Hochschule Merseburg Hochschule Merseburg: Entsetzen über Strukturplan der Landesregierung

MERSEBURG/MZ - Ernst gemeint oder nicht: Ein Strukturplan zur Neuordnung der Hochschullandschaft in Sachsen-Anhalt sorgt in und um Merseburg für Wirbel. Nach einem internen Papier aus dem Wirtschaftsministerium soll die Hochschule Merseburg komplett geschlossen werden. Zwar folgte am Donnerstag das Dementi von Minister Hartmut Möllring (CDU), die Empörung ist dennoch groß.
Verärgert über Ignoranz
Heike Mrech, Prorektorin für Studium und Lehre an der Hochschule Merseburg, bringt ihr Entsetzen zum Ausdruck. „Wir sind hier mitten in den Einschreibungen, haben jetzt schon 17 Prozent mehr als im vergangenen Jahr und jetzt das.“ Man sei an der Hochschule nicht nur verwundert, sondern auch verärgert. „So viel Ignoranz würde ich dem Wissenschaftsminister nicht zutrauen.“
Nach den positiven Einschätzungen durch den Wissenschaftsrat und den verschiedenen Demonstrationen wären derart drastische Einsparungen das völlig falsche Signal. „Dieses Papier kann nur am grünen Tisch entstanden sein, wenn es überhaupt echt ist.“ Dass es nicht durchdacht sei, dafür sprächen einige Details. „Wenn bei uns zum Beispiel fast alle Fachbereiche aufgelöst und die Gebäude freigezogen würden, müssten 42,8 Millionen Euro, die als Fördermittel in die Sanierung geflossen sind, zurückgezahlt werden. Wer soll das bezahlen?“ Man sei bereit, an Einsparungen mitzuarbeiten - nach realistischen Plänen.
Kampfbereit
Landrat Frank Bannert (CDU) erreichte die Nachricht im Urlaub. „Wenn das stimmt, wäre es verrückt. So etwas passiert, wenn man sich Leute importiert, die von den Verhältnissen hier keine Ahnung haben. Wir werden es nicht zulassen, dass unsere Hochschule gestrichen wird. Existieren diese Gedankenspiele, werden wir mit aller Kraft reagieren. In diesem Punkt weiß ich den Kreistag an meiner Seite.
Hoffen auf Versprechen
Oberbürgermeister Jens Bühligen (CDU) fordert Konsequenzen im Ministerium. „Es ist ein Unding, dass solche Informationen, die zudem wohl falsch sind, an die Öffentlichkeit gelangen. Das ist kontraproduktiv und richtet großen Schaden an, weil es für Verunsicherung sorgt. Ich nehme unseren Ministerpräsidenten und den Wirtschaftsminister beim Wort. Sie haben erklärt, dass unsere Hochschule bestehen bleibt.“
"Willen zum Dialog"
Reinhard Kroll ist Geschäftsführer der Total-Raffinerie Leuna und Kuratoriumsvorsitzender der Hochschule. Er mahnt eine sachliche Diskussion an. „Wir brauchen den Willen zum Dialog zwischen der Landespolitik und den Hochschulen. Ein langfristiges und vor allem tragfähiges Hochschulkonzept lässt sich nur gemeinsam entwickeln. Als Hochschulräte aus Sachsen-Anhalt, die vielfältig die Gesellschaft repräsentieren und eine beratende Funktion haben, haben wir dem Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium unsere Gesprächsbereitschaft angeboten.
