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Serie: Die „Freizeitmacher“ in Sachsen-Anhalt Harzer Wandernadel - Wie ein grüner Stempelkasten zum Kult wurde

Was als Arbeitsförderungsmaßnahme begann, ist heute eines der wichtigsten Tourismusprojekte Sachsen-Anhalts – und das Lebenswerk von Klaus Dumeier: Die Wandernadel verbindet Naturerlebnis und Sammellust. Und mittlerweile expandiert sie auch in andere Regionen.

Von Julius Lukas 02.08.2025, 06:00
Die Stempelstelle Nummer 81 an den Sandsteinhöhlen im Heers nahe Blankenburg mag Wandernadel-Geschäftsführer Klaus Dumeier besonders gern.
Die Stempelstelle Nummer 81 an den Sandsteinhöhlen im Heers nahe Blankenburg mag Wandernadel-Geschäftsführer Klaus Dumeier besonders gern. (Foto: Julius Lukas)

Blankenburg/MZ. - Ein- bis zweimal in der Woche, wenn die Aufgaben des Tages bereits im Team verteilt sind, gönnt sich Klaus Dumeier eine kleine Morgen-Auszeit. „Dann fahre ich in den Heers, stelle das Auto ab und laufe die paar Minuten zu den Sandsteinhöhlen“, erzählt der 64-Jährige.

Ruhe und Kraft tanken im Heers

Im Waldgebiet unterhalb der Burg Regenstein bei Blankenburg hat er vor Jahren eine Bank errichtet. „Gedankenbank“ steht in das Holz der Sitzgelegenheit geschrieben. „Und da lasse ich dann am Morgen, wenn noch kaum Wanderer unterwegs sind, meine Gedanken schweifen, finde Ruhe und Kraft“, sagt Dumeier. „Das ist schon mit mein liebster Ort im Harz – und natürlich auch einer meiner liebsten Stempel.“

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Wenige Meter von der Gedankenbank entfernt steht er, der grüne Kasten. Aufklappbar, verbirgt er im Inneren ein Stempelkissen und einen Stempel. Er ist eine von 222 regulären Stempelstellen im Harz. Sie alle gehören ebenso wie die 368 Sonderstempelstellen zur Harzer Wandernadel. Und die ist im Mittelgebirge nicht nur ein Touristenmagnet, der mittlerweile sogar in andere Regionen expandiert – sondern auch Klaus Dumeiers Lebenswerk.

Sammelalbum für Wanderer

Die Wandernadel ist eine Art Sammelalbum. Im sogenannten Wanderpass werden Stempel gesammelt. Diese sind über die drei Länder Sachsen-Anhalt, Thüringen und Niedersachsen verteilt. Hinzu kommen Sonderstempel, die sogar im Botanischen Garten in Halle oder im Rosarium Sangerhausen zu finden sind. Ziel bei der Jagd nach den Siegeln ist es, so viele wie möglich zusammenzubekommen. Dafür gibt es Abzeichen – von der Wandernadel in Bronze bis hin zur höchste Ehrung, dem Wanderkaiser (siehe Infokasten).

Wandernadel-Mitarbeiterin Charlotte Jacobs packt ein Paket mit Wandernadel-Produkten.
Wandernadel-Mitarbeiterin Charlotte Jacobs packt ein Paket mit Wandernadel-Produkten.
(Foto: Julius Lukas)

Nun aber genug sinniert auf der Gedankenbank. Jetzt wird sich bewegt. Mit Klaus Dumeier unterwegs zu sein, ist jedoch eine andere Art zu wandern. „Die Brennnesseln hier müssen noch ein bisschen mehr zurückgeschnitten werden“, bemerkt er schon nach wenigen Metern. Zwischendurch ist er zudem fast so weit, die Kettensäge aus dem Kofferraum seines Autos zu holen, weil ein umgekippter Baum stört. „Wir kümmern uns nicht nur um die Kästen, sondern auch um die Wege dorthin“, verrät Dumeier. „Wir bewirtschaften dabei ein Gebiet, das etwa 120 mal 100 Kilometer groß ist.“ Mit zwei Geländewagen seien er und sein Team jeden Tag unterwegs, um Gebrauchsschäden, aber auch Vandalismusfolgen zu beheben: Stempel geklaut, Klappe abgerissen, Sicherungsseil durchschnitten. „Nach dem Herrentag sind immer mindestens zehn bis fünfzehn Kästen kaputt.“

So ärgerlich diese Zerstörung ist, es gibt als eine Art Gegengewicht auch einen breiten Unterstützerkreis. Etwa 100 Paten helfen bei der Wandernadel und kümmern sich um einzelne Stempelkästen. „Und oft melden uns auch die Wanderer selbst, wenn irgendwo ein Defekt ist“, sagt Dumeier.

