Saalekreis Saalekreis: Das Märchen vom Bahnhof
BAD DÜRRENBERG/MZ. - Es war einmal ... - so fangen bekanntlich viele Märchen an, auch jenes vom Bahnhof in Bad Dürrenberg.
Um das zwischen 1856 und 1860 errichtete Empfangsgebäude rankt sich eine unglaubliche Geschichte. So soll der imposante Bau als Bahnhof von Großkorbetha geplant gewesen sein. Die Pläne wurden angeblich vertauscht und das Gebäude auf der falschen Seite errichtet. Selbst Bürgermeister Árpád Nemes (CDU) hält an der Geschichte fest: "Das macht Sinn, schließlich liegt Großkorbetha an zwei Hauptstrecken und Bad Dürrenberg gab es im 19. Jahrhundert als Stadt noch gar nicht."
Seit Jahr und Tag hält sich dieses Märchen von der "Vertauschung der Bahnhöfe" hartnäckig - doch stimmt es, was man sich in der Solestadt erzählt? Märchen sind bekanntlich frei erfunden. Und so ist es wohl auch in diesem Fall, wie David Falk, Vorsitzender der "Eisenbahnfreunde Kötzschau", weiß: "Diese Vertauschung hat es, nach meinen Recherchen im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, nie gegeben." Laut Falk gebe es keinerlei schriftliche Beweise zu dem vertauschten Empfangsgebäude und "die Bauunterlagen der Strecke sind fast lückenlos erhalten".
"Die Behauptung, ein Bauinspektor habe die Pläne vertauscht, ist unwahr", sagt Falk. Der im Dürrenberger Fall zuständige Ingenieur Haupt, verantwortlich für den Streckenabschnitt von Großkorbetha bis Gohlis, ist in unzähligen datierten Akten erwähnt, auch schon vor Baubeginn der Strecke. Haupt war auch für die Bauausführung des Dürrenberger Empfangsgebäudes verantwortlich. "Er wäre es gewesen, der angeblich die vertauschten Bauunterlagen nicht bemerken wollte und daraufhin von August Mons, oberster Bauleiter über die Bahnstrecke Leipzig - Großkorbetha, gekündigt wurde", so Falk. Wenn dem so war, bleibt offen, warum Haupt nach Vollendung der Bahnstrecke immer noch in Diensten der Thüringischen Eisenbahn-Gesellschaft stand und in gewohnter Funktion immer wieder in den Unterlagen auftaucht.
Fraglich ist auch, warum nicht spätestens beim Bau des Fundamentes aufgefallen ist, dass etwas nicht stimmt. Warum sollte man das Fundament in dieser Größe fertigstellen und erst danach den Fehler bemerken? Zudem sei das ursprüngliche Bahnhofsgebäude in Großkorbetha - das heutige stammt von 1911 - mit dem Dürrenberger im Grundriss etwa gleich groß gewesen. "Die Pläne wurden nicht vertauscht", ist sich Falk sicher, "denn man sollte doch annehmen, dass die Verantwortlichen des Lesens mächtig waren", und verweist darauf, dass die Pläne für Gebäude auch zu dieser Zeit beschriftet waren - darin enthalten natürlich auch der Ort, wo das zu Bauende entstehen soll.
So seien auch vom Dürrenberger Bahnhofsgebäude Ansichts- und Schnittzeichnungen erhalten, auf denen eindeutig erkennbar ist, dass dieses - und nur dieses Empfangsgebäude - für Dürrenberg vorgesehen war. Diese Pläne, die sich heute im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Merseburg, befinden, sind auf die erste Jahreshälfte 1855 datiert.
Die andere Behauptung, der Bahnhof stünde auf der falschen Seite, ist ebenso falsch, wie die Recherchen David Falks ergaben. "Das Bahnhofsgebäude steht richtig und wohlüberlegt, denn auf der anderen Seite wäre zur damaligen Zeit gar kein Platz gewesen. Dort befand sich der 1856 errichtete Güterschuppen", erklärt Falk. Und dieser hatte an besagter Stelle durchaus seine Bewandtnis, sonst hätten die Fuhrwerke, die bis 1868 das Salz aus der Saline zum Bahnhof brachten, jedes Mal die Gleise überqueren müssen, ebenso die Salinebahn.
Eine Frage bleibt jedoch: Warum hat Bad Dürrenberg ein solch imposantes Empfangsgebäude? "Zur damaligen Zeit war die Saline Dürrenberg eine der bedeutendsten in Preußen", so Falk. Zudem lief 1856 seit etwa zehn Jahren der Bade- und Kurbetrieb - der Beginn einer schrittweisen Entwicklung hin zu einem Kurort. "Zwar war Dürrenberg zu dieser Zeit noch ein Dorf, doch für Preußen hatte es eine extrem hohe Bedeutung, die natürlich in der Architektur des Empfangsgebäudes, als wichtigstes Gebäude des Bahnhofes, Ausdruck finden musste", weiß Falk. Großkorbetha hingegen hatte nicht diese Bedeutung, weil es keine bedeutende ortsansässige Saline oder andere staatswichtige Anlage besaß.
Und die Moral von der Geschichte? "Insgesamt gesehen, hatte - nach heutigem Wissensstand - alles seinen wohldurchdachten Platz", so Falk.