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Evakuierung in Leuna Evakuierung in Leuna: Entwarnung nach Giftgas-Alarm

Von Tilo Krippendorf 24.10.2013, 09:00
Kampfmittelbeseitigungsdienst in Schutzkleidung
Kampfmittelbeseitigungsdienst in Schutzkleidung Marco Junghans Lizenz

Leuna/MZ - Der 24. Oktober 2013 wird den Anwohnern der Leunaer Teichstraße lange in Erinnerung bleiben. Vor den Haustüren der schmucken Einfamilienhäuser spielte sich am Donnerstag ein nervenaufreibender Krimi ab. Lag im Garten eines Nachbarn jahrzehntelang hochgefährliches Giftgas? Rund um die Evakuierungszone stehen Menschen und diskutieren. Ein 31-jähriger Leunaer schimpft: „Man bekommt keine klare Aussage, wann kann ich endlich zurück in mein Haus?“ Der spärliche Informationsfluss hat einen einfachen Grund: Die Einsatzleiter wissen selbst stundenlang nicht, was einige Meter weiter in zwei ausgehobenen Löchern liegt.

Zäh-Lost wird vermutet

Der Verdacht, dass so genanntes Zäh-Lost beim Ausbaggern ausgetreten sein könnte, liegt nahe. Es ist Nervengas aus dem Zweiten Weltkrieg, das quälende Symptome hervorrufen und zum Tod führen kann. Spreng-Experten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes hatten am Morgen zwei Altlasten gefunden, ein Hinweis eines Zeitzeugen hatte sie auf die Spur gebracht. Zum einen fanden sie eine vermutlich scharfe Nebelgranate, zum anderen sechs kleine Kartuschen im Erdreich. Auf einem der Behälter stand in altdeutscher Schrift der Hinweis, der den Großeinsatz auslöste.

„Wir haben die Beschriftung prüfen lassen, alles deutet auf den Kampfstoff Zäh-Lost hin“, sagte Sprengmeister Thilo Pierau noch am Vormittag. Einige Stunden später liegt er im Krankenhaus, gemeinsam mit elf anderen - eine Vorsichtsmaßnahme, denn sie könnten trotz Schutzanzug mit dem brisanten Fund in Kontakt gekommen sein. Neben Pierau und seinen Kollegen sind es Mitarbeiter des Katastrophenschutzes und Feuerwehrleute.

Das Nervengas ist tückisch, erste Symptome treten erst nach einigen Stunden auf. Obwohl alle Kampfmittelspezialisten und Feuerwehrleute des herbeigerufenen ABC-Zuges in blauen Schutzanzügen zu Werke gehen, ist den Notärzten vor Ort die Gefahr zu groß, das jemand Schaden davon trägt.

Sperrzone wird ausgeweitet

Niemand weiß so recht, wie mit Lost umzugehen ist. Zu gefährlich ist die Chemikalie. So zieht die Einsatzleitung alle Sicherheits-Register. Die Sperrzone wird im Laufe des Tages ausgeweitet, jeder der hinter die Absperrung am Fundort tritt, muss unter die eilig errichteten Duschen des Dekontaminationszeltes. Diejenigen, die die Schutzanzüge tragen, müssen diese nach spätestens einer halben Stunde ausziehen, zu groß ist die Anstrengung und der Wasserverlust auf Dauer. „Wir müssen sehen, ob unsere Leute und die Schutzanzüge reichen“, sagt Kreisbrandmeister Holger Baumann. Unterschwellig steht die Befürchtung im Raum, dass die Mittel der Wehren nicht ausreichen, um dieser Gefahr Herr zu werden.

Nach acht Stunden liegen die Nerven bei allen Beteiligten blank. Messergebnisse von Analysen der genommen Proben schwanken. Mal spricht vieles für, mal gegen die vermutete Substanz. Doch für die Experten ist es wichtig zu wissen, mit welchem Stoff sie es genau zu tun haben. Immerhin liegt neben den Behältern eine vermeintlich scharfe Granate, die noch entschärft werden muss. Aus Magdeburg, wo am Donnerstag eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft wurde, kommt ein anderer Kampfmittel-Spezialist. Er soll die Granate entschärfen und außerdem die Feuerwehrleute anleiten, damit diese beim Umgang mit den Kartuschen keine folgenschweren Fehler begehen.

Amtshilfe aus Niedersachsen

Unterdessen rollt noch Amtshilfe aus Niedersachsen nach Leuna. Deren Kampfmittelexperten sollen das Giftgas schließlich zu einer Verbrennungsanlage transportieren und dort vernichten. Die Anlage befindet sich in Munster, dort könnte der Stoff im Zweiten Weltkrieg auch produziert worden sein.

Bis in die Abendstunden herrscht Ungewissheit. Gegen 21 Uhr kam schließlich die lang ersehnte Entwarnung. Die Anwohner können endlich in ihre Häuser zurück. Der Giftgasverdacht bestätigte sich nicht, auch die Nebelgranate muss nicht entschärft werden. Ein glückliches Ende des Leunaer Giftgas-Krimis.

Die Fässer für die Kampfstoffe werden gebracht.
Die Fässer für die Kampfstoffe werden gebracht.
Marco Junghans Lizenz
Einsatzkräfte der Feuerwehr legen ihre Schutzkleidung an.
Einsatzkräfte der Feuerwehr legen ihre Schutzkleidung an.
Marco Junghans Lizenz