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Stasi-Vergangenheit Stasi-Vergangenheit: Bauingenieur soll Kollegen denunziert haben

Von Claus Blumstengel 22.07.2014, 09:28
In dieser Verpflichtungserklärung vom März 1981 versichert Ronald Maaß, über seine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit Stillschweigen zu bewahren.
In dieser Verpflichtungserklärung vom März 1981 versichert Ronald Maaß, über seine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit Stillschweigen zu bewahren. QUELLE: BSTU, AUSSENSTELLE HALLE Lizenz

Halle (Saale)/Köthen/MZ - Der Lada, der an jenem Märztag des Jahres 1981 so lange vor dem Parkplatz der Unterkunftsabteilung der NVA im Halleschen Robert-Franz-Ring stand, ohne in eine Parklücke zu fahren, war das Zeichen, das nur ein Mitarbeiter der Entwurfsgruppe dort kannte: Er musste seinen Verbindungsmann anrufen.

Apparat 303. Das ist nebenan, doch einfach hingehen kann er nicht. Der Verbindungsmann ist NVA-Abwehroffizier und jeder in der Abteilung weiß, dass der für die Stasi arbeitet. Das Telefonat dann ist kurz: Heute, 16 Uhr, vereinbarter Ort.

Kontakt schon im Studium

Der Mitarbeiter ist Bauingenieur. Schon ein Jahr zuvor - da studierte er noch an der Ingenieurhochschule Cottbus - hatte das Ministerium für Staatssicherheit bei einem Bewerbungsgespräch am dortigen Standort der Nationalen Volksarmee (NVA) Kontakt zu ihm gesucht. Der Student „brachte zum Ausdruck, dass er immer gewartet habe auf ein Ansprechen seitens des MfS“, schrieb der „Operative Mitarbeiter“ später. Doch aus gesundheitlichen Gründen konnte der angehende Ingenieur nicht hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter werden, heißt es in seiner Akte. Der Stasi-Mann hatte aber eine Idee: Der Student könne doch trotzdem „unser Organ unterstützen“ und „Hinweise zu kriminellen Handlungen seiner Kommilitonen“ geben. Der Student ging darauf ein und erstattete „operativ interessante“ Berichte, wie es in der Stasi-Akte heißt.

Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS) waren inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.

Stasi-Minister Erich Mielke hat die GMS 1968 per Richtlinie zusätzlich zu den Informellen Mitarbeitern (IM) eingeführt. Sie waren meist in leitenden Stellungen, als Parteifunktionäre oder in Führungsgremien des Gewerkschaftsbundes tätig.

Laut Stasi-Unterlagenbehörde ist es weniger ausschlaggebend, ob jemand IM oder GMS war. So hätten Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS) den bespitzelten Opfern mitunter einen größeren Schaden zugefügt als mancher IM.

35 von 54 Mitglieder des Kreistages von Anhalt-Bitterfeld haben 2011 von einem Gremium überprüfen lassen, ob sie mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet haben. Zehn von elf Mitgliedern der Linksfraktion, vier von 16 der CDU, drei von elf der SPD und zwei von vier der Wählerliste Sport verzichteten darauf.

Der Vorsitzende des Kreistages erhielt über die Volksvertreter, die einen Antrag gestellt hatten, von der Stasi-Unterlagenbehörde entsprechende Einschätzungen. Bei niemandem wurde eine Zusammenarbeit festgestellt.

Wie Ronald Maaß der MZ mitteilte, sei er schon mehrfach auf eine Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit überprüft und für würdig befunden worden, weiterhin politisch zu arbeiten.

Selbst wenn einem Abgeordneten Stasi-Kontakte nachgewiesen werden, hat das nicht zwangsläufig den Verlust des Mandats zur Folge. Über einen Rücktritt entscheidet jeder selbst.

Im September 1983 beendete die Staatssicherheit die Zusammenarbeit mit „Rolf Kramer“. „Die Ursachen liegen darin begründet, dass der GMS (Gesellschaftlicher Mitarbeiter - d. Red.) aufgrund seiner Dienststellung und seines überbetont positiven Auftretens in der Dienststelle keine Informationen mehr erarbeiten konnte“, lautete die Begründung.

Ronald Maaß war und ist seit der Wende in vielen Ehrenämtern tätig, unter anderem als Präsident des Cöthener Fußballclubs Germania 03.

Bis Juni 2014 saß er für den Landkreis im Aufsichtsrat der Köthen Kultur und Marketing GmbH, ist im Hauptausschuss sowie im Bau- und Umweltausschuss des Stadtrates, war Mitglied im Kreis- und Finanzausschuss, Vorsitzender des Vergabeausschusses des Kreistages, Mitglied im Betriebsausschuss der Kreisstraßenmeisterei und im Verwaltungsrat der Kommunalen Beschäftigungsagentur (KomBa).

