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Ukraine-Krieg Erfahrungen eines Naumburger Helfers: „Sie zuckten zusammen“

Tageblatt/MZ-Fotograf Torsten Biel ist wiederholt nach Polen gefahren. Die Situation, so sagt er, hat sich dramatisch verändert.

Aktualisiert: 03.04.2022, 11:28
 13 Frauen und Kinder sowie ein Hund und eine Katze treten die rund 1.000 Kilometer lange Fahrt  nach Naumburg an.
13 Frauen und Kinder sowie ein Hund und eine Katze treten die rund 1.000 Kilometer lange Fahrt nach Naumburg an. (Foto: Torsten Biel)

Naumburg - Seit Kriegsbeginn in der Ukraine ist die Hilfe für die Betroffenen groß, werden Hilfsgüter an die polnisch-ukrainische Grenze und Geflüchtete nach Deutschland in Sicherheit gebracht. Tageblatt/MZ-Redakteur Harald Boltze und unser Fotograf Torsten Biel hatten kürzlich eine solche Hilfsfahrt mit anderen aus Naumburg unternommen (wir berichteten), jetzt war Torsten Biel wiederum unterwegs. Zusammen mit Kirsten Reichert vom Dom-Besucherservice fuhr er einen vom Kleinjenaer Autohaus Girimhanov gesponserten Bus; einen Transporter des hiesigen Gastronomen Peter Draht lenkten wiederum Vadim Bulst aus Naumburg und Daniel Merkel, hauptberuflicher Feuerwehrmann aus Halle. Am Mittwochabend gestartet, sind die vier Donnerstagnacht mit 13 Geflüchteten - Frauen und Kindern - zurückgekehrt. Mit Torsten Biel sprach darüber Redakteur Michael Heise.

Du bist noch einmal nach Polen gefahren, warum?

Torsten Biel: Zur ersten Tour habe ich mich eher als Journalist gesehen, jetzt vor allem als Helfer. Wir, die gefahren sind, kennen uns teils schon von der ersten Tour. Es gab ein paar Absprachen, und dann ging es wieder los. Ich möchte aber sagen, ich bin nur ein winziger Teil in einem großen Getriebe. Da helfen und organisieren sehr viele rund um die Uhr - uneigennützig und unkompliziert.

Was habt ihr transportiert?

Hilfsgüter, die vor allem vom Verein ’Integration Naumburg’ gesammelt wurden: Konserven, Babynahrung, Spritzen, Iso-Matten, Schlafsäcke, sogar Tierfutter.

Torsten Biel (v.l.), Vadim Bulst, Daniel Merkel und Kirsten Reichert laden  zwei Transporter mit Hilfsgütern im Gemeindehaus der Kirche von Lubaczów aus.
Torsten Biel (v.l.), Vadim Bulst, Daniel Merkel und Kirsten Reichert laden zwei Transporter mit Hilfsgütern im Gemeindehaus der Kirche von Lubaczów aus.
(Foto: Torsten Biel)

Zuletzt wurde alles bei einem Pfarrer in Lubaczów nahe der Grenze abgegeben. Jetzt auch?

Ja, das kommt dort alles in den Gemeinderaum. Nach kurzem Schlaf in den Fahrzeugen haben wir dort auch Frühstück bekommen. Der Pfarrer bringt die Hilfsgüter direkt in die Ukraine.

Ihr seid dann weiter zur Grenze bei Korczowa gefahren, das an der A4 liegt. Wieder zu einer riesigen Flüchtlingsunterkunft, um dort freie Fahrt nach Naumburg anzubieten. Was ist anders als vor rund zwei Wochen?

Es ist eine sehr angespannte Situation. Die Menschen, die jetzt dort angekommen sind, die haben den Krieg tatsächlich schon erlebt. Sie sind in einer ganz anderen Verfassung als die, die damals meist vorauseilend geflüchtet sind. Dort in der Halle, ich denke das war früher einmal ein Großmarkt, haben sich alle irgendwie notdürftig mit ihrem wenigen Hab und Gut eingerichtet. Doch sie sind sehr traumatisiert und verunsichert, haben Angst.

Wie äußert sich das?

An eine Begebenheit muss ich mich immer wieder erinnern. Als wir in der Halle waren, um uns als Helfer zu erkennen zu geben, fiel in einer Ecke eine Palette um. Es gab einen großen Knall. Wir konnten das sofort zuordnen, doch die Menschen vor uns nicht. Sie zuckten zusammen, verkrochen sich, viele fingen an zu weinen. Da kann man abschätzen, was sie erlebt haben müssen.

Wie lässt sich da deutlich machen, dass man helfen möchte?

Das ist sehr schwierig, weil es vor allem um Vertrauen geht. Hinzu kommt das Sprachproblem. Deutsch kann keiner, Englisch nur sehr wenige. Kirsten Reichert kann da sehr gut kommunizieren und schaltet gegebenenfalls Oksana per Telefon hinzu, eine Ukrainerin, die seit rund drei Wochen in Naumburg lebt. Sie erklärt den Menschen auf Ukrainisch, dass sie Vertrauen haben und mitfahren können. In Naumburg bekämen sie eine sichere Unterkunft und müssten nicht in eine Halle wie hier an der Grenze oder in einer deutschen Großstadt.

Du sagst, du bist vor allem nicht als Journalist mitgefahren. Fotografiert hast du aber trotzdem...

Ja, ich hatte auch meine Kamera dabei, sie aber nicht benutzt. Fotos sind alle mit dem Handy entstanden. Und auch beispielsweise nicht in der Halle. Das hätte sich nicht gehört, und die Security würde dich zurechtweisen, weil es ausdrücklich verboten ist.

Wisst ihr, woher die Menschen kommen, die ihr jetzt mit nach Naumburg genommen habt?

Nein, und das zu erfahren steht nicht im Vordergrund. Eben, weil alle traumatisiert sind und nicht an das Erlebte erinnert werden wollen. Sie möchten ihre Ruhe, viele schlafen die ganze Zeit. Gesprochen beziehungsweise geschrieben via Internet-Übersetzer wird nur über das Nötigste - den nächsten Halt, ob wer Hunger hat oder auf Toilette möchte.

Wo sind die Ukrainer in Naumburg untergebracht?

Zum einem bei Vadim Bulst, der eine Ferienwohnung zur Verfügung stellt, und in Zimmern von Dörte Zedler in den Weinbergen. Das sind aber nur Unterkünfte fürs Erste. Und bis hierher ist die Hilfe auch vergleichsweise einfach. Die Flüchtlinge brauchen jetzt eigene Wohnungen und Geld, sie müssen an die Hand genommen werden. Nicht nur, dass sie merken, willkommen und in Sicherheit zu sein, sondern ihnen auch bei allen Behördengängen geholfen wird. Und glücklicherweise gibt es da wie erwähnt sehr, sehr viele, die sich ohne groß zu fragen kümmern.