- Schließung der Hochschulmedizin würde rund 22,7 Mio. Euro bringen; aber noch keine Entscheidung über die Zukunft gefallen
- Stärkere Kooperation mit den Unis in Jena und Leipzig, vor allem auch bei kleineren Fächern
- Stärkere Kooperation in den Agrar- und Lebenswissenschaften mit der Hochschule Anhalt
- Übernahme der Kooperationsplattform Polymer- und Kunststofftechnik der FH Merseburg
- Kooperation mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen als Fortführung des Kunststoffkompetenzzentrums
- Reduzierung der Zahl der Phil. Fakultäten um eine Verdichtung der Fächerstruktur und Profilbildung, mit starker nationaler Sichtbarkeit für einzelne forschungsintensive Bereiche in allen Fachbereichen
- Konzentration und Stärkung der Lehramtsausbildung in Halle bei Einbeziehung der FH im Bereich berufsbildende Schulen
- Schließung von Medienwissenschaften, Informatik, Psychologie, Sportwissenschaften, Geowissenschaften
- Einsparungen: 10 Mio. Euro
- Reduzierung Personal: 110 in der Verwaltung / 140 wissenschaftliche Mitarbeiter
- Reduzierung Studienplätze: 1.600
- Schließung der Humanwissenschaften
- Beibehaltung der Sportwissenschaften
- Fusion der drei ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten zu einer
- Übernahme einzelner Professuren der Hochschule Magdeburg-Stendal
- Einsparungen: 8,5 Mio. Euro
- Reduzierung Personal: 380 in der Verwaltung / 180 wissenschaftliche Mitarbeiter
- Reduzierung Studienplätze: 3.600
- Schließung des Standortes Magdeburg
- Verlagerung der Sozialwissenschaften und des Gesundheitswesens nach Stendal
- Verlagerung von Teilen der Ingenieurswissenschaften an die Hochschule Anhalt bzw. an die OvGU (Bauwesen, Wasser- und Kreislaufwirtschaft)
- Schließung von doppelt vorhandenen Bereichen, z.B. in den Ingenieurwissenschaften, Betriebswirtschaft, Medienwissenschaften
- Profilierung des Standortes Stendal als sozialwissenschaftliche Fachhochschule mit einigen betriebswirtschaftlichen Professuren
- Einsparungen: 6 Mio. Euro
- Reduzierung Personal: 20 in der Verwaltung / 30 wissenschaftliche Mitarbeiter
- Reduzierung Studienplätze: 1.200
- Abgabe von Gebäuden an das Bau- und Liegenschaftsmanagement Sachsen-Anhalt
- Fusion der ingenieurwissenschaftlichen Institute mit der Hochschule Anhalt bzw. der Martin-Luther-Universität
- Erhalt des Kunststoffkompetenzzentrums, künftiger Standort unklar
- Grundsätzliche Schließung aller übrigen Institute
- Einsparungen: 6 Mio. Euro
- Reduzierung Personal: 50 in der Verwaltung / 70 wissenschaftliche Mitarbeiter
- Reduzierung Studienplätze: 2.090
- Aufnahme von ingenieurwissenschaftlichen Professuren der Hochschule Merseburg und aus Magdeburg
- Profilierung als ingenieurwissenschaftlich-naturwissenschaftliche Hochschule
Wir wissen, dass Sachsen-Anhalt sparen muss - in vielen Bereichen. Aus Sicht der Wirtschaft, und die wird im Süden nun einmal maßgeblich durch die Chemie und die Chemie nahen Betriebe geprägt, brauchen wir natürlich die Hochschule, um unseren Fachkräftebedarf zu decken.“
Leuna ist Profiteur
Christof Günther, Geschäftsführer der Infra Leuna GmbH als Betreiber des Chemiestandorts, spricht sich klar für den Erhalt der Hochschule aus. „Für die großen Chemiestandorte im Süden von Sachsen-Anhalt ist eine starke und eigenständige Hochschule in Merseburg von größter Bedeutung. Dabei profitieren wir in Leuna natürlich von den traditionellen Schwerpunkten Chemie, Verfahrenstechnik und Ingenieurwesen.
Wir nutzen aber genauso die gut entwickelten Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit, zum Beispiel mit den Wirtschafts- und Medienwissenschaften. Die Nähe zu anwendungsorientierten Forschungskapazitäten sowie der Zugriff auf hier ausgebildete Fach- und Führungskräfte tragen zur Attraktivität unserer Standorte bei. Diesen Vorteil sollten wir nicht aus der Hand geben.“
Imageverlust für die Stadt
Der Merseburger Stadtratsvorsitzende Uwe Reckmann (SPD-Fraktion) reagiert schockiert. „So etwas fällt nicht vom Himmel. Die Position zeigt, wohin die Entwicklung für uns gehen soll. Wird das umgesetzt, können wir den Zusatz Hochschulstadt streichen. Für Merseburg wäre das eine Katastrophe und ein immenser Imageverlust. Ich sehe dieses Papier als Warnschuss. Wir dürfen nicht tatenlos zuschauen, wie andere über uns entscheiden.“





