Hochschulstrukturplan Hochschulstrukturplan: Ein Entwurf für den Kahlschlag

Magdeburg/MZ - Szenarien der Landesregierung zur Umsetzung der drastischen Sparziele bei den Hochschulen haben am Donnerstag eine Welle der Empörung ausgelöst. Wie der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) berichtet, gehöre zu ersten konkreten Sparvorschlägen des Wissenschaftsministers Hartmut Möllring (CDU) unter anderem, dass die Uniklinik Halle geschlossen, die Universität Halle durch die Streichung ganzer Studiengänge den Status als Volluniversität einbüßen und die Hochschule Merseburg einen Großteil ihrer Institute und Studienplätze verlieren würde.
Sparvorschlag nicht von Möllring
Möllring dementierte am Donnerstag allerdings, dass das Papier sein Sparvorschlag sei. „Die Überlegungen sind so abwegig, dass ich Sie bitte, sie mir nicht zu unterstellen. Ich bin ja nicht schwachsinnig“, sagte Möllring. Es handele sich um die „finanzielle Bewertung von theoretisch denkbaren, aber keinesfalls bereits angedachten Strukturmaßnahmen“. Möllring erklärte, die Vorschläge seien von einem Referenten erarbeitet, ihm aber bis am Donnerstag weder bekannt gewesen noch autorisiert worden. Das originale Schriftstück sei nicht mehr auffindbar und offensichtlich gestohlen worden, so Möllring. Strafanzeige erstatten wolle er aber nicht.
Trotz seines Dementis erntete Möllring am Donnerstag harsche Kritik. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Burkhard Lischka forderte Möllring zum Rücktritt auf und ging ihn persönlich an. „Wir brauchen einen Wirtschafts- und Wissenschaftsminister, der mit Herzblut für die Zukunft dieses Landes arbeitet und kämpft, und keinen Ruhestandsflüchtling, der seine Streichlisten abarbeitet“, sagte Lischka. Und: „Da Herr Möllring nicht mehr zu bieten hat, sollte er das Amt niederlegen und zurück nach Niedersachsen gehen.“ Einer Forderung, der sich der Studierendenrat der halleschen Uni anschloss: Möllring sei inkompetent und gefährde die Zukunft des Landes, sagte Sprecher Clemens Wagner. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) müsse seinen Fehler, Möllring zum Minister gemacht zu haben, rückgängig machen und ihn entlassen. SPD-Landtagsfraktionschefin Katrin Budde sagte, die Sparvorschläge seien keine Gesprächsgrundlage. Sie drohte, mit der „Frage der Hochschulentwicklung steht und fällt für die SPD die Koalition“.
Stufenweise Kürzungen
In der Staatskanzlei wurden derweil Verschwörungstheorien laut: Dass das Papier verschwunden sei, „ist eine ernste Sache“, sagte Regierungssprecher Matthias Schuppe. „Da wird bewusst versucht, etwas kaputt zu machen.“ Ministerpräsident Haseloff stellte sich demonstrativ vor seinen Wissenschaftsminister: Es gebe kein „Hochschulsparkonzept“, wohl aber werde es einen Hochschulstrukturplan geben. „Dessen Ziel wird es sein, den Hochschulstandort Sachsen-Anhalt weiterzuentwickeln, ihn zu profilieren und zukunftssicher zu machen.“
- Schließung der Hochschulmedizin würde rund 22,7 Mio. Euro bringen; aber noch keine Entscheidung über die Zukunft gefallen
- Stärkere Kooperation mit den Unis in Jena und Leipzig, vor allem auch bei kleineren Fächern
- Stärkere Kooperation in den Agrar- und Lebenswissenschaften mit der Hochschule Anhalt
- Übernahme der Kooperationsplattform Polymer- und Kunststofftechnik der FH Merseburg
- Kooperation mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen als Fortführung des Kunststoffkompetenzzentrums
