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Direktmandat für Merseburg Direktmandat für Merseburg: AfD-Mann Willi Mittelstädt macht Parlament statt Rente

Von Undine Freyberg 14.04.2016, 04:00
Willi Mittelstädt sitzt für die AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt.
Willi Mittelstädt sitzt für die AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt. Peter Wölk

Merseburg - Willi Mittelstädt ist eine Jungfrau. Politisch gesehen. Zumindest was die Zeit nach der Wende betrifft. Und auch vom Sternzeichen her.

Zu DDR-Zeiten war er Mitglied der SED. „Man musste einfach in der Partei sein, wenn man vorwärts kommen wollte. Aber ich war nie Funktionär und hab’ auch nie jemanden angeschmiert. Das war nicht meine Sache. Aber ich war auch kein Rebell.“ Politik habe ihn zwar immer interessiert, aber zu Ostzeiten habe das ja keinen Spaß gemacht, sagt der Mann, der sich 1980 in Merseburg mit einer Heizungs- und Sanitärfirma selbstständig gemacht hat.

Wie alles anfing

Jetzt hat Willi Mittelstädt einen Wikipedia-Eintrag, ist berühmt und Politiker.  Denn er hat  bei der Landtagswahl für die AfD das Direktmandat  im Wahlkreis Merseburg geholt. Aus dem Stand 7.783 Stimmen oder 32,3 Prozent, 2.040 Stimmen mehr als der Zweitplatzierte. Und das nicht als Politprofi, sondern als gelernter Betriebsschlosser und studierter Chemieanlagenbauer. Seit Dienstag ist Mittelstädt auch ganz offiziell Mitglied des Landtages von Sachsen-Anhalt.

Mit 68.  Eigentlich könnte er  die Beine hochlegen und sich um die Enkel kümmern. „Aber ich bin keiner, der rumsitzt“, er lacht ein freundliches Lächeln. Wie er zur AfD gekommen ist?  Er habe Zeit gehabt, habe gelesen, sich verschiedene Sachen auf Youtube angeschaut.

Hans-Olaf Henkel, der frühere Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (damals noch AfD-Politiker) und Bernd Lucke, der AfD-Mitbegründer,  hätten ihn  damals beeindruckt, als es um den Euro  ging.  Er habe sich gesagt: Okay, Du hast Zeit. Politische Arbeit würde bestimmt Spaß machen. Er schrieb an den Bundesvorstand. Keine Reaktion.

Dann habe er von einem Kreisverband Saalekreis gehört und Kontakt aufgenommen. „Man sagte zu mir, komm doch zur Versammlung. Und da waren schon einige Leute da.“ 2014 wurde Willi Mittelstädt Mitglied der AfD.

Er habe nie einen Posten erhaschen wollen, aber irgendwann habe jemand gesagt: Du, da sind Wahlen, und da gibt es Direktkandidaten, da gibt es Listenplätze. „Da hab ich gefragt: Was sind Listenplätze?“ Er habe sich im Internet über die Wahl 2011 informiert. Da habe er  Steffen Rosmeisl von der CDU gefunden, mit über 6.000 Stimmen. „Und da dachte ich mir: Eigentlich bist Du doch in Merseburg bekannt.“ Deshalb habe er  es versuchen wollen. Dass am Ende so ein gutes Ergebnis herauskommen würde,  hätte niemand erwartet.

Erfolglose Bürosuche

Wo sein Büro im Landtag sein wird, weiß Willi Mittelstädt noch nicht. Wo er ein Büro in Merseburg findet,  auch nicht. Überall, wo er bisher war, sei er abgeblitzt.  „Ich  sage auch ganz deutlich: Ich bin ein Landtagsabgeordneter der AfD und suche ein Büro für die AfD. So ehrlich muss man sein. Aber dann erledigt sich das meistens. 

Man will  offenbar kein Büro von der AfD.“ In der Gotthardstraße habe es nicht geklappt, auch nicht in der Bahnhofstraße. „Vielleicht wird es ja etwas an der Kliaplatte“, hofft Mittelstädt,  der so gar nicht zu dem zum Teil krawalligen Auftreten  anderer AfDler zu passen scheint.

Trotzdem ist er  sich durchaus darüber im Klaren, dass er trotz der vielen Wahlstimmen nicht nur Fans hat. Deshalb befürchtet er auch Angriffe gegen sein Büro. In Halle hätten AfD-Gegner die Scheiben eines Autos der AfD eingeschlagen, in Merseburg seien Reifen zerstochen worden. Für sein Büro in Merseburg wolle er mehr als nur einen Mitarbeiter einstellen. „Zwei habe ich schon. Aber für das Geld, das mir zur Verfügung steht, möchte ich mehr Leuten einen Job geben.“

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Grün ein rotes Tuch?

Mittelstädt ist ein Macher und Perfektionist. Früher in der Firma war er früh meist der Erste und abends der Letzte. Das Wort Urlaub war fast ein Fremdwort.  Das Einfamilienhaus mit dem gepflegten Garten, in dem er mit Ehefrau Bärbel (66) lebt, hat er erst nach der Wende gebaut. Über Jahre. Immer wenn Zeit und Geld da war. 95 Prozent seiner Wahlplakate hat er selbst aufgehängt. 