20-jähriges Bestehen 2026

Das Netzwerk bleibt so vital – und das seit 19 Jahren schon. „Wir feiern 2026 unser 20-jähriges Bestehen“, schildert Dumeier, während er über die sandigen Wege des Heers schreitet. Die Idee zur Wandernadel ging dabei auf eine Arbeitsförderungsmaßnahme zurück. Mit einem Projekt für Jobsuchende sollte der Tourismus gestärkt werden – so kam es zum Konzept der Stempelkästen. „Das wurde damals in Zusammenarbeit mit den Harzklubs gemacht“, erinnert sich Dumeier. Die halfen bei der Auswahl der Stellen und dem Aufstellen der Kästen. Für den dauerhaften Betrieb und auch die finanziellen Belange, etwa im Zusammenhang mit der Ausgabe der Wanderpässe, wurde eine andere Struktur gesucht – und da kam Klaus Dumeier ins Spiel.

Der 64-Jährige ist eigentlich Banker. Nach der Wende kam er aus Hessen nach Thüringen, arbeitete später in der Nähe von Göttingen – immer im Agrarsektor, wo er den Betrieben bei ihren Finanzierungen half. An einem verschneiten Tag im Februar lernte er jedoch bei einem Ausflug mit seinem Sohn im Harz eine Apothekerin aus Blankenburg kennen – es ist seine heutige Frau. „Ich kam der Liebe wegen hierher“, sagt Dumeier.

Jeder neue Stempel im Heft bringt das Ziel, Wanderkaiser zu werden, näher.
Jeder neue Stempel im Heft bringt das Ziel, Wanderkaiser zu werden, näher.
(Foto: Julius Lukas)

Um sich in seiner neuen Heimat einzubringen, habe er damals beim Verein „Gesund älter werden im Harz“ mitgearbeitet. „Und dann wurde ich gefragt, ob ich mit dem Verein nicht die Stempelstellen betreuen will – damals waren das 158 Stück.“ Dumeier traute sich die Aufgabe zu, überarbeitete die Stempelliste und weitete das Netzwerk aus. „Wir haben immer geschaut, wo interessante Orte sind, wo es tolle Aussichten gibt – da kamen Kästen hin.“

590 Stempelstellen und 16 Sonderhefte

Aus der Arbeitsförderungsmaßnahme ist mittlerweile ein ganzes Ökosystem geworden. 590 Stempelstellen gibt es innerhalb der Wandernadel, neben dem Wanderpass existieren noch 16 Sonderhefte zu unterschiedlichen Regionen und Wanderarten (siehe Infobox). Fast zehn Mitarbeiter halten die Kästen in Schuss, kümmern sich um das Versenden von Heften oder sie verschicken Artikel aus dem Wandernadel-Shop – vom Pullover über Brotdose und Tasse bis hin zum Stempelkasten im Miniaturformat.

Mit neuen Sonderheften sollen weitere Zielgruppen, wie etwa Hundebesitzer, angesprochen werden.
Mit neuen Sonderheften sollen weitere Zielgruppen, wie etwa Hundebesitzer, angesprochen werden.
(Foto: Julius Lukas)

Im Heers sind die Wege oft breit, das Wandergebiet ist wegen der Sandsteinhöhlen sehr beliebt. Gleich mehrere Stempel sind dort erreichbar – auf der Burg Regenstein zum Beispiel, aber auch an einer alten Mühle. „Hier lernt man noch etwas über Geschichte und Technik der Region“, sagt Klaus Dumeier. Wandern bedeute, die Natur zu entdecken. „Und mit den Stempeln werden Besucher sanft durch den Harz geführt – und sie haben dabei immer ein Ziel.“

Diese Mischung aus Bewegen, Sammeln und Entdecken zieht Menschen an. Die Beliebtheit der Wanderhefte ist ungebrochen. „Einen besonderen Schub gab es während der Corona-Zeit“, sagt Klaus Dumeier. Die Leute hätten nach einer Beschäftigung gesucht, die noch erlaubt war. „Es gab zwar in Niedersachsen eine Woche lang ein Wanderverbot, darüber hinaus aber keine Einschränkungen“, erzählt der Geschäftsführer. Entsprechend habe diese Zeit einen regelrechten Boom ausgelöst. „Die Leute standen bei unserer Verkaufsstelle bis auf die Straße – das hatte natürlich auch finanzielle Auswirkungen.“

120.000 Wanderpässe pro Jahr

Infolge des Pandemie-Boosters war der gemeinnützige Verein nicht mehr geeignet, die Geschäfte der Wandernadel abzuwickeln. „Wir haben deswegen 2022 die Harzer Wandernadel GmbH gegründet, deren alleiniger Gesellschafter der Gesund Leben im Harz e. V. ist.“ Über die Firma wird jetzt der wirtschaftliche Teil der Wandernadel abgewickelt – etwa der Vertrieb der Pässe. „Wir verkaufen davon 120.000 Stück pro Jahr“, sagt Klaus Dumeier stolz.

Die Stempellust ist auch im 20. Jahr ungebrochen hoch – nicht nur im Harz. Denn die markanten Kästen breiten sich mittlerweile in Deutschland aus – allerdings in anderen Farben. So stehen in Ostfriesland entlang eines Radwegs 22 blaue Kästen aus der Harzer Wandernadel-Werkstatt – unter anderem am bekannten Otto-Waalkes-Leuchtturm in Pilsum. „Und gerade hat der Tourismusverband der Holsteinischen Schweiz angefragt, ob wir auch sie beliefern können, verrät Dumeier. Auch dort werden also bald Stempelkästen aus dem Harz stehen.