Drama im Kriegssommer 1944 Das Wunder von Braunsroda
Am Tag seiner Einschulung vor 80 Jahren, am 24. August 1944, wurde Tilo Radestock Zeuge eines Infernos, dessen Dramatik und letztlich relativ glimpflicher Ausgang bis heute in ihm nachwirkt.

Braunsroda - Wenn Tilo Radestock in der St.-Margarethen-Kirche seines Heimatdorfs Braunsroda die Holzverkleidung der Orgel betrachtet und auf das – bewusst unverändert gebliebene – Brandloch in der darin eingelassenen Tür und den großen Rußfleck drumherum deutet, dann ist sie wieder da: die Erinnerung an einen furchtbaren Tag vor 80 Jahren, an dessen Ende doch eine glückliche Fügung stand – das Wunder von Braunsroda nämlich.
„Und dann brach auch schon das Inferno los“
„Am 24. August 1944, einem Donnerstag, bin ich mit weiteren Kindern aus dem Ort eingeschult worden. Als wir vor der Schule gerade ein gemeinsames Foto mit unseren Zuckertüten machten, ging plötzlich der Fliegeralarm los“, erinnert sich der heute 86-Jährige. Bis dato sei das in Braunsroda kein allzu großer Grund zur Sorge gewesen, hatten die alliierten Bomberverbände doch eher den Großraum Halle mit Buna- und Leuna-Werken im Visier. „Doch als wir gegen halb zwölf Uhr mittags wieder zu Hause ankamen und auf unserem Hof ein weiteres Erinnerungsfoto von mir und meiner gleichfalls eingeschulten Cousine entstanden war, hörten wir plötzlich sich rasch nähernden Flugzeuglärm. Und dann...“, Radestock schluckt, „... brach auch schon das Inferno los und schlugen bei uns und in anderen Gehöften rund um die direkt benachbarte Kirche Spreng- und Brandbomben ein.“
Sechs Gehöfte stehen im Nu in Flammen
Mit ihrer Großmutter flüchteten sich die Kinder heulend und voller Panik durch ein kleines Stubenfenster nach draußen in das Gestrüpp des hundert Meter entfernt gelegenen Baches, während in der Ortsmitte Wohnhäuser und insbesondere auch die mit dem just geernteten Getreide bis unters Dach gefüllten Scheunen in Flammen standen.

Durch glückliche Fügungen kommen keine Menschen zu Schaden
Mit aller Kraft habe die geschwächte, aus notdürftig ausgebildeten Frauen sowie alten Männern bestehende Dorffeuerwehr die Brände mit Wassereimern, teils sogar mit Jauche, zu löschen versucht. „Es ist ein Wunder, dass an diesem Tag in Braunsroda keine Menschen zu Schaden gekommen sind“, sinniert der Zeitzeuge. „Zur Einschlagszeit der Bomben, gegen halb zwölf Uhr mittags, hatten unser Kutscher, der sich an diesem Tag gottlob verspätete, und mein Großvater üblicherweise in unserer Toreinfahrt zu tun, genau an der Stelle, wo später...“, und Radestock muss erneut innehalten und sich räuspern, „... ein zwei Meter breiter und ein Meter tiefer Bombentrichter gähnte.“

Von Bombe ausgelöster Brand in Kirche erlischt wundersamerweise ohne menschliches Zutun
Gewissermaßen das zweite „Wunder von Braunsroda“ hatte sich am 24. August 1944 in der Dorfkirche ereignet: Deren Dach war nämlich ebenfalls von einer Brandbombe, deren Überreste bis heute dort besichtigt werden können, getroffen und durchschlagen worden. „Doch der von dieser ausgelöste Brand an Dielen und Holzverkleidung rechts der Orgel war auf wundersame Weise ohne menschliches Zutun erloschen – noch bevor unser damaliger Pfarrer Reichardt beim Inspektionsgang durch das Kircheninnere überhaupt etwas davon bemerkte.“

Glockenläuten zur Angriffsstunde am 80. Jahrestag als Erinnerung und Mahnung
Exakt 80 Jahre nach dem Angriff, am kommenden Sonnabend gegen halb zwölf Uhr mittags, sollen in Braunsroda die Kirchenglocken läuten – „als Erinnerung und Mahnung, dass sich so etwas nie wiederholen möge“, so Radestock.