Auszählung dauerte zwei Tage Auszählung dauerte zwei Tage: Die Qual nach der Wahl - eine Ursachensuche

Merseburg - Konzentriert zählt das halbe Dutzend Wahlhelfer im Alten Rathaus die gelben Blätter, die in dicken Bündeln auf dem Tisch liegen. Es sind die Stimmzettel der Merseburger Stadtratswahl. Eine Frau notiert die Zahlen, die Wahlvorstand Bellay Gatzlaff ansagt. Unter den Augen von AfD-Spitzenkandidat Daniel Wald wird geprüft und nachgerechnet.
Die Szene stammt nicht vom Sonntagabend, sondern vom Dienstagnachmittag. Zwei Mal hatte Merseburgs Wahlleiter Folkmar Bothe da schon das Zimmer des Briefwahllokals versiegelt und wieder freigegeben, weil die erschöpften Helfer pausieren mussten.
Endergebnis in Merseburg 50 Stunden nach Schließung der Wahllokale
Am Ende sollte es 50 Stunden nach Schließung der Wahllokale dauern, bis das Endergebnis in Merseburg feststand. Die Kreisstadt ist damit zwar ein Extremfall, doch fast überall im Saalekreis zog sich die Auswertung der Kommunalwahl ungewöhnlich in die Länge. Vielerorts trudelten die Ergebnisse für den Stadt- respektive Gemeinderat erst im Laufe des Montags ein. Warum?
Ein Grund ist natürlich die Fülle an Wahlen: Die Wahlvorstände zählten erst Europa, dann Kreis, dann Kommune aus. Gerade Kreistags- und Stadtratswahlen waren dabei mit ihren drei Kreuzen, die sich beliebig über den Stimmzettel verteilen lassen, schwierig auszuzählen. „Irgendwann erreicht man eine mentale Grenze“, erklärte Bothe.
Wahlbeteiligung ist gestiegen – für die Kreistagswahl von 44,9 Prozent 2014 auf 56,4
Ein zweiter Grund ist eigentlich ein erfreulicher: Die Wahlbeteiligung ist gestiegen – für die Kreistagswahl von 44,9 Prozent 2014 auf 56,4. „Auf solche Massen sind wir nicht mehr eingestellt“, erklärte Kreiswahlleiter Ronald Schönbrodt. Vor allem, weil diese „Massen“ nicht mehr zwangsläufig ins Wahllokal kommen, sondern postalisch abstimmen. In Bad Lauchstädt etwa kamen ein Fünftel der Stimmen von Briefwählern. Auch Bellay Gatzlaff sagte: „Es lag an der Vielzahl der Briefwähler.“ Man brauche beim nächsten Mal mehr Helfer und statt drei vielleicht vier oder fünf Briefwahllokale.
Sein Wahlleiter gibt sich angesichts dieser Forderung jedoch reserviert. Die Anzahl der Wahllokale ergebe sich aus der Entwicklung der Wahlberechtigten. Bothe führt dafür noch einen anderen Grund für die Auszählungsprobleme ins Feld: „Viele erfahrene Wahlhelfer waren nicht mehr verfügbar.“
Großteil der aktuellen Wahlhelfer kam aus der eigenen Verwaltung
Ein Großteil der aktuellen Wahlhelfer kam aus der eigenen Verwaltung. Viele seien erstmalig herangezogen wurden, brächten also wenig Erfahrung mit, erklärte Bothe. Auch sein Schkopauer Pendant Wolfgang Schmidt hält mehr Personal und Wahllokale als Ausweg aus dem Zählmarathon für schwierig, wegen der Kosten und weil man ohnehin schon schwer ehrenamtliche Wahlhelfer finde.
Bothe hat derweil eine andere Lösung im Blick: „Wir bauen darauf, dass auch im Wahlrecht irgendwann die elektronischen Medien die Zukunft sind – auch bei der Stimmabgabe. Das würde die organisatorische Arbeit enorm vereinfachen.“ Der Wahlleiter ist überzeugt, dass man sich dieser Entwicklung nicht verschließen kann. Die elektronische Stimmabgabe könnten die Kommunen natürlich nicht im Alleingang einführen. Das müsste der Gesetzgeber mit dem Wahlrecht tun.
Bei der Bundestagswahl 2005 kamen Wahlcomputer testweise zum Einsatz
Doch da gibt es Probleme: Bei der Bundestagswahl 2005 kamen Wahlcomputer testweise zum Einsatz. Vier Jahre später untersagte dies das Bundesverfassungsgericht: Die elektronische Stimmabgabe würde dem Grundsatz der Öffentlichkeit widersprechen.
Die Richter sahen etwa die Gefahr, dass sich die Technik manipulieren lasse, der Wähler bei der Stimmabgabe gar nicht mitkriegt, dass das System etwas anderes verbucht, als er wollte. Die Geschäftsstelle der Landeswahlleitung hält die elektronische Stimmabgabe deshalb für „problembehaftet und derzeit rechtlich nicht realisierungsfähig.“ Gut möglich also, dass auch in fünf Jahren das Zählen kein Ende nimmt. (mz)