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Hintergrund Hintergrund: Eine Schiffslinie vereint das Land

02.03.2015, 09:25
Ein Garant für Gänsehaut: das Nordlicht, auch Aurora borealis genannt.
Ein Garant für Gänsehaut: das Nordlicht, auch Aurora borealis genannt. Ørjan Bertelsen/Hurtigruten Lizenz

Und dann ist es da. Wie von Zauberhand an das Firmament gemalt. Im zarten Grün zieht es von Horizont zu Horizont seine Bahn. Der Himmel ist von Wolken leer gefegt. Nur der Mond und unzählige gleißend helle Sterne gesellen sich zum Nordlicht, das sich wirbelt und wendet. Stille herrscht auf Deck sieben der MS Polarlys auf ihrem Weg aus dem Norden nach Trondheim. Es ist mitten in der Nacht. Kurz vor ein Uhr. Nur wenige Passagiere sind der Durchsage der Crew gefolgt, um das Naturereignis zu erleben, das einen ehrfürchtig staunen lässt. Trotz der Minusgrade.

2400 Kilometer - eine Strecke

Doch auf den mehr als 2400 Kilometern, die das Schiff der Hurtigruten auf seiner Tour entlang der zerklüfteten norwegischen Küste zwischen Bergen und Kirkenes zurücklegt, ist das Nordlicht, auch unter dem Namen Aurora borealis bekannt, nicht das einzige Erlebnis. Wenn die Tage kurz sind, die Helligkeit und Wärme sich rar machen, wird jedes Licht ein Ereignis: Die Sonnenauf- und -untergänge umrahmen die schneebedeckten Berge in unterschiedlichen Farbgebungen. Zu den weißen Gipfeln gesellen sich Farbtöne, die an Honigmelone und Grapefruit erinnern und die Kargheit der Küstenlandschaft aus hohen Bergketten, Schären, Inseln und Fjorden vergessen lassen. In den Fenstern der Häuser leuchten mehrere Lampen. Kleinere Städte erscheinen aus der Ferne wie eine Schar Glühwürmchen. In den Innenstädten von Trondheim und Tromsø tragen Bäume funkelnde Lichterketten.

Beide Städte zählen zu den insgesamt 34 Häfen, in denen das Schiff anlegt. Manchmal nur für eine Viertelstunde, manchmal für mehrere Stunden, um Fracht zu laden und Tagesbesucher zu empfangen. So bleibt Zeit, Land und Leute zu erkunden. Reiseleiter David Jam hält für jeden Tag ein Programm bereit - mit Hinweisen zu Häfen, Sehenswürdigkeiten und Aktionen an Bord. Auch wenn viele Ausflüge angeboten werden. Meist gehe ich für mich per pedes auf Tour. Nach dem Ablegen in Bergen ist Ålesund die nächste größere Stadt - eine Perle der Westküste. Nach einem Brand 1904, der die Innenstadt nahezu völlig zerstört hatte, wurden die Häuser im Jugendstil wieder aufgebaut. Der Rundgang von Straße zu Straße, zur Kirche und entlang des Hafens mit einer Vielzahl an Segelbooten wird kurzerhand unterbrochen für einen Zwischenstopp im Café. Die Norweger bringen sich nicht nur mit Licht über den Winter. Sie lieben auch gutes Essen und Gemütlichkeit.

