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Naumburger Lebenshilfe Eine Entwicklung „aus dem Bedarf heraus“

Was in 35 Jahren Naumburger Lebenshilfe entstanden ist, welche neuen Projekte am Marienplatz warten und wie man auf die Kita-Krise blickt.

Von Harald Boltze 09.05.2025, 15:10
35 Jahre Naumburger Lebenshilfe:  Hartmut Dorsch (v.l.), David Strauß und Marco Henschler freuen sich über die neue Werbung an der  Straßenbahn samt dem neuen Slogan „Genau mein Ding“.
35 Jahre Naumburger Lebenshilfe: Hartmut Dorsch (v.l.), David Strauß und Marco Henschler freuen sich über die neue Werbung an der Straßenbahn samt dem neuen Slogan „Genau mein Ding“. (Foto: Torsten Biel)

Naumburg. - Schon bisher konnte man der Lebenshilfe kaum vorwerfen, nicht in Naumburg präsent zu sein. Mit etwa 200 Mitarbeitern, diversen Einrichtungen und einem vielfältigen ehrenamtlichen Engagement trägt der Verein seit 35 Jahren zu einer sozialeren Stadt bei. Zu genau diesem 35. Geburtstag aber wird die Lebenshilfe noch sichtbarer. Seit Donnerstag zuckelt sie in Form einer großflächigen Werbung mit der Straßenbahn durch Naumburg.

Die Reklame ist Teil eines neuen Designs, das sich die Lebenshilfe mit Unterstützer der Agentur „Kollektiv Design“ von David Strauß gegeben hat. Das Besondere sind die vielen Fotos und Videos der Mitarbeiter und zu Betreuenden. Sie entstanden – und das ist ein roter Faden der sozialen Organisation – nicht aus Lust und Laune oder, um sich selbst zu feiern, sondern „aus dem Bedarf heraus“. Das erklärt Marco Henschler, der neue Geschäftsführer. „Zu Corona-Zeiten konnten die Menschen nicht zu uns kommen, also wollten wir mit unseren Angeboten zu ihnen gehen. Damals schon sind die Videos und Filme entstanden.“

Autismus-Ambulanz kommt

Anlässlich von 35 Jahren Naumburger Lebenshilfe kann man einige solcher Beispiele für das Arbeiten „aus dem Bedarf heraus“ finden. „So ging es ja auch los“, erinnert sich Hartmut Dorsch, der über Jahrzehnte den Verein führte. „Wir waren einfach ein paar Eltern mit behinderten Kindern, die sahen, dass es keine adäquaten Förderangebote gab und diese dann eben selbst aufgebaut haben“.

Aus einer kleinen Elterninitiative entwickelte sich ein großer Träger, der längst nicht nur für Menschen mit einer Behinderung da ist, wobei da oft ein Nebeneinander existiert, wie in den beiden Integrativen Kitas „Am Holländer“ und „Domspatz“. Und auch die entstanden „aus dem Bedarf heraus“. „Wir haben damals gesehen, dass Kinder mit einer Behinderung, vor allem mit einer schweren, in anderen Kitas kaum Chancen hatten, unterzukommen“, so Dorsch.

Sinkende Geburtenzahlen werden allerorts zum Problem für Kita-Träger

180 und 165 Kinder werden dort betreut. Und während die Lebenshilfe über die Jahre immer weiter gewachsen ist, könnte es hier schon sehr bald zu einer Schrumpfung kommen. „Es ist ja kein Geheimnis, dass aufgrund der gesunkenen Geburtenzahlen alle Kitas mittlerweile Probleme haben oder bekommen, ihre Plätze zu füllen“, sagt Marco Henschler. Er befürchtet schon bald Schließungen, jedoch nicht bei sich. „Als großer Träger haben wir die Möglichkeit, Personal in anderen Bereichen einzusetzen.“ Dafür bedürfe es Angebote der Fort- und Weiterbildung durch den Arbeitgeber und Flexibilität mancher Mitarbeiter.

