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Jubiläum Das Erbe der Ulrichs: Lauchaer Glockenmuseum wird 90 Jahre alt

Haus zeigt wie kein zweites die aufwendige Entstehung der Bronzen.

Von Constanze Matthes 18.06.2022, 09:57
Blick in das Lauchaer Glockenmuseum. Seit nunmehr 90 Jahren vermittelt es viel Wissenswertes zum alten Handwerk und zur Herstellung einer Glocke.
Blick in das Lauchaer Glockenmuseum. Seit nunmehr 90 Jahren vermittelt es viel Wissenswertes zum alten Handwerk und zur Herstellung einer Glocke. (Foto: Torsten Biel)

Laucha - Das Gefühl schwindet auch nach einer ganzen Weile nicht, in einer Werkstatt zu stehen. Als ob im nächsten Augenblick der Glockengießer in seiner Kluft eintritt und sich an sein Tagwerk macht. Der Blick schweift über das unverputzte Mauerwerk aus Kalksteinen, das derbe Werkzeug und mehrere Bronzen, hinab in eine Grube und hinauf zu dicken, rußgeschwärzten Balken. „Es ist ein Glück, dass hier alles noch so authentisch ist. Das ist wichtig“, sagt Margit Marten.

Beginn im 18. Jahrhundert

Seit 2003 begrüßt die 64-Jährige im Lauchaer Glockenmuseum die Besucher, weiß all jene kleinen wie großen Episoden und Anekdoten zu berichten, die Geschichte erst anschaulich machen. Vor allem jene, wie das nunmehr 90 Jahre alte Museum zu dem wurde, was es heute ist. Dabei muss von der Familie Ulrich erzählt werden, deren Lauchaer Geschicke bis in das 18. Jahrhundert reichen.

Denn bereits 1730 kam der Glockengießer Johann Gottfried Ulrich, dessen familiäre Wurzeln im hessischen Hersfeld lagen, an die Unstrut. Seine vier Söhne, die mit ihrem ersten Vornamen wie ihr Vater hießen, erlernten den Beruf. Zwei übernahmen die Werkstatt, die schließlich wegen der Brandgefahr außerhalb der Stadtmauer zog. Wo einst ein Garten gestanden hatte, wurde die Werkstatt errichtet. Wichtiger Geschäftspartner: die Schmiedfamilie Pfeifer, die Klöppel und Glockenstühle fertigte.

Seit 19 Jahren die gute Seele des Hauses: Margit Marten begrüßt Besucher und führt sie durch die Ausstellung.
Seit 19 Jahren die gute Seele des Hauses: Margit Marten begrüßt Besucher und führt sie durch die Ausstellung.
(Foto: Torsten Biel)

Bis 1911 werkelten die Ulrichs. In all den Jahren ab 1790 entstanden mehr als 5.000 Glocken, die in zahlreichen Regionen Deutschlands zum Einsatz kamen. Eine lange Liste gibt darüber Auskunft. Nach dem Tod des letzten Besitzers Emil Ulrich verkaufte dessen Witwe die Werkstatt an die Apoldaer Glockengießerfirma Schilling. Gemeinsam mit dem Altertums- und Verkehrsverband Querfurt, dessen Vorsitzenden Richard Jaeckel sowie Sponsoren und Unterstützern - verkauft wurden unter anderem auch sogenannte, vom Lauchaer Malermeister Paul Siegel gestaltete „Bausteine“ - konnte der „Grundstein“ für das heutige Museum gelegt werden.

„Es ist ein Glück, dass hier alles noch so authentisch ist. Das ist wichtig.

Museumsmitarbeiterin Margit Marten

Das Unternehmen schenkte das Grundstück der Stadt Laucha, baute Schmelzofen und Dammgrube auf und stellte zahlreiche Exponate zur Verfügung. Neue kamen hinzu, zusammen erzählen sie viele Geschichten. So wird unter anderem mit einer Schablone an die Dreikaiserglocke des Naumburger Doms erinnert, die bei dem ersten Versuch eines Aufzugs 1894 abstürzte. „115 Zentner schwer, wurden für sie 14 Kanonenrohre und Stückwerk eingeschmolzen“, erzählt Margit Marten. Es ist Tragik des Schicksals und Mahnung zugleich, dass sie 1917, im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs, wieder eingeschmolzen wurde. Ins Mittelalter führt eine Glocke aus Balgstädt, die vermutlich von Mönchen gegossen und deren Inschrift spiegelverkehrt eingeritzt wurde. Bis 1930 hat sie geläutet. „Die Balgstädter lieben ihre Glocke und kommen gern hierher“, so die Museumsmitarbeiterin, die früher als Sekretärin tätig war.

Ein Kupferstich zieht hingegen einen Faden von den Ulrichs zu keinem Geringeren als Friedrich Schiller. Mit deren Hilfe soll der berühmte Dichter Studien für sein bekanntes „Lied von der Glocke“ gemacht haben. Im Museum hängt eine Kopie, das Original befindet sich im Stadtarchiv, das ebenfalls zum Fundus des Museums beigetragen hat, wo Anfassen auch erlaubt ist. Vor Corona durchschritten dessen Pforte zwischen 800 bis etwa 1.100 Besucher. „Das sind Hiesige, aber auch Radtouristen legen öfter einen Halt ein“, berichtet Margit Marten, die gute Seele des Hauses.

Sorge um Holzwurm-Schäden

Obwohl im Gästebuch ein Besucher das Museum ein Kleinod nennt, Lauchas Ortschronistin Karla Fitzner es als „einzigartig in Deutschland“ bezeichnet, herrscht Sorge. Manche der vor allem hölzernen Schaustücke sind von den Spuren des Holzwurms gezeichnet. Es bräuchte Firmen und wohl auch Geld für eine Restaurierung, so Margit Marten.

Historische Aufnahme, die Emil Ulrich  und dessen Onkel Franz samt Familie und Mitarbeiter vor der Werkstatt zeigt.
Historische Aufnahme, die Emil Ulrich und dessen Onkel Franz samt Familie und Mitarbeiter vor der Werkstatt zeigt.
(Foto: Torsten Biel)

Dass Glockengießen nicht nur Teil von Geschichtsbüchern, sondern noch immer eine gepflegte Tradition ist, beweisen jüngere Ausstellungsstücke. Für eine neue Glocke für das Rathaus von Sangerhausen benötigte eine Glockengießerfirma aus der Eifel ein Holzmodel. Sie wendete sich an das Lauchaer Museum, denn die Ulrichs haben die damalige Bronze 1754 gegossen. Nun haben unter anderem die falsche Glocke und die äußere Hülle der neuen Bronze ihren Platz im Museum.

Zur Feier anlässlich des 90-jährigen Bestehens wird am morgigen Sonntag von 10 bis 16 Uhr zu einem Tag der offenen Tür eingeladen. Um 11 Uhr findet eine Begrüßung durch Bürgermeister Michael Bilstein statt. Der Heimatverein sorgt auf der Promenade für das leibliche Wohl der Gäste. Der Eintritt ist frei. Wer Spenden mag, kann dies tun. Dietmar Reiß hat eine besondere Spendenbox gebaut. Geöffnet hat das Glockenmuseum in der Saison mittwochs bis sonntags jeweils von 10 bis 12 sowie von 14 bis 16 Uhr.