Passagiere auf Panorama-Deck

Auf dem weiteren Weg wird eines jedoch deutlich. Die Hurtigruten ist nicht von der eiligen Sorte - trotz ihres Namens. Bergketten, Inseln, Schären und Fischerboote ziehen gemächlich vorbei. Die MS Polarlys fährt maximal 15 Knoten, etwa 28 Kilometer pro Stunde. Entschleunigung pur. Und trotz des scheinbar für eine gewisse Zeit immergleichen Ausblicks gibt es immer wieder etwas Neues zu entdecken. Hinter jedem Berg wartet ein weiterer mit anderer Form. Einige ähneln riesigen schlafenden Tieren. Das Licht verändert sich. Einige Passagiere machen es sich auf dem Panorama-Deck bequem. Manch einer trägt Hausschuhe. Es wird gelesen, gerätselt, gestrickt. Die ambitionierten Hobby-Fotografen drehen indes ihre Runde auf Deck 5, dem Außendeck. Auch dann, wenn wenige Tage später ein eisiger Wind herrscht. Mütze, Schal, Handschuhe und wenn möglich Thermo-Unterwäsche oder dicke Strumpfhosen gehören deshalb in jeden Koffer. Zu den Touristen - die Schar ist sehr überschaubar - zählen neben Deutschen vor allem Engländer, Schweizer sowie Holländer. Und eine Frau aus der Nähe von Wittenberg ist an Bord. Nach einer Reise auf der MS Polarlys im Herbst vor gut zwei Jahren sollte es nun der Winter sein - auf dem gleichen Schiff. Es sei hier gemütlicher als auf den größeren der Millenium-Reihe wie der MS Finnmarken oder MS Midnatsol, sagt sie. Die nächste Reise steht schon in Aussicht. „Das Frühjahr soll ja auch sehr schön sein“, meint sie.

Am dritten Tag legt das Schiff in Trondheim an, die drittgrößte Stadt des Landes. Neben der Altstadt mit den bunten Holzhäusern ist ein Besuch im Nidarosdom ein absolutes Muss, der, im elften Jahrhundert erbaut, zu den bedeutendsten Kirchen des Landes zählt und den Besucher wegen seiner reichen Innengestaltung und Ausstattung staunen lässt. Doch allzu lang ist der Aufenthalt leider nicht. Es geht zurück zum Schiff. Das nicht wartet, wenn ein Passagier die Abfahrtszeit verpasst, und jederzeit pünktlich vom Kai ablegt. Mit der weiteren Fahrt wird nicht nur die Witterung etwas rauer, in Richtung Norden nehmen die Berge bizarrere Formen an, erinnern oftmals an riesige Haifischzähne. Am Morgen des vierten Tags wird der Polarkreis überquert. Meeresgott Neptun wird für eine Zeremonie begrüßt. Mutige Passagiere bekommen Eiswürfel in den Nacken gekippt. Die bekannte Ice-Bucket-Challenge scheint in Norwegen ihre Wurzeln zu haben. Nach Bodø, einer im Zweiten Weltkrieg nahezu völlig zerstörten Stadt, die sich nun mit moderner Architektur schmückt, sind die Lofoten das nächste Ziel. Ein kurzer Stopp wird in Svolvær, der Hauptstadt der Inselgruppe, eingelegt. Es ist dunkel. Aber vor allem glatt. Wie später auch in Tromsø, der „Hauptstadt“ Nordnorwegens. Eine dicke Schicht Eis überzieht Straßen und Plätze. Statt Salz greift man hier zu grobkörnigem Splitt. Manch Bürgersteig wird sogar beheizt. Die Fahrkünste und Ausgeglichenheit der Einheimischen beeindrucken. Für den ungeübten Besucher hilft es, wie ein Pinguin mit kleinen Schritten und leicht nach vorn gebeugtem Oberkörper zu gehen, um nicht zu fallen. Manche tragen Spikes an den Schuhen.

