Barrierefreiheit im Nahverkehr Barrierefreiheit im Nahverkehr: Einstieg wird in Merseburg zur Hürde

Merseburg - Die Szene spiegelt den ganz normalen Alltag wider: Die Straßenbahn passiert die Bahnhofstraße, um kurz darauf an der Haltestelle Merseburg/Zentrum zum Stehen zu kommen. Fahrgäste steigen zügig ein und aus. Das alles läuft völlig unproblematisch. Nur eine kleine Gruppe kämpft ihren eigenen Kampf in der beschriebenen Situation.
Für die vier Rollstuhlfahrer bedeuten die wenigen Zentimeter, die der Niederflurwagen die Haltestellenkante überragt, Welten. Eine ältere Dame in einem elektrischen Rollstuhl etwa hat keine Chance, den Einstieg in die Bahn aus eigener Kraft zu schaffen. Ein junger Mann eilt ihr schließlich zu Hilfe. Und selbst er hat Mühe mit dem schweren Elektrorollstuhl.
Oft fremde Hilfe nötig
„Ohne Hilfe schaffen es die meisten Rollstuhlfahrer hier nicht in die Bahn“, sagt Angela Fischer. Sie gehört zum Verein zur sozialen und beruflichen Integration in Merseburg. Mit der Gruppe körperlich behinderter Menschen unternimmt sie eine Testfahrt.
Einige Haltestellen in Merseburg weisen noch nicht die Barrierefreiheit auf, die sich gehbehinderte Menschen wünschen. Die Havag teilt mit, dass sie die Absicht habe, die betreffenden Haltepunkte entlang der Straßenbahnlinie 5 entsprechend auszubauen. Ab Leuna bis nach Bad Dürrenberg ist das nach Angaben des Unternehmens bereits passiert. Und auch die Haltestellen in Merseburg „Am Stadtpark“, „Slawenweg“, „Carl-von-Basedow-Klinikum“ und „Lindenstraße“ seien seit Juli dieses Jahres allesamt barrierefrei. Umfangreiche Bauarbeiten waren dem vorausgegangen.
Die Havag habe außerdem ein Programm initiiert, durch das sämtliche Straßenbahnen in den kommenden Jahren mit sogenannten Spaltbrücken ausgerüstet werden. Die Vorrichtung soll dazu dienen, Höhenunterschiede zwischen Bahn und Haltestelle auszugleichen. Dadurch sollen Probleme wie die an der Haltestelle Merseburg/Zentrum behoben werden. Rollstuhlfahrer, Kinderwagen sowie auch Menschen mit einem Rollator sollen dann ohne große Mühe einsteigen können. Von den insgesamt 266 Haltestellen der Havag seien bereits 244 niederflurgerecht ausgebaut.
Auf der Strecke von Merseburg nach Leuna erkunden sie, wie barrierefrei die einzelnen Haltestellen tatsächlich sind. „Denn beispielsweise die Haltestelle Merseburg/Zentrum ist laut einem Plan der Havag als eingeschränkt barrierefrei deklariert“, sagt Fischer. Laut besagtem Plan definiert die Havag eingeschränkt barrierefrei so, dass an den entsprechenden Haltestellen der Einstieg ebenerdig möglich ist. Wenn damit gemeint sein soll, dass an den beschriebenen Stationen kein Höhenunterschied zwischen Haltestellenbereich und Straßenbahn überwunden werden muss, dann ist das offenbar zumindest im Bereich Merseburg/Zentrum nicht der Fall.
„Für Rollstuhlfahrer gibt es in einigen Straßenbahnen spezielle Rampen“, nennt Fischer eine Lösung für das Problem. Mit Hilfe des Straßenbahnfahrers könne die ausgeklappt werden, so dass Rollstuhlfahrer in die Bahn gelangen. Ein Symbol an den Türen der Straßenbahnen weise auf die Möglichkeit hin. „Allerdings ist nicht jede Bahn mit so einer Rampe ausgestattet“, sagt Fischer.
Reflektionen auf Ticketautomaten
Ein weiteres Problem, das sie mit ihrer Gruppe während der Testfahrt ausgemacht hat, ist die Beschaffenheit der Fahrkartenautomaten. Die Bedienung funktioniert über einen Touchscreen. „Bei bestimmten Lichtverhältnissen ist das Bedienfeld aus der Perspektive eines Rollstuhlfahrers schwer zu erkennen“, sagt Fischer dazu. Das Licht werde dann zu stark reflektiert. Das habe auch schon dazu geführt, dass die falschen Fahrkarten gekauft wurden. In solchen Fällen sei die Havag kulant gewesen.
Ähnliche Probleme gebe es nicht nur bei öffentlichen Verkehrsmitteln. „Mit Problemen haben Rollstuhlfahrer in vielen Bereichen immer noch zu kämpfen“, betont Fischer und nennt als Beispiel den Weg zum Dom in Merseburg. Ein Lichtblick gab es bei der Testfahrt auch: „Auf der Rückfahrt hatte die Bahn auch ein Rampe. Der Fahrer war freundlich und hat ohne Umstände geholfen“, betont Fischer. (mz)
