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Stadtführungen in Köthen Stadtführungen in Köthen: Nicht nur bei Touristen beliebt

Von Matthias Bartl 09.06.2017, 04:00
Eine Station der Stadtführung mit Christian Ratzel (links) war der Magdeburger Turm.
Eine Station der Stadtführung mit Christian Ratzel (links) war der Magdeburger Turm. Heiko Rebsch

Köthen - Das hat ein Stadtführer gern: Stadtgeführte, die sich nicht nur interessante Anekdoten zur Historie erzählen lassen, sondern die auch noch aufpassen. Auf Unstimmigkeiten beispielsweise.

Am Hahnemannhaus, so hat es ein Teilnehmer der Runde festgestellt, finden sich zwei Tafeln, auf denen an den Begründer Homöopathie erinnert wird - an Christian Friedrich Samuel Hahnemann, der halt auf einem Schild als Friedrich Christian Samuel Hahnemann bezeichnet wird.

Stadtführer Christian Ratzel (weitere Vornamen sind nicht bekannt), kann schnell aufklären, auf welcher der beiden Tafeln die richtige Reihenfolge der Vornamen zu finden ist.

Auf dem von Robert Propf (der ist gleich noch mal dran) geschaffenen Holzmedaillon nämlich. Für den Alltagsgebrauch ist es sowieso gleichgültig, da wird Hahnemann nur „Samuel“ genannt. Warum ausgerechnet auf der von Arthur Lutze in Auftrag gegebenen Tafel Hahnemanns Name falsch sortiert ist, ist unbekannt.

Stadtführungen sind auch bei Einheimischen beliebt

Die Episode zeigt aber, wie schnell man mit einem kundigen Cicerone und einer gut gelaunten Mannschaft eine unterhaltsame Stadtführung organisieren kann. Christian Ratzel schafft es auf Fälle immer wieder, dem Blumenstrauß historischer Erkenntnisse neue Blüten hinzuzufügen.

Vielleicht auch deswegen sind Stadtführungen auch bei denjenigen immer noch ein Renner, die selbst in Köthen wohnen und die „Bühne“ aus eigener Anschauung bestens kennen.

Begräbnisplatz im Schlosspark

Allerdings gibt es hinter den Kulissen noch so manchen verborgenen Winkel. Etwa, wenn man sich am Schlosspark an der Ludwigseiche aufstellt und 20 Männerschritte in Richtung des nächstgelegenen Rasenstücks macht, steht man - ohne es zu wissen - auf einem Begräbnisplatz.

Hier nämlich hat ACF seine letzte Ruhestätte gefunden, woran aber auch gar nichts erinnert außer einer leichten Vertiefung. ACF- das ist August Christian Friedrich von Anhalt-Köthen, wohl der umstrittenste Fürst der hiesigen Dynastie, der sich bei seinen Untertanen mit Grobheiten und Gewalttätigkeiten weidlich unbeliebt machte.

Keine Bestattung in der Fürstengruft

Dass er nicht standesgemäß in der Fürstengruft, sondern im Schlosspark seine letzte Adresse fand, könnte man als späte Rache bezeichnen, wenn es nicht ACF selbst gewesen wäre, der dort ein lauschiges Plätzchen haben wollte.

Wo er dann auch jahrzehntelang ungestört den langen Schlaf schlummerte, ehe vor ein paar Jahren im Zuge der Schlossparksanierung man auch auf die Idee kam, die gut lokalisierbare Gruft zu öffnen.

Und nichts zu finden - „die Gruft war leer wie ein Pharaonengrab“, scherzt Christian Ratzel, der kein Hehl daraus macht, dass die Ruhestätte aus seiner Sicht besser ungeöffnet gelieben wäre.

Wie es auch sei: Nach wie vor erinnert in Köthen nichts an den einstigen Herrscher. Und unbekannt ist auch, wo seine Gebeine heute ruhen.

Nichts in Köthen erinnert an Lotte Ulbricht

An eine einstige Herrscherin, wenn wir sie denn mal so nennen wollen, erinnert in Köthen ebensowenig, Immerhin aber kann Ratzel eine Anekdote erzählen, in der Lotte Ulbricht eine Rolle spielt.

Die Verbindung zu Walter Ulbrichts strenger Gattin wird durch den Bildhauer Robert Propf hergestellt, der einst in der Remise des Schlosses zeitweilig sein Atelier hatte.

Und dort auch die Büste des Widerstandskämpfers Bruno Kühn schuf, der wiederum Lottes Bruder war. Lotte soll den Schaffensprozess auch deswegen so gründlich überwacht haben, weil sie wohl Gefallen an dem Bildhauer fand, dem das seinerseits wohl einigermaßen peinlich war.

Büste ist an einem unbekannten Ort gelagert

Kühns Büste wurde später in der Pädagogischen Hochschule aufgestellt und ist inzwischen verbracht worden. An unbekannten Ort.

Fast von jeder markanten Position auf einer Stadtführungsrunde kann man die Türme von St, Jakob sehen. Unbekannt ist aber vielen, dass diese Türme nicht nur vom berühmten Architekten Bernhard Sehring geschaffen wurden.

Maurermeister bauten die Türme zu Ende

Denn recht schnell warf Sehring des Handtuch und zog sich zurück - aus Kostengründen darf vermutet werden. Woraufhin der biedere Köthener Maurermeister Friedrich Müntze die von Sehring geplanten Türme zu Ende baute.

Das Bauwerk spricht für den Mann, der in Köthen sich auch noch anderweitig verewigt hat - nur weiß das kaum einer, und außerhalb des schwindenden kollektiven Gedächtnisses gibt es eben nichts, was an den 1934 verstorbenen Müntze noch erinnert.

Und insofern liegt man schon richtig, wenn man den Stadtführungen das Prädikat als Heimatgeschichtsunterricht erteilt. (mz)