Fernsehdokumentation Als Billy Idol Prießnitz rockte - Wie sich ein Ehepaar an den Jugendtanz in der DDR erinnert
Im MDR-Fernsehen läuft am Montagabend eine Doku über Jugendtanzveranstaltungen in der DDR. Rolf und Edith Bärthel, die für den Film befragt wurden, waren damals mittendrin.

Prießnitz - Da haben sie nun beide schon die Schwelle zum 80. Lebensjahr überschritten – aber heute Abend dürften Rolf und Edith Bärthel aus Prießnitz „aufgeregt sein wie Teenager“, wie sie selbst bekennen. Der Grund: Ab 20.15 Uhr wird im MDR-Fernsehen der Dokumentarfilm „Wie Tina Turner nach Niedertrebra kam“ über Amateurbands in der DDR und die von ihnen bestrittenen Tanzveranstaltungen in den Dorfgaststätten und Kulturhäusern der untergegangenen Republik ausgestrahlt.
Duft der großen weiten Welt
Für den 90-minütigen Streifen, den auch Bärthels heute erstmals zu sehen bekommen, sind die Prießnitzer Ende Mai dieses Jahres von Regisseur Tim Evers ausführlich befragt worden. Nicht von ungefähr, schließlich waren die Livemusik-Tanzveranstaltungen in dem ab 1967 von dem Wirtspaar betriebenen Prießnitzer Gasthaus weit über die Grenzen der Region bekannt – bei den jugendlichen Gästen, die aus Naumburg, Camburg, gar Eisenberg kamen, wie auch bei den DDR-Amateurbands selbst.
„Ich kann mich noch gut erinnern, wie die Leipziger Band ,Graf’ ihren Bassgitarristen zur ,Mugge’-Akquise nach Naumburg geschickt hatte, dieser von der dortigen Jugend aber sofort nach Prießnitz weitergeschickt wurde“, berichtet Rolf Bärthel. „Der stand dann bei uns am Gartenzaun und fragte mich, ob ich der Kulturhausleiter sei“, so der 81-Jährige lachend.

Zweimal monatlich, meist am Sonnabend, war ab Ende der 1960er-Jahre im Gasthaus Bärthel Jugendtanz mit Livebands angesagt. „Ich mochte die Kirmes-Blasmusik nicht, wollte modernere Sounds nach Prießnitz holen – zunächst Swing, dann Rockmusik“, erzählt Rolf Bärthel, der die Gaststätte nebst Saal als gerade einmal 25-Jähriger von seinem Vater übernommen hatte. Bald schon darauf gaben sich Bands wie „Eruption“ (Jena), „Quick“ (Weißenfels), „Memory Hit Band“ (Apolda) oder „Diskant“ (Naumburg) in Prießnitz die Klinke in die Hand und ließen das tanzwütige Publikum mit gecoverten Hits von Stones, Queen, Billy Idol oder Depeche Mode den Duft der großen weiten Musikwelt verspüren.

„An das geforderte 60:40-Verhältnis von West- zu Ostliedern hat sich im Grunde niemand gehalten“, schildert der Ex-Kneiper. Gleichwohl habe die staatliche Obrigkeit ein wachsames Auge auf die Jugendtanzveranstaltungen gehabt. „Jede einzelne musste 14 Tage vorher bei der Polizei angemeldet werden, welche die entsprechende Erlaubnis mitunter auch mal bis einen Tag vor der Veranstaltung zurückhielt“, beschreibt Edith Bärthel das Prozedere, welches mit der Zeit allerdings immer weniger nervenaufreibend wurde. „1986 hat man uns, als erste im Kreis überhaupt, mit dem sogenannten ,blauen t’ für hervorragend niveauvollen Jugendtanz ausgezeichnet. Ich glaube, die Behörden zeigten sich schlichtweg auch heilfroh darüber, dass die ,Halbstarken’ am Wochenende raus aus Naumburg waren“, ergänzt sie schmunzelnd.
An und für sich sei die zulässige Gästezahl für den Saal in Prießnitz auf 200 begrenzt gewesen – so viel, wie Stühle vorhanden waren. „Dem großen Andrang geschuldet, hat sich bei unseren Jugendtanzveranstaltungen meistens aber eher fast das Doppelte an Besuchern getummelt. Wir mochten ja niemanden wegschicken“, so Rolf Bärthel, der sich eine Art Verschleierungstaktik hatte einfallen lassen, um der Staatsgewalt ein Schnippchen zu schlagen. „Wir haben am nächsten Morgen immer schon ganz früh klar Schiff gemacht – noch bevor der ABV seine Kontrollrunde drehte, wo er ja hätte sehen müssen, dass die Hinterlassenschaften unmöglich nur von 200 Gästen stammen konnten.“
Punker und Popper vereint
Pfiffig war auch des Wirtes Strategie, was den Ordnungsdienst und die Schlichtung etwaiger Zwistigkeiten unter den Gästen anging. „Ich hatte nur Frauen im Einsatz, die noch den aggressivsten Mann wieder ,einzufangen’ vermochten. Später hat auch unsere Tochter Sybille Streitigkeiten geklärt“, berichtet der frühere Kneiper. „Komm, wir gehen an die Theke und trinken einen Schnaps“, sei ein probates Deeskalationsmittel gewesen.
„Alles in allem ist es hier die vielen Jahre über aber sehr friedlich zugegangen – selbst dann, als unterschiedliche Strömungen wie Popper, Rocker, Waver, Blueser oder Punker auf der Bildfläche erschienen“, betont Edith Bärthel. „Mit unseren Jugendtanzveranstaltungen haben wir sie alle erreicht – allein schon deshalb, weil die jungen Leute da einfach mal unter sich sein und ein kleines Stück Freiheit im sonst ja ziemlich reglementierten DDR-Alltag genießen konnten.“
Es seien schöne, aber auch anstrengende Zeiten gewesen, resümiert die heute 80-Jährige. Umso gespannter seien sie und ihr Mann nun auf den unter ihrer Mitwirkung entstandenen und heute im MDR-Abendprogramm laufenden Dokumentarfilm, zu dem André Bauer, einst Sänger der aus Apolda stammenden DDR-Amateurband „Vamp“, mit seinem Buch „The Dream behind the Wall“ („Der Traum hinter der Mauer“) den entscheidenden Impuls lieferte. „Wir sind fast so aufgeregt wie bei unserer Hochzeit vor 60 Jahren“, gibt Rolf Bärthel vor der TV-Premiere zu.