Letztere Funktion rief anfangs einige Kritiker auf den Plan. Die KomBa vergibt unter anderem mit hohen finanziellen Zuwendungen verbundene Fördermaßnahmen an Beschäftigungsgesellschaften. Und in eben einer solchen, der Köthener Beschäftigungs- und Arbeitsförderungsgesellschaft (Köbeg) ist Maaß seit 2005 tätig. Der Einwurf, das wäre doch ein Interessenkonflikt, weil Maaß im Verwaltungsrat der KomBA quasi an der Quelle säße, wurde vom Landesverwaltungsamt abgebügelt. Das Sozialgesetzbuch III sehe eine „Interessenkollision“ als Grund für eine Abberufung aus dem Verwaltungsrat nicht vor, hieß es in einer Antwort an die MZ. (CB)

Für seinen Studienabschluss im Juli 1980 hatte „die Firma“, wie das MfS auch genannt wurde, alles vorbereitet: Die Bewerbung um eine Stelle als Zivilbeschäftigter in der NVA-Entwurfsgruppe Halle, die Militärbauten projektierte, war natürlich erfolgreich. Dort sei noch kein Inoffizieller Mitarbeiter tätig, lautete die Begründung der zuständigen Stasi-Abteilung. Der frischgebackene Bauingenieur „konnte zwar nur gute bis befriedigende Ergebnisse im Studium erzielen“, sei aber „sehr redselig und kann zu anderen Personen schnell Kontakt herstellen“, wurden seine Vorzüge herausgestellt.

Sieben Monate gespitzelt

Die Akte enthält über sieben Monate Berichte des Bauingenieurs über die „negative Einstellung“ seiner Kollegen in der Entwurfsgruppe, die er als „Schwerpunkt der politisch ideologischen Diversion des Gegners“ bezeichnete. Dann hielt sein Führungsoffizier die Zeit für gekommen. Am 24. März 1981 bestellte er den Bauingenieur auf den Bahnhof nach Köthen. Mit dem Auto ging es Richtung Lausigk, wo der Bauingenieur wohnte. Auf einem Feldweg stoppte der Wagen. Der Mann von der Stasi-Hauptabteilung I - Militärbauwesen - reichte seinem Informanten einen Stift und einen karierten Zettel und diktierte: „Hiermit verpflichte ich, Ronald Maaß ..., mich, das MfS in seiner Arbeit zu unterstützen ...“ Der Bauingenieur unterschrieb und war von nun an der GMS (Gesellschaftliche Mitarbeiter der Staatssicherheit) Rolf Kramer. Aufgabe: „allseitige Aufklärung der Persönlichkeit der M., P. und D.“ Insbesondere sollte Kramer seine Kollegen „zu Meinungsäußerungen provozieren und diese dokumentieren“, steht in der Stasi-Akte. Und auch der nächste Treff in Halle wurde festgelegt: „14.04. 81, 16 Uhr, am Postamt (Kaffee König).“

Umgehend begann GMS Kramer mit der Arbeit: Die Lebensgefährtin seines Kollegen D. (alle Namen geändert) habe Westkontakte nach Belgien, weshalb er auch „gewisse Nahrungs- und Genussmittel aus dem NSA“ (nichtsozialistisches Ausland) habe. Bei einer Gartenfeier von D. habe man Genossin K. ständig Alkohol eingeflößt und sie sei zum Schluss nackt herumgelaufen. Hinter den Bewerbungen zweier Kollegen um eine Weiterbildung in Cottbus stecke nur finanzielles Interesse, seine Kollegen D. und P. und sein Chef M. hätten eine „antisowjetische Haltung“, würden „Repräsentanten“ der DDR verleumden, im Dienst Westsender hören und stünden in „Opposition zur Entwicklung in der DDR“.

Mehrmals monatlich lieferte „Rolf Kramer“ laut Akte solche Berichte - mal handschriftlich, mal mündlich, mal soll er sie auf Band gesprochen haben. Meist jedoch erstattete Kramer seine Berichte im Pkw, in den er mal an einer Straßenbahnhaltestelle, mal an der Post in der Robert-Franz-Straße in Halle, mal am Theater zustieg. Aber auch in einer konspirativen Wohnung „Günter“ fanden solche Treffen statt.

Schneller Aufstieg

Gleich in seinem ersten Einsatzjahr für „Horch, Guck und Greif“ stieg Kramer „aufgrund seiner guten fachlichen Leistungen“ zum Leiter der Unterabteilung Entwurfsgruppe auf. Geld für seine Spitzeldienste bekam er laut Akte nicht. Aber im zweiten Jahr bestätigt die Stasi-Bezirksverwaltung Kramers Auszeichnungsreise im Juni 1982 nach Jugoslawien. Dabei soll er erkunden, ob Mitglieder seiner Reisegruppe Fluchtabsichten hegen, ob sie Kontakt zu Bürgern aus kapitalistischen Staaten oder westlichen Botschaften aufnehmen und er soll im Ernstfall „selbstständig eingreifen“.

Karriere als Kommunalpolitiker

Nach der Wende arbeitet der einstige GMS „Rolf Kramer“ alias Ronald Maaß als Bauingenieur in einem Unternehmen und geht in die Kommunalpolitik. 1990 kandidiert er erfolgreich für den Kreistag des damaligen Kreises Köthen sowie für den Gemeinderat von Scheuder. Seit 1994 sitzt er auch im Köthener Stadtrat. Es folgen weitere Kandidaturen: 2006 und 2011 für den Landtag und 2014 erneut für den Kreistag, in dem er bis zur Kommunalwahl 2014 Fraktionsvorsitzender der Linken war.

