Unfall auf der B 91 Unfall auf der B 91: Erinnerung unter Tränen

MERSEBURG/MZ - „Ich wollte sie noch zurückziehen, aber sie war so schnell“, erzählt die 18-jährige Nadine vor Gericht. Was sie da schildert, sind die letzten Sekunden vor dem tragischen Unfall auf der B 91, die letzten Sekunden bevor die zehnjährige Angelique von einem aus Richtung Weißenfels kommenden Auto erfasst und durch die Luft geschleudert wird. Seit Mittwoch muss sich der Fahrer des Kleintransporters, der mittlerweile 20-jährige Jakob T. (Name geändert), wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht Merseburg verantworten, denn Angelique war aufgrund ihrer schweren Verletzungen an Kopf, Oberkörper und Becken später im Krankenhaus gestorben.
Die Stimmung im Gerichtssaal ist sachlich aber auch bedrückend. Der Angeklagte muss ebenso oft zum Taschentuch greifen wie Angeliques Mama, die als Nebenklägerin auftritt.
Einige Menschen waren Zeugen dessen geworden, was sich am 10. Oktober vergangenen Jahres an der Kreuzung B 91/August-Bebel-Straße abspielte. Ihre Beobachtungen und Erinnerungen sollen helfen, vor Gericht die wichtigste Frage zu klären: Ist Jakob T. bei Rot über die Ampelkreuzung gefahren oder ist das kleine Mädchen möglicherweise schon losgelaufen, als die Fußgängerampel noch gar nicht Grün zeigte?
„Wir kamen mit dem Auto aus Richtung Halle und wollten nach links in die August-Bebel-Straße einbiegen.“ Ihre Ampel sei Rot gewesen, erzählt Kristin S. Links von ihr hätten Kinder an der Kreuzung gestanden. Und dann sei das eine Mädchen losgerannt, während die anderen noch standen. „Ein anderes Mädchen wollte sie noch festhalten.“ Das kleine Mädchen habe sich gefreut, sei gehüpft. „Ich kann ihnen sogar noch sagen wie ihre Haare geflogen sind. Es hätte nur noch ein Schritt gefehlt, dann wäre sie drüben gewesen.“ Die 23-jährige angehende Erzieherin bricht in Tränen aus. Angeliques Mama reicht ihr ein Taschentuch. „Brauchen Sie eine Pause?“, fragt Richter Hans Seidl. Als Kristin den Kopf schüttelt, fragt er, welche Farbe die Fußgängerampel für das kleine Mädchen gezeigt habe. „Ich bin mir sicher, dass Rot war“, antwortet die junge Frau, die nach dem Unglück ihr Auto stehen ließ und mit ihren drei Mitinsassinnen und ihrem Erste-Hilfe-Kasten zur Unfallstelle lief, um zu helfen. „Aber ich konnte nicht helfen, es ging einfach nicht.“
Kraftfahrer hat geholfen
Dafür haben andere geholfen, zum Beispiel der Kraftfahrer, der mit seinem Lkw von der August-Bebel-Straße nach links auf die B 91 in Richtung Weißenfels abbiegen wollte. „Ich hatte gerade Grün gekriegt und den Gang eingelegt, als der Wagen aus Richtung Weißenfels noch über die Kreuzung fuhr und das Mädchen erfasste“, schildert er.
Wie gut nimmt man im Fall eines solchen Unfalls die Umstände wahr, die dazu geführt haben? Sehr unterschiedlich in jedem Fall. Einige Zeugen sagten, das kleine Mädchen sei schon bei Rot über die Straße gehopst, andere waren sich sicher, das Kind habe bereits Grün gehabt.
Jakob T., der durch seinen Anwalt eine Erklärung verlesen ließ, betonte, dass er bei Gelb gefahren sei, so wie er es - so mehrere Zeugen - auch direkt nach dem Unfall immer wieder gesagt hatte.
Brief an die Mutter
Besonders schlimm war der Mittwoch für Angeliques Mutter. Unzählige Male und immer wieder musste sie hören, wie das Auto ihre Tochter erfasst und durch die Luft geschleudert hat. Vielleicht war es aber auch tröstlich zu hören, dass viele Menschen ihrer Tochter hatten helfen wollen, das verletzte Mädchen im Arm gehalten oder den Notruf gewählt haben.
Jakob T. hat sich zu Beginn der Verhandlung mit einem emotionalen Brief an Angeliques Mama gewandt, aus dem die MZ auszugsweise zitiert: „Ich habe sehr lange nach den passenden Worten gesucht, mit denen ich mein Mitgefühl ausdrücken und mich entschuldigen könnte, jedoch ist keines dieser Worte passend genug. Dennoch möchte ich, dass Sie und die Angehörigen wissen, dass es mir unendlich Leid tut, dass dieser Unfall passiert ist. Wenn ich könnte, würde ich gerne die Zeit zurückdrehen . . . Ich kann Ihnen versichern, dass kein Tag vergeht, an dem ich nicht die Bilder vor Augen habe. Damit werde ich immer leben müssen. Ich bitte Sie daher auch um Vergebung und Verzeihung . . . Ich habe diesen schrecklichen Unfall nicht gewollt und kann bis heute die tragischen Folgen nicht fassen.“
Der Prozess wird fortgesetzt.