- Reduzierung der Zahl der Phil. Fakultäten um eine Verdichtung der Fächerstruktur und Profilbildung, mit starker nationaler Sichtbarkeit für einzelne forschungsintensive Bereiche in allen Fachbereichen
- Konzentration und Stärkung der Lehramtsausbildung in Halle bei Einbeziehung der FH im Bereich berufsbildende Schulen
- Schließung von Medienwissenschaften, Informatik, Psychologie, Sportwissenschaften, Geowissenschaften
- Einsparungen: 10 Mio. Euro
- Reduzierung Personal: 110 in der Verwaltung / 140 wissenschaftliche Mitarbeiter
- Reduzierung Studienplätze: 1.600
- Schließung der Humanwissenschaften
- Beibehaltung der Sportwissenschaften
- Fusion der drei ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten zu einer
- Übernahme einzelner Professuren der Hochschule Magdeburg-Stendal
- Einsparungen: 8,5 Mio. Euro
- Reduzierung Personal: 380 in der Verwaltung / 180 wissenschaftliche Mitarbeiter
- Reduzierung Studienplätze: 3.600
- Schließung des Standortes Magdeburg
- Verlagerung der Sozialwissenschaften und des Gesundheitswesens nach Stendal
- Verlagerung von Teilen der Ingenieurswissenschaften an die Hochschule Anhalt bzw. an die OvGU (Bauwesen, Wasser- und Kreislaufwirtschaft)
- Schließung von doppelt vorhandenen Bereichen, z.B. in den Ingenieurwissenschaften, Betriebswirtschaft, Medienwissenschaften
- Profilierung des Standortes Stendal als sozialwissenschaftliche Fachhochschule mit einigen betriebswirtschaftlichen Professuren
- Einsparungen: 6 Mio. Euro
- Reduzierung Personal: 20 in der Verwaltung / 30 wissenschaftliche Mitarbeiter
- Reduzierung Studienplätze: 1.200
- Abgabe von Gebäuden an das Bau- und Liegenschaftsmanagement Sachsen-Anhalt
- Fusion der ingenieurwissenschaftlichen Institute mit der Hochschule Anhalt bzw. der Martin-Luther-Universität
- Erhalt des Kunststoffkompetenzzentrums, künftiger Standort unklar
- Grundsätzliche Schließung aller übrigen Institute
- Einsparungen: 6 Mio. Euro
- Reduzierung Personal: 50 in der Verwaltung / 70 wissenschaftliche Mitarbeiter
- Reduzierung Studienplätze: 2.090
- Aufnahme von ingenieurwissenschaftlichen Professuren der Hochschule Merseburg und aus Magdeburg
- Profilierung als ingenieurwissenschaftlich-naturwissenschaftliche Hochschule
Laut MDR sieht das Papier zwar massive Kürzungen an fast allen Hochschulen des Landes vor. Dadurch würde aber dennoch nicht die Sparvorgabe der Regierung erreicht. Die CDU/SPD-Regierung plant bisher die stufenweise Kürzung der Zuschüsse für die Hochschulen. Ab 2025 bekämen die Unis demnach jährlich gut 50 Millionen Euro weniger als heute. Laut Bericht würden Kürzungen bei den Hochschulen Magdeburg, Magdeburg-Stendal, Halle und Merseburg zur Streichung von 980 Mitarbeiter-Stellen und 8?490 Studienplätzen führen. Die Landeszuschüsse würden dadurch aber um nur 30,5?Millionen Euro sinken. Das Sparziel von 50 Millionen würde demnach nur erreicht, wenn das Land die Uniklinik Halle aufgibt, was Einsparungen von mehr als 22?Millionen Euro bedeutete.
Die Linksfraktion sprach von einem „Schrumpfungskonzept für die Hochschullandschaft“. Die Vorschläge machten deutlich, welche „gewaltigen Konsequenzen die Umsetzung auch nur eines Teils der vorgesehenen Kürzungen im Hochschulbereich haben“, so Fraktionschef Wulf Gallert. Die Landesentwicklung werde gefährdet. „Das Konzept zeigt, diese Landesregierung ist gefährlich für Sachsen-Anhalt“, so Gallert. Grünen-Fraktionschefin Claudia Dalbert warf der Regierung vor, sich „als Totengräber für unser Land profilieren“ zu wollen.
