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Altes Handwerk Altes Handwerk: Bürsten viel bestaunt und wenig gekauft

Von Elke Jäger 08.03.2002, 14:35

Merseburg/MZ. - Es geht nicht mehr. Langsam lässt der Mann seinen Blick durch den Laden schweifen. Die eingepassten dunklen Holzregale, die mehr sechs Jahrzehnte an ihrem Platz stehen, die langgestreckte Verkaufstheke. Und alles vollgestellt und -gehängt mit Bürsten, Besen, Pinseln in den verschiedensten Formen und Größen, mit Rührlöffeln, Holzschuhen, Eimerchen, Flechtkörben und -behältnissen. "Oh, wie schön" staunen die Leute, die zum erstenmal durch die Tür treten. "Wie früher."

Der Eindruck täuscht nicht. Fast alles, was Matthes, der Bürstenmacher, feilbietet in seinem Laden in der Halleschen Straße in Merseburg, stammt aus handwerklicher Produktion. Das meiste aus der eigenen. Hergestellt nach traditioneller Art und Weise, solide und haltbar. Das hat seinen Preis. Darüber runzeln manche die Stirn, gehen wieder ohne etwas gekauft zu haben. Ohnehin sind es immer weniger, die überhaupt kommen. Manchmal hat er abends die Tür zugesperrt, ohne nur eine Bürste verkauft zu haben.

So etwas hält keiner länger durch. Michael Matthes, der mit großen Plänen vor dreieinhalb Jahren nach Merseburg kam, schließt seinen Laden. Das bisschen Umsatz bringt kaum die Miete ein. Nun packt er. Alles, auch die historische Einrichtung, geht mit nach Bernburg. Dort wohnt er, dort geht er weiter seinem Handwerk nach und dort will er nun auch die Schauwerkstatt eröffnen, die eigentlich in Merseburg geplant war. Im Sommer zieht er wie alle Jahre übers Land, schlägt auf Märkten und Festen seinen Stand auf. Nein, ans Aufgeben denkt Matthes nicht. Aber ihm sind ein paar Träume zerplatzt.

Werkzeugmacher hat der heute 45-Jährige gelernt, dann Operngesang studiert. Während seiner Bühnenzeit lernte er Kurt Steinbrück kennen, den bekannten Naumburger Bürstenmacher und erlag der Faszination des alten Handwerks. Steinbrück nahm ihn in die Lehre und brachte ihm alles bei, was er selbst konnte. Vom verehrten Meister übernahm er auch die äußeren Kennzeichen, Lederschürze und Zylinder. Eine typische Zunftkleidung trugen die Bürstenmacher früher nicht. Matthes entschied sich für Pluderhemd, Schürze und eben den Zylinder - mit rotem Band. So steht er hinterm Ladentisch, im Geschäft und auf den Märkten, und so schlägt er sich durchs Leben. Eigentlich müsste der Mann unter Denkmalschutz gestellt werden.

Auf sein Handwerk lässt er bis heute nichts kommen. Einen regulären Abschluss, so ein Dokument mit Goldprägung und Stempel, hat er nicht. Dafür ein Zertifikat vom alten Steinbrück. Und die Gewissheit, überlieferte Techniken des Bürstenmacherhandwerks zu beherrschen, die am Aussterben sind. Immer noch schaut er sich Tricks und Handgriffe von bejahrten Meistern ab, spürt sie auf in Ost und West und lernt ständig dazu.

Was sich der Kunde auch wünscht an Spezialanfertigungen, Matthes musste bislang nie passen. Für den freien Verkauf fertigt er kleine Stückzahlen, maximal ein halbes oder ein ganzes Dutzend. Buchenholz verarbeitet er viel, aber auch Esche, manchmal Birnbaum und Kirche. Und natürlich weiß er, wie das gute alte Roßhaar zu behandeln ist und wofür sich welche Bürsten am besten eignen. "Wer wiederkommt zu mir", spricht er stolz, "war immer zufrieden und hat gemeint, dass die Ware ihren Preis wert war."

Nur reicht ein gutes Dutzend Stammkunden eben nicht, um das Geschäft am Laufen zu halten. Touristen, die in der Regel stets etwas kaufen, sind selten gekommen, manche Besucher aus Bayern und Hessen zwei- und dreimal. Am 21. März ist Schluss in Merseburg. Bis dahin hat der Laden jeweils mittwochs und donnerstags von 14.30-18 Uhr geöffnet.