Handball Handball: Abstimmung über Fusionspläne

naumburg - Ein Klick, und schon hat man auf Facebook einen Freund. Ein Anschalten, schon holt man sich per Fernseher die Welt in die Wohnstube. Es gibt viele Möglichkeiten sich abzulenken. Und doch ist das Gefühl bei vielen da, vor allem bei Rentnern. Zwischen fünf und 20 Prozent (je nach Studie) fühlen sich einsam. Zu ihnen gehören auch die Naumburger Rosemarie Stahl (95) und Klaus-Dieter Schmidt (83). Beide leben allein, kannten sich bisher nicht. Tageblatt/MZ verabredete sich mit ihnen zum Kaffeetrinken.
Rosemarie Stahl hat Kaffee gekocht und den Tisch gedeckt. Dazu reicht die Kraft trotz ihrer 95 Jahre aus. Nur das Treppensteigen fällt ihr mittlerweile zu schwer. Seit 85 Jahren lebt sie in der gleichen Wohnung. Seit dem Tod ihres Mannes vor 22 Jahren allein. Und seit fast einem Jahr hat sie die Wohnung nicht verlassen können. Klaus-Dieter Schmidt nimmt Platz. Er ist noch gut zu Fuß, fährt sogar noch Auto.
Schmidt: Ahh, ich sehe, Sie haben auch eine Haus-Notrufanlage vom DRK. Sehr gut.
Stahl: Ja, die hat mir letztens sehr geholfen. Da bin ich im Schlafzimmer gestürzt, habe mir den Kopf an der Nachttischplatte aufgeschlagen und kam nicht mehr hoch.
Schmidt: Ich habe die Anlage auch schon gebraucht. Für 32 Euro ist das eine gute Investition.
Stahl: Ich zahle nur 19 Euro - mit Pflegestufe 1.
Die Senioren kommen ins Plaudern. Schnell dreht es sich um Krankheiten. Grünen und Grauen Star haben sie beide - und den gleichen Professor in Halle. Was sie nicht haben sind Kinder und Enkel. Bei Stahls blieb der Kinderwunsch erfolglos. Bei den Söhnen von Helga und Klaus-Dieter Schmidt wurde im Erwachsenenalter Muskelschwund diagnostiziert. Nach dem Tod von Mutter Helga wurden sie von ihrem mittlerweile 75-jährigen Vater sechs Jahre lang rund um die Uhr zu Hause betreut - bis zum Tod. Wir unterhalten uns über das Alleinsein.
Stahl: Ich habe mich dran gewöhnt und freue mich, wenn ich ab und an Besuch bekomme. Wobei: Je älter man wird, umso kleiner der Bekanntenkreis. In den 90er Jahren entstand auch häufiger Kontakt zu meinem ehemaligen Tanzstundenpartner. Aber ein Zusammenziehen kam nicht zustande. Keiner wollte seine Verhältnisse aufgeben.
Schmidt: Ich versuche, das Beste aus meiner Situation zu machen. Ich bin noch sehr aktiv, besuche meine Familie, fahre einkaufen. Mit 80 Jahren habe ich mir noch den Umgang mit dem Computer beigebracht und schreibe seitdem meine Biografie, und ich kümmere mich um meine drei Hühner und Schäferhund Bodo. Haben Sie Tiere? Das hilft ungemein.
Stahl: Nein. Dann übernimmt man auch Verantwortung. Das will und kann ich nicht mehr. Ich kümmere mich morgens um meinen Haushalt. Nur nachmittags werden die Tage lang. Denn lesen kann ich kaum noch. Nur das Tageblatt lese ich gerne. Ich will ja auch wissen, wer gestorben ist.
Schmidt: Stimmt, die Todesanzeigen lese ich auch immer.
Wir sprechen darüber, welche Hilfen und Angebote, beispielsweise von Senioren-Treffs, sie annehmen.
Stahl: In meinem Alter will man keine Verpflichtungen mehr und regelmäßig gleich gar nicht. Ich freue mich, dass ich jemanden habe, der mich mit Lebensmitteln versorgt. Auch mit meinen Pflegerinnen komme ich sehr gut aus. Nur eines hatte ich mir von vorn- herein verbeten: nämlich männliche Pfleger.
Schmidt: Ich denke, ich werde mal keine Hemmungen haben, mich pflegen zu lassen. Nur eines will ich nicht: in ein Pflegeheim. Das habe ich auch schriftlich eintragen lassen.
Stahl: Bei mir das Gleiche. Mein Arzt hat mir vom Heim abgeraten. Vier Wochen, Frau Stahl, hat er gesagt, dann sind Sie wieder hier, weil Sie es nicht aushalten.
Der Winter war zuletzt die Zeit, in der die dunklen Gedanken kommen.
Stahl: Ja, manchmal, wenn es dunkel ist, da denke ich, ich kann nicht mehr. Dann habe ich die Lust am Leben verloren und denke mir: Wenn ich doch bald sterben würde.
Schmidt: Als mein zweiter Sohn gestorben ist, brach für mich eine Welt zusammen. Da dachte ich: Entweder du ...
Stahl: Dann überlegt man, ob man die Tabletten eben nicht mehr nimmt und so vielleicht einschläft.
Schmidt: Ich bin ein christlicher Mensch, das hat immer geholfen.
Stahl: Auch bei mir ist der Lebensmut wieder da. Aber manchmal fragt man sich, wofür man alles macht. Für wen man Ordnung hält.
Klaus-Dieter Schmidt sind die Augen feucht geworden. Er erzählt von seiner Frau, „die immer für uns da war“. „Woran ist sie gestorben?“, fragt Rosemarie Stahl. „Darmkrebs. Am letzten Abend im Krankenhaus sagte sie: Geh’ zu den Jungs, die brauchen dich jetzt.“ Rosemarie Stahl schaut Klaus-Dieter Schmidt verständnisvoll an. Beide ertragen ihr Schicksal, resigniert haben sie nicht. Wir sprechen noch über ihre Wünsche, und was sie anderen raten, die sich einsam fühlen.
Schmidt: Jeder ist anders. Aber jeder sollte versuchen, aus seiner Situation das Beste zu machen. Mein Wunsch? Wieder im Männerchor mitsingen, dass hatte ich zuletzt nicht mehr gemacht, da das Pflaster auf dem Weg zum Proberaum so schlecht ist. Aber das war wohl bloß eine Ausrede von mir.
Stahl: Ich kann niemandem mehr Tipps geben, dafür bin ich zu alt geworden. Aber einen Wunsch hätte ich schon. Früher hatte ich eine Rommérunde, die leider, außer mir, verstorben ist. Dabei würde ich so gerne wieder Rommé spielen. Und raus: einmal möchte ich im Sommer noch in den Garten.
Klaus-Dieter Schmidt und ich bedanken und verabschieden uns. Hilfe beim Abräumen lehnt Rosemarie Stahl freundlich ab. „Ich hab’ doch genug Zeit dafür“, sagt sie.