Hohe Wellen und flau im Magen

Die immer weiter sinkenden Temperaturen und die karger werdende Landschaft, in der angesichts hoher Berge, Schiffe, Boote und Häuser wie Spielzeug wirken, werden am darauffolgenden Morgen durch eine bezaubernde Lichtstimmung am Sonnenaufgang wettgemacht. Glut überzieht den Himmel. Wenig später erreicht das Schiff den Hafen von Honningsvåg, das Nordkap ist nur eine kurze Autofahrt entfernt. Ein Schild weist auch auf die Nähe zum Nordpol - nur 2000 Kilometer sind es bis dahin. Bunte Häuser schmiegen sich an den Hang des Berges. Menschen sind mit Schlitten unterwegs, um einzukaufen. Den Halt nutzt die Mannschaft für ein Sicherheitstraining. Ahnt die Crew, was in der Barentsee auf dem Weg nach und wieder ab Kirkenes kommen wird? Das Schiff schaukelt angesichts einer Berg- und Tal-Bahn mächtig. Wenn die Brecher gegen die Wand schlagen, knallt es kräftig. Das delikate Abendessen, das jeden Tag besondere Spezialitäten der einzelnen Regionen vorstellt, fällt diesmal für einige Gäste aus. Allzu flau fühlt es sich im Magen an. Auf der Rücktour wird es später auch Mitglieder der Gastronomie-Crew „erwischen“. Bei sieben bis acht Meter hohen Wellen verständlich.

In Kirkenes verlässt ein Teil der Reisegruppe das Schiff. Für einige hat die Reise ein Ende gefunden, das noch mit einem Besuch im Eis-Hotel oder einer Schneemobil-Fahrt gekrönt wird. In der Stadt nur wenige Kilometer von der russischen Grenze entfernt gibt es zweisprachige Schilder und ein Ehrenmal, das an die Befreiung 1945 erinnert. In den Vorgärten liegen Schneemobile, in der Bucht am Hafen kleine Eisschollen.

Die Tour zurück in den Süden benötigt weniger Zeit. Nur fünf Tage sind es bis zum Ziel Bergen. Häfen, die das Schiff zuvor auf der nordwärts gehenden Reise in der Nacht angefahren hat, werden nun am Tag besucht.

Ein Museum in Stokmarknes auf der Inselgruppe Vesterålen gibt mit Exponaten Einblicke in die Geschichte und die Bedeutung der Hurtigruten, die jährlich rund 400000 Passagiere begrüßt und im vergangenen Jahr von britischen Investoren gekauft wurde. Für einen Blick auf die bizarren Formen der Berge der Lofoten ist es allerdings zu spät. Die Dämmerung setzt am frühen Nachmittag ein. Ein Grund mehr, das Land bald ein weiteres Mal zu besuchen.

Bergkette „Sieben Schwestern“

An Tag zehn wird der Polarkreis erneut überquert. Eine Weltkugel, auf einer winzigen Insel platziert, zieht gemächlich vorbei. Diesmal scheint Neptun ein freies Wochenende zu haben. Dafür gibt es während der Zeremonie für die Touristen einen großen Schluck Lebertran. Für diese Form der Tapferkeit reichen der Reiseleiter sowie Gastronomie-Manager Yngve Skog Rodal silberne Löffel als Souvenir aus. Wenig später zeigt sich die bekannteste Bergkette „Syv søstre“, die ihren Namen (übersetzt „Sieben Schwestern“) wegen ihrer markanten Form aus sieben Gipfeln erhalten hat. Am vorletzten Tag wird ein kurzer Halt in Kristiansund sowie in Molde eingelegt. Vor allem Schären prägen nun die Landschaft. Die See ist nahezu spiegelglatt. Am letzten Tag kommt eine wehmütige Stimmung auf. Stille herrscht auf dem Schiff. Viele sitzen auf dem Panoramadeck. „Einfach friedvoll. Ich werde diese Ruhe vermissen“, bemerkt eine Engländerin. Die MS Polarlys ist in Bergen, im Süden, angekommen. Das Eis auf dem Schiff schmilzt.

Am Kai von Tromsø
Am Kai von Tromsø
C. Matthes Lizenz
Lichterglanz in der Innenstadt von Trondheim
Lichterglanz in der Innenstadt von Trondheim
C. Matthes Lizenz
Agdenes Leuchtturm - einer der schönsten Leuchttürme Norwegens.
Agdenes Leuchtturm - einer der schönsten Leuchttürme Norwegens.
C. Matthes Lizenz