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Nach Corona-Konzert mit Tim Bendzko Nach Corona-Konzert mit Tim Bendzko: Warum sich die Umsetzung von "Restart-19" hinzieht

Von Walter Zöller 19.01.2021, 11:06
Mit Hilfe von Tim Bendzko und seiner Band wurde im Sommer 2020 in der Arena Leipzig ein Konzert simuliert.
Mit Hilfe von Tim Bendzko und seiner Band wurde im Sommer 2020 in der Arena Leipzig ein Konzert simuliert. dpa

Halle (Saale) - Es ist ein Projekt, auf das zu Beginn fast die ganze Welt blickte. Jetzt stellt sich die Frage, wie es weiter geht. Forscher der Universitätsmedizin Halle simulierten im Sommer 2020 in der Arena Leipzig zusammen mit dem Sänger Tim Bendzko und 1.400 Zuschauern trotz der Corona-Pandemie ein großes Konzert. Und das zu einer Zeit, als eine solche Großveranstaltung regulär nirgendwo möglich war. 130 Journalisten aus aller Welt verfolgten „Restart-19“ vor Ort und berichteten darüber .

Als die Unimedizin am 29. Oktober die Ergebnisse präsentierte, war das Interesse sogar noch größer. „Restart-19“ elektrisierte nicht nur Berichterstatter, sondern auch Forscher und die Veranstalter großer Konzert- und Sportevents. Sie alle wollten wissen, unter welchen Bedingungen große Hallenveranstaltungen trotz Corona aus wissenschaftlicher Sicht verantwortbar sind.

Immerhin geht es um eine Branche, die vor der Ausbreitung des Virus' einen Jahresumsatz von mehr als elf Milliarden Euro erwirtschaftete, in der nahezu 113.000 Mitarbeiter beschäftigt waren und die jetzt um ihr Überleben kämpft.

Umsetzung von „Restart-19“ verzögert sich

Das Team der Unimedizin lieferte klare Aussagen: Es schlägt unter anderem vor, dass bei einem Inzidenzwert unter 50 maximal die Hälfte der Sitzplätze in einer Halle besetzt werden und macht konkrete Angaben für ein optimales Lüftungskonzept (siehe „Sitzplätze und Masken“).

Mittlerweile hat sich der Trubel gelegt, der Blick richtet sich nach vorne: Endet das Projekt in der Ablage? Oder werden die Forschungsergebnisse - wie zum Start angekündigt - tatsächlich in die Praxis umgesetzt, wenn die Pandemie nach dem neuerlichen Lockdown zurückgedrängt ist und wieder Konzerte und Sportveranstaltungen möglich sind?

Und wie reagiert die Veranstaltungsbranche auf „Restart-19“, wofür die Länder Sachsen-Anhalt und Sachsen bisher insgesamt fast eine Millionen Euro bereitgestellt haben? Die Antworten fallen differenziert aus, die anfängliche Euphorie ist verflogen.

Studienleiter mit Ergebnissen zufrieden

„Ich bin zufrieden, weil unsere Forschungsergebnisse allgemein anerkannt werden“, sagt Stefan Moritz. Der Chef des Sachgebiets Infektiologie an der Universitätsmedizin hat als Studienleiter „Restart-19“ maßgeblich mit umgesetzt. Aus der Wissenschaft erhielten er sowie seine Kollegen viel Anerkennung.

Und eine Reihe von Anfragen, unter anderem von Forschern der Harvard University in den USA. Selbst Anthony Fauci, Immunologe und Chefberater der US-Regierung, verwies in einer Rede vor amerikanischen Kulturschaffenden auf die Studie aus Halle, an der man sich ein Beispiel nehmen könne.

Unzufriedenheit bei der Umsetzung

Moritz ist auch in Kontakt mit Sportfunktionären. „Verschiedene Sportverbände haben uns Corona-Konzepte für Hallenveranstaltungen vorgelegt, die wir jetzt prüfen.“ Neben deutschen Verbandsvertretern habe auch der Vizepräsident der Basketball-Profiliga in Nordamerika angerufen und sich informiert.

Das ist freilich nur die eine Seite der Medaille. Denn Moritz sagt auch: „Unzufrieden bin ich mit der praktischen Umsetzung.“ Konkret geht es um die richtige Belüftung, mit deren Hilfe Aerosole in großen Hallen möglichst nicht zur Gefahrenquelle werden. Gesucht wird ein Modell für die Aerosolausbreitung, um standardisierte Messbedingungen für Veranstaltungsorte festlegen zu können.