Möllring will im Oktober ein Hochschulkonzept vorlegen. Im MZ-Interview hatte er dafür die Schließung ganzer Standorte ebenso ausgeschlossen wie eine Abwicklung der halleschen Uniklinik. Allerdings hatte er die Schließung ganzer Fachbereiche angekündigt. Der Landtag hatte auf Antrag von CDU und SPD auch den Fortbestand beider Unikliniken beschlossen und eine aktive Absenkung der Studierendenzahlen und -plätze abgelehnt.
Sparplan angeblich gestohlen
Der Geiseltalsee wird zum Schicksalssee der Wirtschafts- und Wissenschaftsminister in diesem Land: Birgitta Wolff hatte dort von ihrem Rauswurf durch Ministerpräsident Reiner Haseloff erfahren. Am Donnerstag war Wolff-Nachfolger Hartmut Möllring (alle CDU) ebenfalls auf dem Weg ins Geiseltal - als in Magdeburg erneut ein politischer Orkan losbrach. „Möllring hat Eckpunkte für den neuen Hochschulstrukturplan fertiggestellt“, titelte der MDR auf seiner Internetseite. Und zitierte seitenlang über Einsparvorschläge, die – sollten sie umgesetzt werden – einem Kahlschlag in der Hochschullandschaft gleichkämen.
Vorschläge, die ganze Standorte infrage stellten – inklusive der Hochschulmedizin in Halle, die von Regierungschef Haseloff höchstpersönlich als sakrosankt eingestuft worden war. Wenn es also Möllring ernst meinen würde, dann dürfte seine Entlassung nicht mehr fern sein. Wohl auch deshalb wies der Niedersachse seinen Fahrer in Aschersleben an, wieder Richtung Magdeburg beizudrehen. Da hätte er angeblich das Papier im Geiseltal dem Arbeitskreis Bildung der CDU-Landtagsfraktion vorstellen sollen – oder wahlweise seine Staatssekretärin Tamara Zieschang (CDU), die eine halbe Stunde später gen Süden kurvte. Auch diese Gerüchte dementierten Zieschang und Möllring heftig. Man sei zwar zu dem Treffen unterwegs gewesen, aber ohne irgendein Hochschulpapier.
Er könne auch gar keins vorstellen, weil es noch keines gebe, so Möllring. Aber natürlich gebe es Gedankenspiele, „theoretische Überlegungen“. Und natürlich müsse man mit allen Möglichkeiten rechnen, sekundierte Zieschang. Wie gesagt, theoretisch. Dies hatte ein Referent im Ministerium getan – von dem stamme das Papier, entwickelt in der vergangenen Woche.
Keine Polizei
„Es handelt sich nicht um Möllrings Planung“, sagte Möllring. Besagtes Papier habe nicht einmal die zuständige Referatsleiterin erreicht. Geschweige denn die Hausspitze mit Abteilungsleiter, Staatssekretären und Minister. Daher sei es auch nicht autorisiert.
So weit, so plausibel. Was folgt, klingt nach Räuberpistole: Möllring zufolge sei der Eingang des Papiers bei der Referatsleiterin zwar vermerkt, aber kein Ausgang verzeichnet worden. Sprich: „Es ist nicht mehr da, das Papier“, so Möllring. Und: „Wir wissen nicht, wo es ist.“ Also schlicht gestohlen? „So sieht es aus“, sagte Möllring. Die Polizei wolle er aber nicht einschalten. „Wir wollen nicht mit zu großen Kanonen auf zu kleine Spatzen schießen.“ Zudem sei das Papier natürlich nicht wirklich weg. Nur eben in Papierform: In den Computern des Ministeriums wurde es noch nicht entwendet. Aber was dort digital festgehalten wurde, sei, und darauf legte Möllring großen Wert, von ihm nicht autorisiert.