„Wir sind zwar nicht in der Regierung, aber ich werde schon versuchen, meinen Standpunkt und das, was ich an Wissen habe, einzubringen.“ Er habe  noch nie in so einer Funktion als Landtagsabgeordneter gesteckt und er wisse auch nicht, wie so ein Parlament tickt. Doch er habe sich schon bereit erklärt, in verschiedenen Ausschüssen mitzuarbeiten -  Wirtschaft, verkehrstechnische Entwicklung und auch Umweltschutz.

„Da hätte ich auch ein paar Fähigkeiten.“ Wenn der Vorsitzende allerdings ein Grüner wäre, würde er sich vermutlich zurückziehen. Die Auseinandersetzung tue er sich nicht an. „Denken Sie, dass ich mit Sebastian Striegel unter einen Hut kommen würde? Da rennt man doch gegen eine Wand.“

Mittelstädt für den Mittelstand

Im Land müsste aus seiner Sicht mehr für den Mittelstand getan werden. Mit politischen Entscheidungen. Solarenergie, Windparks - man schieße sich  immer auf bestimmte Gebiete ein, stelle fest, dass es vielleicht am Anfang funktioniert. Aber irgendwann laufe es nicht mehr, und dann seien aber auch die vielen Gelder weg. „Vielleicht muss man auch mal anders denken, auch kleine Betriebe mehr fördern, die Finanzen etwas mehr streuen. So dass auch kleinere Firmen die Chance haben, Produkte zu entwickeln, mit denen sie auf dem internationalen Markt agieren können.“  Man sollte mehr Experten zu Rate ziehen, die aus der Wirtschaft kommen. Inwieweit diese bereit seien, wisse er nicht. Aber  Sachsen-Anhalt habe ja offensichtlich ein Problem und jemand müsse herausfinden, was falsch läuft.

Mit der NPD wolle er überhaupt nichts zu tun haben. Auch die Autobahnverbindung von der A 38 zur A 14 müsse endlich kommen. Es müsste ein Konsenz gefunden werden mit Grünen und Naturschutzbund. „Die Belastung für die Menschen in Halle ist doch viel, viel größer, als für eine Schildkröte, die da vielleicht lebt. Ich sag ja nicht, man soll die Tiere totfahren, man kann ja umsiedeln.

Auf jeden Fall muss man doch eine Lösung finden.“Und wie steht er persönlich zu Flüchtlingen? Im Programm steht, dass die AfD nicht gegen Flüchtlinge ist, die aus kriegsgebieten kommen oder weil sie aus Glaubensgründen ihr Land verlassen müssen. „Flüchtlinge hat es doch in Deutschland immer gegeben. Wir haben hier schon lange rund 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Das beflügelt doch auch eine Gesellschaft.

Dagegen will ich mich nicht wehren. Ich geh gern zum Griechen oder  esse beim Türken eine Döner.“ Auch seine Eltern seien Flüchtlinge gewesen. Aber ein Staat müsse  in der Lage sein, zu wissen, wer hierher kommt. Hierher kommen Leute, die keine Namen nennen oder drei Namen nennen, damit sie nicht abgeschoben werden. Wenn ich verreise, muss ich den Personalausweis vorlegen. Auf dem Flughafen in Leipzig hatte ihm mal jemand  das Portemonnaie geklaut - mit dem Ausweis drin. Jahre später werde er von Behörden immer noch danach gefragt. Alles werde genau gecheckt und das sei auch in Ordnung.

Er ist nicht der Meinung, dass Multikulti, so wie man das in der letzten Zeit gemacht habe, in Deutschland funktioniere. „Das ist einfach zu viel. Es muss alles ein bisschen passen.“ Fakt sei, die Muslime seien ein Kulturkreis für sich. Hier lebe man in einem christlichen Kulturkreis. „Dass die kompatibel sind, möchte ich bezweifeln. Ghettobildung und Parallelgesellschaften gibt es doch schon. Und zu sagen, das ist alles nicht wahr und  wir schaffen das  -  das kann nicht funktionieren.“ Stück für Stück - dazu stehe sicherlich auch jeder. „Auch ich.“ Er kenne auch ein paar Leute mit schwarzer Hautfarbe. „Denen gebe ich auch die Hand. Einer sagte, er arbeitet jetzt in Buna. Schön, sag ich.“ (mz)

Was die NPD angeht, zu der der AfD immer eine gewisse Nähe nachgesagt wird, sagt Mittelstädt, dass er mit solchen Leuten nichts zu tun haben wolle. Er habe nie mit solchen Leuten an einem Tisch gesessen - ob das DVU war oder NPD. „Ich bin sicherlich kein Linker, aber ich sehe mich in der Mitte der Gesellschaft als Konservativer.

und dazu stehe ich.“ Willi Mittelstädt ist der älteste Abgeordnete im neuen Landesparlament von Sachsen-Anhalt. Hätten es die Parteien 2011 nicht anders beschlossen (Alterspräsident ist jetzt das älteste und dienstälteste  Mitglied des Parlaments), wäre der Mann aus dem Saalekreis der Alterspräsident und hätte als solcher am Dienstag die Sitzung des Landtages eröffnet.

„Dem Parlament alles Gute für seine Arbeit wünschen - das hätte ich schon gerne gemacht“, lächelt der Mann, für den das Wort Rente gerade in sehr weite Ferne gerückt ist.  (mz)