DDR-Geschichte DDR-Geschichte : Warum kamen im August 1979 zwei Kubaner ums Leben?

Merseburg - Spurensuche. 37 Jahre nach einem sehr traurigen Ereignis in Merseburg ist das keine einfache Sache. MZ versucht es trotzdem und trifft einen Mann, der 1979 von Kuba nach Merseburg gekommen war, um hier eine Ausbildung zum Elektroinstallateur zu machen.
Er war nicht an der Schlägerei am 12. August am Strandkorb beteiligt, aber er kannte einen der beiden jungen Männer, die damals ums Leben gekommen waren. „Raúl kam wie ich aus Santa Clara. Das letzte Foto von ihm wurde damals auf dem Balkon unseres Zimmers in Merseburg gemacht“, erzählt der heute 61-Jährige der MZ.
Polizeiwagen an der Neumarkttbrücke
Er erinnert sich noch genau an diesen heißen Tag vor 37 Jahren, als das Unglück geschah. „Wir waren in der Stadt unterwegs und wollten zum Strandkorb. Wir waren vorher noch nie dort“, erzählt der Kubaner, der anonym bleiben möchte - nennen wir ihn einfach mal Alfredo. „Als wir zur Neumarktbrücke kamen, standen da zwei Polizeiwagen.“ Man habe sie nicht durchgelassen. „Unserem Dolmetscher sagte man, dass es eine Schlägerei geben habe und dass wir nach Hause gehen sollten.
Wir sollten auch in den nächsten Tagen abends möglichst nicht rausgehen.“ Sie seien also wieder in die Straßenbahn gestiegen und nach Süd zurück gefahren, wo sie im Hochhaus gewohnt haben. Was Alfredo zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, war, dass an diesem Tag zwei seiner Landsleute - auch Raúl - ums Leben gekommen waren. Später hätten Landsleute im Wohnheim erzählt, dass es eine Schlägerei gegeben habe, bei der die Deutschen in der Überzahl gewesen sein sollen. Die Kubaner sollen 15 bis 20 gewesen sein, habe er damals gehört. Am nächsten Tag erzählte jemand, dass Raúl und ein zweiter Kubaner nicht nach Hause gekommen seien.
Auslöser für die Schlägerei
„Ich weiß nicht, was da war, aber wenn ich heute so drüber nachdenke - Auslöser für die Schlägerei können eigentlich nur Sprachprobleme gewesen sein“, ist sich Alfredo beinahe sicher. „Wir waren im Juni 1979 in die DDR gekommen - vier Frauen und ungefähr 150 Männer. Wir waren also gerade mal zwei Monate hier, als das Unglück passierte. Zu der Zeit konnte noch niemand von uns besonders gut Deutsch. Wir konnten uns nicht so gut verständigen. Vielleicht hat damals jemand einfach etwas falsch verstanden, was dann die Schlägerei ausgelöst hat. Es wurde zwar jetzt in einem Fernsehbeitrag behauptet, dass sei Mord gewesen, aber das glaube ich nicht.“ Außerdem könne es sein, dass manche von denen, die ins Wasser gesprungen waren, gar nicht schwimmen konnten. „Das ist durchaus möglich.“
Raúl habe er schon 1978 auf Kuba kennengelernt. „Wir haben zusammen in der Landwirtschaft gearbeitet und uns auf die DDR vorbereitet“, erzählt Alfredo. „Er war ein ganz ruhiger Junge.“
Neuankömmlinge in der DDR
Als sie dann in die DDR kamen sei anfangs alles etwas ungewohnt gewesen. Damit sich die Neuankömmlinge schnell in der DDR zurechtfinden, hätten die Kubaner in den ersten sechs Monaten Deutsch-Intensivkurse erhalten. Die meisten Leute seien freundlich gewesen, andere wiederum zurückhaltend. Er habe sich nie bedroht gefühlt.
„Die Leute in meinem Bau - ich habe im Bau 216 in Leuna gearbeitet - waren sehr gut zu uns. Auch mein Meister war ganz nett.“ Nicht nur während der Arbeit, auch nach Feierabend habe es Kontakte gegeben. Man habe sich auch mal zum Biertrinken getroffen - zum Beispiel in der „Blutigen Axt“. „Das hieß, glaube ich, Café Geiseltal, aber es gab noch viel mehr Gaststätten, wo wir mit den deutschen Kollegen hingegangen sind.“ Die Deutschen hätten Obst und Gemüse aus ihren Gärten mitgebracht und den Gästen aus Kuba geschenkt.
Bockwurst und Gehacktesschnitten
An Geburtstagen habe es kleine Geschenke gegeben und man habe bei Bockwurst und Gehacktesschnitten zusammengesessen. Er habe sich in Merseburg sehr wohl gefühlt. Im Januar 1981 sei er für einen Urlaub nach Kuba gefahren. „Da habe ich auch Raúls Familie besucht und habe ihnen ein paar Dinge von ihm in einem kleinen Päckchen übergeben. Fotos zum Beispiel. Ob sie sich heute noch daran erinnern - ich weiß es nicht.“ Die Familie sei immer noch sehr traurig gewesen. „Sie wussten nur von einem Unfall und dass jemand ins Wasser gesprungen sei“, erzählt Alberto.
Der Kubaner hatte sein Ausbildung in der DDR 1984 beendet und war nach Kuba zurückgekehrt. Dort hielt ihn aber eigentlich nichts mehr, denn er hatte sich in der DDR verliebt. Im März 1989 kehrte er deshalb nach Merseburg zurück, denn damals hatte er mit seiner deutschen Freundin bereits ein Kind. Die Liebe hat nicht gehalten, Freunde sind sie aber heute immer noch. (mz)