Das Wissenschaftsministerium in Sachsen-Anhalt habe bei der Förderung eines neuen Forschungsprojekts vorbildlich reagiert, sagt Moritz. Bei den Ministerien in Berlin - wo der zweite Geldgeber sitzt - sind die Verhältnisse nach Ansicht des Mediziners dagegen komplizierter. „Das dauert zu lange, wir müssen bei den einheitlichen Bewertungskriterien für Lüftungsanlagen weiterkommen.“

Forscher der Unimedizin Halle haten im Rahmen des Projekts „Restart-19“ unter anderem folgende Vorschläge für Veranstaltungen in großen Hallen während der Corona-Pandemie und nach dem Lockdown gemacht:

Konzerte oder Sportevents dürfen nicht unter Volllast laufen. Das Hygienekonzept sieht zwingend vor, dass zwischen den Stühlen genügend Abstand besteht. Liegt der Inzidenzwert unter 50, sollte maximal die Hälfte der Plätze besetzt werden. Liegt er darüber, aber noch im beherrschbaren Bereich, muss bei einer Belegung von 25 Prozent Schluss sein - wenn es ein gutes Lüftungssystem gibt. Es sollten nur noch Sitzplätze angeboten werden, durch mehr Eingänge soll Gedränge vermieden werden.

Benötigt werden Kriterien, wie man Veranstaltungsräume einheitlich bewertet. Aus Sicht der Forscher sollten Bund und Land mit einem Investitionsprogramm helfen, die Hallen entsprechend umzurüsten.

Ohne Mund- und Nasenschutz geht aus Sicht der Forscher nichts. Und das gilt auch während eines Konzerts oder eines Handballspiels.

Debatte um richtiges Lüften bei Konzerten

Adäquate Raumlufttechnik sei das A und O, hatte Moritz schon Ende Oktober festgestellt. Die Forscher hatten bei „Restart-19“ mit Hilfe verschiedener Simulationen die Strömungsverhältnisse in der Arena Leipzig nachgestellt und für gut befunden. Das reicht allerdings nicht aus, um daraus verbindliches Handeln abzuleiten.

„Wir wollen mit der TU Berlin ein Konzept erarbeiten, mit dessen Hilfe die Belüftungssituation in großen Veranstaltungshallen einheitlich bewertet werden kann“, sagt Moritz. Die Hallenbetreiber wüssten dann, ob und was sie ändern müssen.

An der TU Berlin steht mit Professor Oliver Paschereit für notwendige weitere Experimente ein Fachmann in Sachen Luftströmungen bereit. Er sei mit verschiedenen Bundesministerien im Gespräch, versichert der Forscher. Allein noch fehle die Zusage, die Hälfte der Projektkosten in Höhe von 300.000 Euro zu übernehmen.

Das Wissenschaftsministerium in Sachsen-Anhalt hat dagegen Mitte Dezember eine Förderung in gleicher Höhe bereits in Aussicht gestellt.

So reagiert die Veranstaltungsbranche auf „Restart-19“

Und wie regiert die Veranstaltungsbranche auf „Restart-19“? Unterschiedlich. Sportler und Funktionäre des Handball-Bundesligisten SC DHFK Leipzig hatten das Projekt aktiv unterstützt. Sie absolvierten im Sommer, als Corona das noch zuließ, sogar einige Testspiele vor wenigen hundert Zuschauern.

Äußerst skeptisch bewertet dagegen der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV) wesentliche Teile der „Restart-19“-Vorschläge. Vor allem die von den Medizinern entwickelten Abstandsregeln sorgen für Widerspruch. Danach sollen im günstigsten Fall bei niedrigen Corona-Zahlen maximal 50 Prozent der Sitzplätze in einer Halle besetzt werden dürfen.

„Das ist wirtschaftlich nicht umsetzbar“, sagt Marten Pauls. Die Veranstalter machten dann pro Konzert ein riesiges Minus, das der Staat ausgleichen müsse, wolle man einen wirtschaftlichen Totalschaden verhindern.

Schnelltest vor Konzertbeginn

Pauls berät den Verband zum Infektionsschutz und in Hygienefragen. Er setzt auf ein anderes Modell: Besucher müssten vor Konzertbeginn einen aktuellen negativen Antigen-Schnelltest vorlegen, der auch vor Ort von geschultem Fachpersonal vorgenommen werden könnte. Das werde ja bereits in Altenheimen, aber auch vor bestimmten Flügen der Lufthansa so praktiziert.

Diese Schnelltests sind aber kein Allheilmittel. Erst vor Kurzem hatten Mediziner des Nationalen Forschungsnetzwerks der Universitätsmedizin zu Covid-19 davor gewarnt, die Hygieneregeln in Alten- und Pflegeheimen zu lockern, in denen Schnelltests häufig zum Einsatz kommen.

Mediziner sieht Folgen bis zum Herbst

Hygienekonzepte, Abstandsregeln, Schnelltests. „Wir brauchen auf jeden Fall praktikable Konzepte, sollen in absehbarer Zeit wieder Sport- oder Musikveranstaltungen mit Zuschauern in großen Hallen stattfinden können“, sagt Mediziner Moritz. Selbst wenn rasch geimpft werde, blieben die Folgen der Pandemie noch mindestens bis Herbst spürbar. „Das bedeutet: Wir müssen auch nach dem Ende des Lockdowns weiter vorsichtig sein.“ (mz)