2007 wollte Maaß in Anhalt-Bitterfeld Landrat werden und kam mit 45,6 Prozent sogar in die Stichwahl, bei der er gegen den Amtsinhaber Uwe Schulze (CDU) unterlag.

„Nicht als IM gearbeitet“

„Ich habe nicht als IM gearbeitet“, versicherte der Bauingenieur öffentlich auf einer Wahlveranstaltung 2005 und er bleibt auch heute dabei: „Es gab keine informelle Mitarbeit“, beteuert er gegenüber der MZ. Als leitender Zivilbeschäftigter der NVA habe er zwangsläufig dienstliche Kontakte zur Staatssicherheit gehabt, in Form von Belehrungen, wobei er auch einiges unterschrieben habe, aber „es war keine Verpflichtungserklärung im eigentlichen Sinne“, behauptete Maaß und fügte hinzu: „Ich habe keinerlei handschriftliche Berichte geliefert.“

Allerdings habe er nach der Wende erfahren, dass er ohne sein Wissen von der Stasi als „GMS Rolf Kramer“ geführt wurde, dass es Berichte über Gespräche mit ihm und Tonbandmitschnitte gibt. Seinen Führungsoffizier habe er vom Studium in Cottbus gekannt. Die Gespräche mit ihm seien rein freundschaftlicher Natur gewesen. „Vorladungen hat es nie gegeben“, stellt Maaß klar. Sporadische Kontakte zum einstigen Führungsoffizier habe er sogar noch bis 1991 gehabt.

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Die Kontakte zur Stasi habe er unaufgefordert bekannt gegeben, als er sich 1990 zur Wahl stellte. „Es hat Überprüfungen gegeben“, berichtet Stadtrat Maaß und teilt mit, ihm habe man nicht empfohlen, sein Mandat niederzulegen.

Angesprochen auf seine Stasi-Kontakte meint Ronald Maaß: „Ich bin mir sicher, dass ich keinem geschadet habe.“ Das sieht sein ehemaliger Kollege D. (Name geändert) anders. „Die Arbeitsverträge von uns Zivilangestellten der NVA waren in der Regel auf fünf Jahre befristet“, erklärte D. gegenüber der MZ. Seiner Akte habe er entnommen, dass sein Chef Ronald Maaß die Stasi über seine Westkontakte informiert hat. „Deshalb haben sie meinen Arbeitsvertrag nicht verlängert“, berichtete D. Er sei daraufhin drei Monate arbeitslos gewesen und habe sich mit Verkäufen auf Flohmärkten durchgeschlagen.

Bitte um Vertraulichkeit

Seinen Namen möchte er nicht öffentlich machen und bat um absolute Vertraulichkeit. „Wer weiß, was diese Leute heute noch für Verbindungen haben“, deutete er seine Ängste an.

„Ich habe nach den vielen Jahren ehrenamtlicher Arbeit für diese Gesellschaft keine Veranlassung, wegen Dingen, die 30 Jahre zurückliegen, und die ich im Rahmen meiner dienstlichen Aufgaben gemacht habe, Konsequenzen zu ziehen“, äußerte Maaß gegenüber der MZ. Konfrontiert mit dem von ihm unterschriebenen Zettel, auf dem er sich zur „Konspiration“ verpflichtet, sagte Ronald Maaß: „Ich weiß nicht, ob das eine Verpflichtungserklärung ist“ und fügte hinzu, dieses Dokument sei schon seit den 90er Jahren den Überprüfungs-Gremien von Kreistag und Stadtrat bekannt gewesen.

Und der handschriftliche Bericht über seine Mitarbeiter? - Den habe er in der NVA-Dienststelle auf Anweisung seines Vorgesetzten geschrieben. Das sei in einer militärischen Einrichtung ein alltäglicher Vorgang gewesen. Diesen Bericht müsse dann wohl jemand an die Staatssicherheit weiter geleitet haben. Gefragt, warum er das Schreiben dann aber nicht mit „Maaß“, sondern mit „Kramer“ unterschrieben hat, obwohl er doch seinen Decknamen damals angeblich noch gar nicht kannte, sagte er: „Das kann ich mir nicht erklären.“

Quelle: Unterlagen der Außenstelle Halle des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR

Seine Berichte für die Stasi soll „Rolf Kramer“ zum Teil auf Band gesprochen haben.
Seine Berichte für die Stasi soll „Rolf Kramer“ zum Teil auf Band gesprochen haben.
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Aus einem Bericht von „Rolf Kramer“ vom 22. September 1981 über den Empfang von Westsendern in seiner Dienststelle
Aus einem Bericht von „Rolf Kramer“ vom 22. September 1981 über den Empfang von Westsendern in seiner Dienststelle
QUELLE: STASI-AKTE DES OPFERS D. Lizenz