel. In Berichten wird vom "schlechte Wetter" geschrieben, das Sicht und Zielgenauigkeit behindert hätte.
Uniformierte Deutsche inhaftiert
Dem widerspricht Krehahn energisch: "Es war glasklares Wetter." Damit stimmt er mit einem früheren Zeitzeugen überein. Pfarrer Konrad Zippel (1886-1950) hatte bereits am 13. April 1945 schriftlich geäußert, "dass der Angriff am hellen Tage bei bester Sicht erfolgte". Zurück zu unserem Rundgang. Krehahn führt zunächst zum Dechantengrund. "Wo jetzt Mur-Stahlbau seine Produktionsstätte hat, standen damals fünf, sechs Baracken." Dort seien uniformierte Deutsche inhaftiert gewesen.
"Keller war voller Menschen"
Krehahn vermutet, dass es sich um Angehörige einer Feldstrafgefangenenabteilung oder einer anderen Sonderabteilung der Wehrmacht für verurteilte oder wehrunwürdige Deutsche gehandelt habe. Und Krehahn erzählte weiter: Am Vormittag des 11. April wurde er durch zwei deutsche Militärpolizisten in Altgrochlitz aufgegriffen und in einen Keller nahe dem Grochlitzer Pegel gebracht. "Der war schon voller Menschen und ich wurde da regelrecht reingedrückt", erinnerte sich der Naumburger. Wir schauten uns das an: Der Keller ist noch im Fels vorhanden. Heute lagert der Wirt der Gaststätte "Zum Pegel", Wolfram Eschenbach, hier seinen Wein. Zu zwei weiteren Bunkern führte uns der Zeitzeuge. Versteckt in dichtem Unterholz, auf halber Höhe des Klingenbergs, ist ein mehrgängiger Bunker mit dicken Betonmauern in den Berg gebaut. Dann ging es zum Zuckerberg auf ein Privatgelände. Dort ist der Eingang zu einem Gangsystem von respektabler Größe, das gut 40 Meter in den Zuckerberg getrieben ist.
Krehahn weiß, dass hier die Insassen des Wehrmachtsstraflagers im Berg gearbeitet haben. Mit Loren wurde der weiße Sand (der dem Zuckerberg den Namen gab) zutage befördert und aufgeschüttet. Im Gelände hätten rote Vermessungsstangen gesteckt. "Die Rede war damals davon, dass hier eine unterirdische Verbindung vom Zuckerberg zu den Kellern des Felsenkellers hergestellt werden soll", erinnerte sich Krehahn. Der Zweck dieses Baus konnte bis heute nicht ermittelt werden. Bei den Bombenangriffen am 11. April waren in den Zuckerberg-Gängen die Verwundeten untergebracht.
Jagdflieger schossen auf Flüchtende
Und damit kommen wir auf die Tieffliegerangriffe zu sprechen. "Bei dem Angriff schossen Jagdflieger mit ihren Bordkanonen auf flüchtende Menschen", hatte bereits Martin Onasch 1995 in seinem Brieftagebuch über das Kriegsende festgestellt. Wolfgang Krehahn sagte dazu: "Sie überflogen das Barackengelände, den Erbsenweg und Am Gerberstein und schossen auf die vielen Menschen, die an den Hängen des Zuckerbergs Schutz suchten." Dabei seien sie mehrmals im weiten Bogen angeflogen. "Ich sehe die Toten noch heute am Hang liegen, Uniformierte und Zivilisten", sagte der Naumburger. Das Bild werde er nie vergessen. Wieviel Tote das waren, kann heute keiner mehr genau sagen. Es sei damals von 1 200 Toten die Rede gewesen. Fremdarbeiter waren darunter, Soldaten, viele Flüchtlinge, die nie identifiziert wurden. "Mehr als 200 Ausländer wurden auf den Naumburger Friedhöfen beerdigt. Etwa die gleiche Zahl von Opfern forderten die Luftangriffe unter den Naumburger Bürgern", heißt es dazu in einer Dokumentation des Stadtmuseums Naumburg.
Die letzte Station unseres Rundgangs führte zum Elternhaus von Wolfgang Krehahn in die Schönburger Weichau. Das fand der Junge nicht mehr vor, als er heimkehrte. Seine Mutter Marianne war unter zweieinhalb Meter Erde verschüttet und wurde frei geschaufelt. Die Kinder Evi (4) und Eberhard (1) an ihrer Seite waren erstickt. Mit ihren eigenen Händen haben die Krehahns das Haus dann von 1945 bis 1948 neu gebaut. In und um das Grundstück wurden 36 Bombentrichter mit dem Sand des Zuckerberges verfüllt.