Denn während im Kita-Bereich der Bedarf gerade sinkt, steigt er in anderen Bereichen weiter oder will überhaupt erst mal gestillt werden – wie in der Betreuung von Kindern mit Autismus. „Sie werden bisher nach Leipzig, Weimar oder Nordhausen gefahren“, erklärt Henschler, der deshalb froh ist, mit der Lebenshilfe ab 1. Juni eine eigene Autismus-Ambulanz mit Sprechstunden in der Friedenstraße anbieten zu können.

Das Projekt soll langfristig etabliert werden, wenn auch nur kurz in der Friedensstraße. Denn ab Ende des Jahres soll dazu ein weiteres Objekt der Lebenshilfe am Marienplatz dienen. Neben der Autismus-Ambulanz soll dort ein „Kinderwohnen“ mit fünf bis sechs Plätzen entstehen. Gedacht ist es vorrangig für Kinder, deren Eltern behindert und mit der Versorgung und Erziehung überfordert sind. „Im Normalfall würde das Amt die Kinder in Obhut nehmen und wegen fehlender Kapazität in ein Heim nach Artern oder so bringen, wo die Eltern es alle zwei Wochen mal sehen“, erklärt Hartmut Dorsch, der nun Aufsichtsratsvorsitzender der hiesigen Lebenshilfe ist. Sein Nachfolger als Geschäftsführer, Marco Henschler, erklärt, was man nun stattdessen anbieten will. „Die Kinder wohnen in der gleichen Stadt wie ihre Eltern und können von diesen auch gerne so oft es geht von der Schule abgeholt werden, und man kann noch etwas gemeinsam essen oder spielen“.

Geplantes „Kinderwohnen“

Auch für Kinder mit suchtkranken Eltern, die ebenfalls keine durchgängige und zuverlässige Betreuung gewährleisten können, sie das „Kinderwohnen“ geeignet. Wobei: Fünf bis sechs Plätze scheinen da den Bedarf längst nicht zu decken. Henschler: „Das ist richtig. Wir wollen aber klein anfangen. Erweitern kann man immer noch, wenn es gut funktioniert.“ Dass Schaffen solcher Angebote vor Ort ist auch ein Geschenk an Landrat Götz Ulrich, der erst dieser Woche erneut erklärte, dass der Landkreis zu viel Geld für den Transport von Kindern ausgeben muss, für die es bestimmte Betreuungsangebote nicht in der Region gibt.

Immer wieder stockende Kita-Sanierung in der Körnerstraße

Ein Geschenk für die Naumburger Lebenshilfe selbst wäre es, wenn endlich die Kita-Sanierung in der Körnerstraße fertig würde. Seit Jahren baut man dort, mittlerweile mit großem Verzug. „Die Änderungen in der Förderpolitik haben uns da echt zu schaffen gemacht“, sagt Hartmut Dorsch. Gebraucht werde der irgendwann fertig sanierte Bau auf jeden Fall, auch wenn die Kinderzahlen weiter schrumpfen, denn die Angebotspalette der Lebenshilfe ist breit und Eltern, die beim Aufziehen ihrer Kinder Hilfe benötigen, egal ob diese eine Behinderung haben oder nicht, gibt es genug.

Hintergrund: Die Leistungspalette der Naumburger Lebenshilfe ist sehr groß. Sie führt zwei Kindertagesstätten („Am Holländer“, „Domspatz“) und drei Wohnbereiche (Kleinjena, Bad Kösen, Naumburg) und bietet dazu noch ein Ambulant Betreutes Wohnen an. Die begleitete Elternschaft richtet sich an Mütter und Väter mit einer geistigen Behinderung, die sozialpädagogische Familienhilfe wendet sich hingegen an Angehörige, Alleinerziehende und Familien in Notsituationen. Der Familienunterstützende Dienst betreut Kinder, Jugendliche und erwachsene Menschen mit vorwiegend geistiger, aber auch körperlicher, seelischer, oder Mehrfachbehinderung und deren Familien. Das Angebot der Schulbegleitung richtet sich an Familien, deren Kinder und Jugendliche mit einer Beeinträchtigung leben müssen. Eine heilpädagogische Einzelförderung bietet hingegen die Frühförder- und Beratungsstelle der Lebenshilfe an.