Flüsse im Saalekreis Wasserkraftwerke an der Saale: Klassiker mit Problemen
Früher waren es Mühlen, heute sind es Kraftwerke. Wasserkraft wird an der Saale seit Jahrhunderten genutzt. Doch sie hat mit Vorurteilen und der Dürre zu kämpfen.

Merseburg/MZ - Bei Wasserkraftwerken ist es wie bei einem guten Witz: Die Fallhöhe muss stimmen. „Jeder Meter, jeder Zentimeter Gefälle ist entscheidend“, sagt Helmut Soller. In seinem Wasserkraftwerk an der Merseburger Königsmühle sind es im Schnitt 2,80 Meter, die die Saale in die Tiefe stürzt. Unten überträgt sie ihre kinetische Energie auf eine Kaplanturbine, wie Gisbert Dose, Sollers Bereichsleiter vor Ort, erklärt. Sehen kann man diesen Part von der Maschinenhalle aus nicht. Dafür aber das gewaltige knallrote Riemenrad mit einem Durchmesser von fünf Metern, das die Energie über eine Kaplanwelle aufnimmt und per Riemen zum Generator überträgt, der den Strom erzeugt. „Der geht zu 100 Prozent ins öffentliche Netz“, sagt Dose.
450 Kilowatt beträgt die Normleistung des 2019 in Betrieb gegangenen Kraftwerks auf der Königsmühle. Die schon etwas ältere fast baugleiche Anlage auf der anderen Seite des Wehres im historischen Mühlengebäude kommt auf denselben Wert. Im Vergleich zu modernen Windkraftanlagen nimmt sich der fast bescheiden aus. Die Windräder haben teils die zehnfache Leistung. Wasserkraft spielt daher im Energiemix, auch der erneuerbaren Energien, eher eine Nebenrolle. Bundesweit war sie zuletzt bei drei bis vier Prozent des verbrauchten Strom die Energiequelle. Wobei ein starkes Süd-Nord-Gefälle besteht. Laut Umweltbundesamt finden in Baden-Württemberg und Bayern über vier Fünftel der Stromgewinnung aus Wasserkraft statt. Im Energiemix im Osten liegt ihr Anteil bei nur 0,3 Prozent.
EEG-Förderung auf der Kippe
In der Norddeutschen Tiefebene fehlt es eben schlicht an Fallhöhe. Die Saale und zu Teilen die Unstrut stellen hier allerdings eine Besonderheit dar. Durch ihre Staustufen bieten sie die Möglichkeit für Wasserkraftwerke. 16 gibt es laut Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW) derzeit an der Saale, vier an der Unstrut.

Soller betreibt Anlagen an beiden Flüssen, ebenso wie an der Flöha in Sachsen, der Werra, der Ilm und der Schwarzen Laber in Thüringen und seiner Heimat Bayern. Gerade an der Saale sieht der Fachmann durchaus noch Chancen für weitere Kraftwerke. So sei etwa das Rischmühlenwehr noch ohne Anlagen, auch zwei weitere Wehre in Halle. Das LHW zählt dort sogar drei Wehre für die schon mal die behördliche Zustimmung für ein Wasserkraftwerk erteilt wurde. Die Bauherren hätten die aber nie realisiert.
Neue Anlagen sind hohes Risiko
Auch Soller hegt derzeit nach eigenen Worten keine Ambitionen für neue Projekte. Als Grund verweist er auf eine Debatte aus dem Frühjahr, die für die breite Öffentlichkeit im Schatten der Diskussion um Krieg und Gasversorgung verborgen blieb. Die Anlagenbetreiber bekommen durch das Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) garantiert 11 bis 12 Cent pro erzeugter Kilowattstunde. Ein fixer Betrag, mit dem sie kalkulieren können. Doch als im Frühjahr der Entwurf für die EEG-Novelle vorgestellt wurde, fehlte die Förderung für die Wasserkraft.
Die Branchenverbände liefen Sturm. Letztlich erfolgreich. Bei Soller bleibt aber das Misstrauen zurück: „Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung.“ In drei Jahren stehe die nächste Novelle an. Wasserkraftanlagen hätten aber einen Planungsvorlauf von fünf bis sechs Jahren. „Wenn man jetzt plant und baut und sie sagen dann: ’Wasserkraft ist nicht mehr ökologisch’, steht man vor dem Ruin. Die Bedingungen für Investitionen sind derzeit wie Lotto spielen.“

Der Betreiber sieht die Branche unter Rechtfertigungsdruck. Kanuten und Naturfreunde wöllten die Wehre weghaben. Die einen, damit sie Boote nicht umtragen müssen, die anderen, damit die Flüsse mäandern können: „Und die Angler werfen uns vor, dass wir die Fische häckseln.“ Soller hält dagegen, misst den Wehren ökologische Bedeutung bei. Sie würden das Wasser in der Region halten. Ohne sie könnte passieren, was am Po in Italien passiert ist. Der Fluss trockne aus. Mit Blick auf die Fische verweist er darauf, dass alle Anlagen einen engmaschigen Rechen hätten, also einen Schutz, der gröberen Schmutz abhalten soll. Davor nehme die Strömung zu. „Wenn Fische das spüren, kehren sie um.“
Problem: Niedrigwasser
Viele Wasserkraftwerke, so auch Sollers an der Saale, haben Fischtreppen. Auf- und Abstiegshilfen neben den Kraftwerken. Gisbert Dose zeigt am Fuß der Fischtreppe an der Königsmühle eine weitere Tierschutzvorrichtung. Eine Betonröhre mit Lichtschächten alle Paar Meter. Durch sie sollen Kleinsttiere leichter den Weg flussaufwärts schaffen.
Die Wasserkraft hat aktuell aber nicht nur mit Vorbehalten zu kämpfen. Fallhöhe ist für sie nur eine notwendige Bedingung, die anderen ist Wasservolumen. Derzeit führen viele Flüsse Niedrigwasser. Da an Stauanlagen immer ein bestimmter Wasseranteil über das Wehr fließen muss, stehen einige von Sollers Anlagen an Werra und Flöha seit Wochen still. So tief, dass sie abschalten mussten, sei der Wasserstand an der Saale noch nie gefallen, berichtet Dose. Aktuell läuft das Kraftwerk an der Königsmühle mit 40 Prozent seiner Normleistung. „Das wir so gutes Wasser haben, dass wir 100 Prozent fahren können, ist sehr selten. Normal sind wir bei 70 bis 80 Prozent.“
Auch das LHW sagt, dass die erzielbaren Leistungen an der Saale infolge des Wassermangels eher fallen. Und damit wohl auch die Chancen für neue Kraftwerke. Denn für die gibt es noch eine dritte Bedingung: Sie müssen sich rechnen. „Eine Wasserkraftanlage hat keine hohe Rendite“, erklärt Soller. Auf lange Sicht, über die 20 Jahre Abschreibungszeit, würde sich der Betrieb jedoch lohnen: „Es plätschert vor sich hin.“ Das Geld. Aber eben nur, wenn auch genügend Wasser plätschert.