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Alle Hände voll zu tun Alle Hände voll zu tun: Was ein Abschleppfahrer bei seiner Arbeit alles erlebt

Von Michael Bertram 13.07.2018, 04:55
Nachdem in Schafstädt Ende Mai ein Sattelzug in ein Haus gekracht war, kam das Unternehmen ebenfalls zum Einsatz, um den eingeklemmten Fahrer zu befreien.
Nachdem in Schafstädt Ende Mai ein Sattelzug in ein Haus gekracht war, kam das Unternehmen ebenfalls zum Einsatz, um den eingeklemmten Fahrer zu befreien. Peter Wölk

Merseburg/Holleben - „Ich war mit der Bundeswehr im Auslandseinsatz. Ich habe Schlimmes gesehen“, sagt André Dallmann. Aber auch in Deutschland ist der groß gewachsene Mann Zerstörung gewöhnt. Selbst mit Verletzten und Toten wird er konfrontiert. Denn als Fahrer eines Abschleppers gehört auch menschliches Leid zum traurigen Alltag.

Erst Ende Mai hatte Dallmann einen Auftrag erhalten, der ihm so schnell nicht aus dem Kopf gehen wird. Ein Lastwagen war in Schafstädt von der Straße abgekommen und in ein Wohnhaus gekracht. Die Feuerwehr konnte den eingeklemmten und schwer verletzten Mann mit eigener Technik nicht befreien - und rief Dallmanns Firma, das Abschleppunternehmen Misselwitz, um Hilfe.

„Die Polizei rief mich an und erklärte kurz, was los ist“, erinnert sich Firmenchef Heiko Misselwitz an jenen Tag im Mai. „Man bot sogar an, unsere Leute mit Blaulicht abzuholen und an den Einsatzort zu geleiten, damit es schnell geht.“ Doch das Unternehmen steht ohnehin stets in den Startlöchern.

Abschleppunternehmen rückt rund 3.000 Mal pro Jahr aus

Rund 3.000 Mal pro Jahr rückt das Unternehmen, das in Halle, Holleben, Merseburg, Weißenfels und Naumburg Standorte besitzt, aus. Seit 2004 gehört der Lkw-Bergespezialist Swientek & Gläser aus Merseburg zum Unternehmen. Misselwitz hatte die Firma damals übernommen. Auch die Ölwehr Sachsen-Anhalt hat er gegründet, um das Portfolio zu erweitern. 25 Mitarbeiter beschäftigt Misselwitz und die Arbeit wird nicht weniger. „Gucken Sie sich doch an, was auf den Autobahnen los ist“, sagt er.

Nachdem die Feuerwehr in Schafstädt nicht weiterkam, sprangen Dallmann und dessen Kollege Jürgen Trzinka in Weißenfels in das Führerhaus ihres Fahrzeugs, das mit großen Zahlen aufwarten kann: 460 PS und 20 Tonnen Eigengewicht bringt der bullige Abschlepper mit.

„Der Bergearm hinten kann 30 Tonnen heben, die Winden jeweils 20 Tonnen“, erklärt Dallmann. Am Unfallort eingetroffen, ließen sich die Abschleppprofis kurz die Lage erklären und handelten dann schnell. Da die Zugmaschine zerstört und so nicht mehr funktionsfähig war, lösten sie die Bremsen des Sattelzugs manuell. Zentimeter für Zentimeter zogen sie den Lastwagen dann aus dem schwer beschädigten Wohnhaus. Erst dann konnte der Fahrer ins Krankenhaus gebracht werden.

Nicht immer läuft alles so reibungslos: „Eines der größten Probleme ist, dass auf Autobahnen im Stau keine Rettungsgasse gebildet wird“, sagt Dallmann. „Die Leute scheinen einfach nicht zu kapieren, dass sie ohne uns nie weiterkommen werden.“ Dallmann berichtet von Schaulustigen und Wartenden, die die Autobahn blockieren. Regelmäßig sehe er Stinkefinger, höre Beschimpfungen, weil sich die Abschlepper zwischen den Fahrzeugen zur Unfallstelle durchdrängeln. Der frühere Bundeswehr-Soldat versucht es gelassen zu nehmen.

Dallmann auf der A9 von Fahrzeug erfasst und in Straßengraben geschleudert

Erst seit gut fünf Jahren ist er für den Abschleppdienst im Einsatz. „Ich kam vom Bund und stand erstmal ohne Job da“, erzählt der gelernte Bau- und Möbeltischler, der immer eine Beschäftigung braucht. Kurzzeitig fuhr er Taxi, dann entdeckte er seinen aktuellen Arbeitgeber. Technisches Verständnis bringt er von seiner Tätigkeit als Schlosser bei der Bundeswehr mit.

Dass die Einsätze auch in zivil und in Deutschland gefährlich sein können, zeigt sich regelmäßig. Als Dallmann auf der Autobahn 9 ein liegengebliebenes Fahrzeug bergen wollte, wurden er und der Kunde von einem Fahrzeug erfasst und in den Straßengraben geschleudert. Und auch der letzte Einsatz in Schafstädt ging an Dallmann nicht spurlos vorüber: Er stolperte über auf der Straße liegendes Material und stürzte schwer. „Es hat die Bänder erwischt“, sagt er und zeigt auf sein eingeschnürtes Knie. (mz)