Grenzen überschritten? Grenzen überschritten?: Zensurstreit um Werke eines jungen Künstlers spaltet Gemüter

Merseburg - „Sie nehmen für sich heraus, alles sagen zu dürfen, den anderen gestehen Sie dieses Recht jedoch nicht zu“, polterte zum Ende einer ansonsten eher handzahmen Diskussionsrunde an der Hochschule Merseburg eine Zuschauerin.
Zielscheibe ihrer Kritik war der Leipziger Künstler Silas Schmidt von Wymeringhausen, dessen Arbeiten, die sich mit Sexualpraktiken Homosexueller auseinandersetzen, einen heftigen Zensurstreit rund um das Kulturhistorische Museum in Merseburg ausgelöst hatten.
Hefte mit männlichen Geschlechtsteilen teils vulgäre Sprache in Vitrine
Mit Verweis auf den Jugendschutz hatte das Museum entschieden, Hefte des Künstlers, in denen männliche Geschlechtsteile zu sehen sind und eine teils vulgäre Sprache benutzt wird, nur in einer Vitrine zu zeigen. Weil die Museumsdirektorin im Zusammenhang mit den Arbeiten auch das Wort „abartig“ benutzt haben soll, wird ihr zudem Homophobie vorgeworfen. Doch ist dies alles nur eine Scheindebatte, wie die Zuhörerin weiter anmerkte?
Wer sich von der Diskussionsrunde, die von Hochschulprofessor Heinz-Jürgen Voß initiiert wurde, eine Abwägung der Standpunkte versprochen hatte, der wurde am Dienstagabend schnell enttäuscht.
Das Podium, in dem neben dem Künstler selbst auch Wissenschaftler saßen, war vor allem damit befasst zu erklären, wieso die Werke unbedingt in Gänze gezeigt werden müssen. Vertreter des Landkreises, dem Träger des Schlossmuseums, waren laut Voß der Bitte um Teilnahme an der Diskussionsrunde nicht nachgekommen.
„Gerade für ein kulturhistorisches Museum sollten die Werke interessant sein“, meinte Diskutant Heiner Schulze vom Schwulen Museum in Berlin, das in seiner 30-jährigen Geschichte selbst schon viele Kontroversen zu Ausstellungen erlebt hat. „Die Arbeiten behandeln ein Thema, das da ist, das man manchmal derber darstellen muss“, meinte er.
Künstler verteidigt seine Werke
„Statuen, die ebenfalls viel zeigen, werden dagegen völlig desexualisiert wahrgenommen“, klagte er und verwies auch auf das Plakat zur Ausstellung, zu der von Wymeringhausen seine Arbeiten beisteuerte. „Ohne Wimpernzucken wird dort die nackte Frauenbrust akzeptiert.“
Während der Künstler seine Werke verteidigte und eine Bildungsreferentin zudem erklärte, inwiefern die Arbeiten Homosexuellen helfen, offener und selbstbewusster in der Öffentlichkeit aufzutreten, nahm René Schäffer, Künstler und Mitglied im Berufsverband Bildender Künstler Sachsen-Anhalt, alle in die Pflicht. „Man muss auf der einen Seite immer die Grenzen und Möglichkeiten diskutieren, auf der anderen Seite aber auch den Mut haben, mal etwas zu zeigen.“ Ein Künstler müsse damit rechnen, dass sich jemand wehrt.
„Wie geht man also damit um, dass ein Agieren als Grenzübertritt wahrgenommen wird?“, fragte Schäffer. Er meinte zudem, dass im Kontext des Kulturhistorischen Museums wohl jede sexuelle Darstellung, schwul hin oder her, Kritik provoziert hätte. Aber auch das wäre dem Publikum - anders als offenbar der Museumsleitung - recht gewesen: „Gute Kunst ist Grenzüberschreitung, alles andere ist Dekoration“, meinte ein anderer Zuschauer in der Diskussionsrunde.
(mz)
