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Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano: "Natürlich schaffen wir das"

Von Undine Freyberg 30.10.2015, 08:06
Esther Bejarano war diese Woche zu Gast in Merseburg.
Esther Bejarano war diese Woche zu Gast in Merseburg. Peter Wölk Lizenz

Merseburg - Schaffen wir das? „Deutschland ist so ein reiches Land. Natürlich schaffen wir das“, ist Esther Bejarano einer Meinung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Wir müssen die Flüchtlinge unterstützen. Und wenn die Menschen das wollen, dann geht das auch. Es gibt ja so viele Freiwillige, die helfen“, betont die 90-jährige Jüdin, die die KZ Auschwitz und Ravensbrück überlebt hat. Dass allerdings ausgerechnet Menschen in der ehemaligen DDR gegen Flüchtlinge protestieren, könne sie überhaupt nicht verstehen. Sie sollten es doch besser wissen, sagte sie der MZ. „Meine Schwester Ruth war damals 1942 mit ihrem Mann aus Holland vor den Nazis geflüchtet. Sie wollten in die Schweiz, doch die haben sie nach Deutschland geschickt. Beide wurden erschossen.“ Darum sage sie, Flüchtlinge müssten aufgenommen werden.

Esther Bejarano war für zwei Veranstaltungen im Merseburger Domgymnasium zu Gast. Bei der Ankunft war der Schreck allerdings groß. „Wir haben meinen Koffer in Hamburg auf der Straße stehen lassen. Meine Nachbarn haben gerade angerufen. Da sind alle meine Sachen drin, meine Sachen für die Bühne, das Material für die Lesung“, ist Esther Bejarano ein wenig verzweifelt.

„Die Jugendlichen sind heute viel aufgeschlossener.“

„Ach was - ich habe schon ganz andere Sachen überstanden. Da schaffe ich das auch “, lächelt sie. Und so gab es in Merseburg für sie eine Premiere: Zum ersten Mal las sie nicht aus ihren Unterlagen auf Papier, sondern vom I-Pad ihres Sohnes Joram.

Seit 20 Jahren gehe sie mittlerweile in Schulen, um über den Holocaust zu erzählen. „Wenn irgendeine Schule mich haben will, kann ich doch nicht nein sagen. Das ist meine Verantwortung. Es sind doch nur noch so wenige von uns übrig.“ Die Schüler seien sehr interessiert, früher sei das anders gewesen. „Die Jugendlichen sind heute viel aufgeschlossener.“

Ihre eigenen Kinder hätten von ihr gar nichts erfahren. „Weil ich nicht darüber sprechen konnte.“ Ihr Mann habe sich alles angelesen, auch ihm habe sie zunächst nichts erzählt.

„Ich habe dann meine Geschichte aufgeschrieben, und daraus haben zwei Lehrer eine Broschüre für die Schulen gemacht. Die hieß ’Man nannte mich Krümel’, weil ich doch so klein war“, erzählt Esther Bejarano, die die Vorsitzende des deutschen Auschwitz-Komitees ist.

Mit dem Rappen angefangen

Irgendwann habe sie dann angefangen, von ihrem Schicksal zu erzählen. Das habe sie befreit. „Das war wie meine innere Heilung.“ Dann habe sie sich mit ihrem Sohn Joram, mit dem sie zunächst in einer eigenen Band zusammen gesungen hatte, mit den Rappern von Microphone Mafia zusammengetan. „Und mit dieser Musik haben wir die jungen Leute erreicht.“

Ihre gemeinsamen Auftritte sind stark, laut und fröhlich - so wie im Merseburger Domgymnasium. Wenn alle Bandmitglieder dabei sind, stehen auf der Bühne nicht nur drei Generationen, sondern auch drei Religionen. „Wir sind Juden, Moslems und Christen, und wir wollen Vorbild sein für Leute, die immer noch denken, sie könnten mit anderen Kulturen nichts anfangen.“ Das sei in der aktuellen Zeit sehr wichtig. „All die, die einen guten Grund haben, zu flüchten, die muss man aufnehmen - politisch Verfolgte, Minderheiten wie die Sinti und Roma, die immer noch in vielen Ländern verfolgt werden.“

In Saarlouis geboren, wurde Esther Bejarano mit 18 Jahren in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Sie bekam die Haare geschoren und eine Nummer in den linken Unterarm tätowiert. Ab da war sie die Nummer 41 948. Da sie Klavier spielen konnte und für das Mädchenorchester eine Akkordeonspielerin gesucht wurde, behauptete sie einfach, dass sie dieses Instrument spielen könne. „Ich hatte nie zuvor Akkordeon gespielt, aber es war mir gelungen, bei ’Du hast Glück bei den Frau’n, Bel Ami’ die richtigen Akkorde zu greifen.“

Konzert im Domgymnasium

Die Mädchen vom Orchester mussten aufspielen, wenn die Gefangenen morgens das Lager verließen, um zu arbeiten, und abends wenn sie zurückkamen. „Die Arbeit war unmenschlich. Ich musste das ja anfangs auch machen, schwere Steine schleppen. Ich wäre daran zugrunde gegangen.“

Dann plötzlich gab es einen Erlass, dass wer arische Wurzeln hat, nicht in einem Vernichtungslager sein darf. Und da sie eine christliche Großmutter hatte, kam sie in das Frauenstraflager Ravensbrück. Auf einem der Todesmärsche von KZ-Häftlingen gelang ihr die Flucht. In Lübz erlebte sie die Befreiung durch die Rote Armee.

„Ich bin sehr beeindruckt von dem, was sie uns erzählt“, sagte eine Schülerin nach dem Rap-Konzert im Domgymnasium im persönlichen Gespräch mit Esther Bejarano. „Ich bin dankbar, dass wir sie kennenlernen durften.“